Lange Wochen, den ganzen wunderbaren Sommer über, hatte ich Angst die Stimmung in diesem Land könnte erneut kippen und dieses Land, ganz Europa, könnte wieder in einer dunklen Zeit versinken. So viel Hass war zu lesen und zu spüren, so viel Häme, so viel Neid und zugegeben auch so viel Angst. Politische Hassprediger haben die Stimmung hochgepeitscht, Dummpöbel hat nachgeblökt und es schien als würden diese Unmenschen siegen und diesem Land wieder einen braunen Anstrich verpassen. Es wurde kalt und dunkel in Österreich.
Ich hatte Angst, das gebe ich unumwunden zu. Große Angst. Und ich fühlte mich hilflos.
Aber dann kam der 31. August 2015 und Österreich hat gezeigt, was Solidarität bedeutet und dass die Mehrheit der Menschen weiß, es sind Menschen, die da vor Tod und Krieg flüchten. Menschen, die unsere Hilfe brauchen, weil sie Schreckliches gesehen und erfahren haben.
3600 Flüchtlinge konnten gestern, am 31.8.2015, mit Zügen der ÖBB von Ungarn ausreisen, über Österreich, die meisten nach Deutschland. Sie wurden an österreichischen Bahnhöfen mit Applaus willkommen geheißen, sie wurden, vor allem von Privatpersonen, mit Getränken, Essen und Hygieneartikel versorgt.
Christopher Glanzl via Facebook:
westbahnhof
hunderte familien kommen an, viele helfer*innen. kaufen und verteilen wasser und essen, die oebb hilft wo sie kann. das ist aktive fluchthilfe. und die war vor einem jahr noch viel weniger positiv besetzt. schön ist das.
Bernd N. via Facebook:
Wiener Westbahnhof. 31.8.2015
Flüchtlinge dürfen die ungarisch-österreichische Grenze ungehindert passieren.
Nach einem Dublin-Matyrium.
Ein Freudentag!
Markus L. via Facebook:
Was ich heute gesehen habe:
Einen nicht abreissenden Strom von (meist jungen) UnterstützerInnen die um große Summen Essen, Trinken und Hygieneartikel gekauft …haben und damit zum Bahnsteig kamen.
SchaffnerInnen die ein Auge zudrückten und die Tür noch ein wenig offen hielten.
Flüchtende, die mit den Sackerln von uns auf ihren Plätzen zurückkehrten und sofort den Sitznachbarn etwas anboten (auch Österreichern).
Kinder die uns lächelnd winkten (und dann Smarties schmatzten).
Männer die „Thank you“ und „i love you“ sagten.
Junge ÖBB Arbeiter die Übersetzten und beim Austeilen halfen.
Menschen die SchaffnerInnen Geld zusteckten und um eine gute Versorgung der Reisenden baten.
Viele schlafende Menschen, da sie zum Großteil seit vier Tagen durchgehend auf Achse sind.
Keine Tumulte, keine Streitereien, zum Teil wurde sogar abgewunken, wenn sie schon alles notwendige hatten, keine Gier, kein Hamstern.
Viele viele „Daumen hoch“ Zeichen
Herzlichkeit, Mut und Engagement.
….und leider das traurige Wissen, dass all diese Menschen mit ihren Geschichten, Talenten und Potential nach Deutschland weiter fahren, da ihnen österreich „politisch“ nichts anzubieten hat.
Shame on you politische Elite!
Thank you Zivilgesellschaft!
Thomas Sch. via Facebook:
Es war eine historische und lange Nacht. Es freut mich Teil davon gewesen zu sein. Wir haben nicht nur etwa 1500-2000 SyrerInnen und AfghanInnen weiter geholfen…, sondern uns auch selbst gezeigt, dass Solidarität funktioniert. Ich habe mit 12 Personen von denen mir 11 völlig unbekannt waren die Essensspendenausgabe organisiert. Wir haben alle zusammengeholfen und es hat funktioniert. Mindestens drei Dutzend AraberInnen, KurdInnen, IranerInnen und AfghanInnen haben freiwillig übersetzt. Spontane Solidarität funktioniert! Und die MitarbeiterInnen der ÖBB waren ebenso super wie die Wiener Rettung. Wir haben einfach alle zusammengearbeitet.
Gleichzeitig gingen in Wien unfassbare 20.000 Menschen auf die Straße für eine andere Asylpolitik, für einen menschlichen Umgang mit Menschen auf der Flucht. Organisiert wurde die Demo von einer jungen Frau namens Nadia Rida, einer Privatperson.
Monika Z. via Facebook:
Es war echt überwältigend!!! Die Stimmung hat mich stark an das legendäre Lichtermeer erinnert. Gemeinsam schaffen wir das, dem Rechtsruck ciao mit au zu sagen und zu beweisen, dass in Wien doch genug Menschen mit offener, kosmopolitischer Gesinnung leben und sich nicht durch kleingeistiges, feiges Gedöns einschüchtern lassen. Yes, we can – und wie!!!!
Gaby H via Facebook:
GROSSEN DANK UND HOCHACHTUNG FÜR DEINE INITIATIVE UND DEIN ENGAGEMENT!!! GROSSARTIG!! Ich war dabei, wie so unglaublich viele andere, denen es ein Anliegen war zu zeigen, dass sie Empathie besitzen. Schön war es, die vielen lächelnden Gesichter zu sehen. Menschen, die froh darüber waren, wie viele wir sind. Wieviele – Menschen. DANKE NADIA RIDA.
Andi H. via Facebook:
Bei aller Angst und Sorge vor der kommenden Wienwahl hat mich diese Demo wieder vorsichtig optimistisch gestimmt: dass es viele, viele Menschen gibt, denen der Sinn nicht nach Hass und Rache steht, sondern die Menschlichkeit und Miteinander in den Vordergrund stellen
Österreich, ich bin so stolz auf Dich!
Wäre ich dabei gewesen, ich hätte applaudiert, gejubelt, gelacht und geweint. Wie damals, 1989 als die Ostdeutschen fahnenschwenkend über Ungarn nach Deutschland geflüchtet sind, über die Autobahn und ich im Morgenverkehr mittendrin. Mein Herz hat geklopft, ich hab gelacht und geweint. Gestern war ich selbst nicht dabei, nur via Soziale Medien habe ich alles mitverfolgt. Aber sogar am PC sitzend rannen mir die Tränen runter. Was für ein wunderbarer Schwenk in eine positive Richtung.
Leute merkt Euch das Datum, es wird in die Geschichte eingehen, da bin ich sicher. Und an die „Hater“ da draußen, Ihr gewinnt nicht Oberhand, wir „Gutmenschen“ (so nennt Ihr uns ja) sind die Mehrheit.
Wer mehr dazu lesen will:
Artikel in VICE
Artikel in Bezirksblätter Salzburg
Artikel im Standard
Karin meint
ich hatte heuer ob der düsteren Entwicklungen im Land eine „Sinnkrise“, ich fragte mich, was bringt mein persönliches Engagement bzw. was hat es bislang gebracht? Frieden? Achtung und Einhaltung der Menschenrechte? Weit entfernt! Ich ging schon einst beim Lichtermeer mit, ich habe entsprechende Petitionen unterschrieben, ich trete, wenn´s sein muss auch in der U-Bahn Menschen mit rassistischen, sexistischen oder sonstwie gearteten menschenfeindlichen Aussagen oder Angriffen entgegen … ABER gestern, bei der Demo für mehr Menschlichkeit, wusste ich es wieder: es ist richtig und es lohnt sich doch! UND ich/wir sind viele :-)!
Es war ein Gefühlskarussel der guten Art, trotz traurigem Anlass. Ich war tief bewegt und bin es sogar heute noch, am Tag danach.
Tausende Menschen und darunter tausende junge Menschen, denen oft von älteren/alten Menschen der Vorwurf gemacht wird, sie sitzen nur vor´m Computer, seien politisch uninteressiert und überhaupt „diese Jugend“ …
Es war eine junge Frau – Nadia Rida – die den Stein ins Rollen gebracht hat! Ihr gebührt meine höchste Anerkennung und mein Dank! (okay :-), ich danke allen, die sich für mehr Menschlichkeit einsetzen!)
Veronika Konrad meint
Sehr schön, wenn so viele Menschen für mehr Menschlichkeit auf die Straße gehen.
Und dennoch denke ich, dass es leichter ist zu applaudieren. Es ist ein Zeichen von Solidarität und das gefällt mir.
Damit ist die Asylpolitik aber noch nicht „gelöst“. Die meisten fahren weiter nach Deutschland….und wie geht es weiter???
Schwieriges Thema. So oder so.
Evelyn meint
Schöner artikel.
Die mehrheit fürchte ich, sind nicht „alle“ so. Dafür sind viel zu viele „eher rechtswählerInnen“ im land. Aber es ist schon super und tröstlich, wenn und dass viele zusammenhelfen!
Schwieriges Thema insgesamt und auf allen Seiten…. Neue Lösungen müssen wohl erst gemeinsam im Tun entstehen. Möge es gelingen.
veronika meint
Was ich mich in letzter Zeit öfters frage ist, wo denn, bei der Asylfrage die Europa beschäftigt, die Stimme Amerikas bleibt? Amerika ist auch daran beteiligt, dass Tausende von Menschen ihre Heimat verlassen. Wo bleibt da die Stimme Amerikas die sich so oft als die Verfechter der Menschenrechte hervortun? Sie könnten vielen der Flüchtlinge auch eine neue Heimat anbieten. Das wäre auch Solidarität. Dass Europa das „Problem“ alleine stemmen muss (und davon wieder nur einzelne Staaten) finde ich unverantwortlich.
Mike meint
Amerika interessiert diese Probleme an allerwenigsten. Wir in Europa müssen zusammenhalten und den Menschen so gut es geht helfen. Die Menschen die vor dem Krieg flüchten müssen ausgeteilt, untergebracht und versorgt werden und da sollte jedes Land in Europa mithelfen.
Sonja Schiff meint
Seh ich auch so. ich bin da sehr positiv. Es gibt viele Untersuchungen, die aufzeigen, dass Länder, die Migration zulassen langfristig stabiler und wirtschaftlich erfolgreicher sind. Menschen, die nach einer Flucht eine neue Heimat finden, strengen sich an um etwas zu schaffen und wollen dem Land welches ihnen half etwas zurückgeben. Migration bringt Innovation in ein Land. Europa ist im Umbruch. Statt sich zu Tode zu fürchten und sich abzuschotten, sollte es die Chance ergreifen und sich als Friedensprojekt weiter entwickeln.
Sonja Schiff meint
Großartige Rede von Ana Colau, katalanische Aktivistin, zur Situation der Flüchtlinge und der Hilfebereitschaft in der Bevölkerung. https://www.youtube.com/watch?v=9iVLXQOV1bo&app=desktop
veronika meint
Also ich finde Amerika sollte sich für die Flüchtlingsproblematik in Europa sehr wohl interessieren. Was ist mit dem Libyen Feldzug der Amerikaner? Was mit Syrien? Und der Ukraine? Alles gescheiterte Staaten und Europa bekommt die Schuld und als Quittung die Flüchtlinge. Und das interessiert Amerika nicht????
rochus gratzfeld meint
Die Flüchtlinge, liebe Veronika, sind keine Quittung. Es sind Menschen in Not. Wer für diese Not verantwortlich, ist dabei zweitrangig. Libyer sind übrigens m.W. ebenso unter den Flüchtlingen, wie Menschen aus der Ukraine. Ohne Zweifel aber wäre es wünschenswert, wenn die USA hier EUROPA entlasten würde. Aber es bleibt eine europäische Herausforderung. Und eine europäische Chance.
Sonja Schiff meint
Liebe Veronika, ich war in Nickelsdorf einen Tag lang, am Bahnhof in Salzburg für einen Abend und beim Willkommensfest im Volksgarten. Nach Nickelsdorf konnte ich 4 Nächte kaum schlafen, am Bahnhof hab ich nach einem Gespräch mit einer syrischen Frau Rotz und Wasser geweint, am Fest im Volksgarten habe ich ein kleines weinendes syrisches Mädchen umarmt und seit 10 Tagen tu ich Abend für Abend nichts anderes als über Facebook die Aufrufe für Hilfsgüter zu lesen und zum Bahnhof rasen, wenn ein Hilfe-Appell eingeht.
Mir ist es SCHEISSEGAL im Moment wer diese Massenflucht zu verantworten hat oder wer sich aus der Verantwortung schleicht. Das zu diskutieren ändert nichts und hilft außerdem niemanden. Im Moment braucht es alle Kraft und viele Menschen, die ihre persönliche Schutzblase verlassen und helfen. Es handelt sich um Menschen, die JETZT in Not sind und endlich ankommen wollen, und nicht um eine Quittung…… Ich bin bei solchen Aussagen im Moment hypersensibel. Sorry.
rochus gratzfeld meint
Ach ja, noch etwas zur Klarstellung und gegen die für mich schwer erträgliche Jammerei, dass jetzt Europa „die Quittung“ zu zahlen habe: 95% aller Flüchtlinge wurden laut Amnesty International von folgenden Staaten aufgenommen bzw. befinden sich dort: Türkei, Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten.
veronika meint
Ich streite nicht das unsagbare Leid der Menschen ab. Helfen ist das eine, Ursachenforschung das andere. Tut man das wird man sofort, übrigens auch von euch, in ein bestimmtes Eck gestellt. Egal was man dazu sagt oder nicht sagt, es stimmt einfach nicht und wird runtergebügelt. Das ist meiner Meinung gerade das schlimmste was in der Gesellschaft passiert: einen Keil in die Gesellschaft zu treiben und zu polarisieren. Da kann nichts gutes dabei rauskommen. Und das hilft auch niemanden!
Und vor dem hab ICH große Angst!!!!!! ja und da bin ich hypersensibel!!!!!
Sonja Schiff meint
Und was genau bewirkst DU mit Ursachenforschung?…Was ändert sich dann heute…morgen…übermorgen für die Menschen, die grad am Bahnhof in Salzburg sitzen und nicht wissen, wie es weiter geht?
Viele Menschen haben Angst. Mich eingeschlossen. Glaubst Du in mir löst das alles keine Ängste aus????
Aber ich finde das Gebot der Stunde ist Solidarität und Hilfe. Und zu sensibilisieren, wenn Flüchtlinge als „Quittung“ oder eine „Lawine“ bezeichnet werden. Mit diesen Begriffen hält man sich Distanz, macht Menschen zu einer Sache. Es sind aber Menschen die da am Bahnhof sitzen. Übrigens auch sehr viele Mütter mit Babys im Arm, so alt wie Deines……
rochus gratzfeld meint
Veronika, das Schlimmste, was in diesen Wochen und Tagen aus meiner Sicht hätte passieren können, wäre ein radikaler Rechtsruck gewesen. Das Gegenteil ist passiert. Menschen aus allen Schichten haben sich mit dem Leid „Fremder“ solidarisiert, haben dabei parteipolitische Grenzen überwunden, sieht man einmal von den rettungslos Gestrigen ab. Somit sehe ich den Keil nicht. Nein ich sehe, wie Gräben zugeschüttet werden. Ob dies anhalten wird? Weiß ich nicht, hoffe ich aber von ganzem Herzen. Zum Thema Ursachenforschung. Sorry, da braucht nichts geforscht werden, die Ursachen sind bekannt. Sie immer wieder anzusprechen, dabei keine Tabus zu scheuen, ist wichtig. Allerdings ein „ganz dickes Brett“, welches zu bohren noch viele Jahre und Jahrzehnte dauern wird. In der Zwischenzeit müssen wir halt die Tagesprobleme bewältigen – heißt helfen – und Visionen entwickeln für ein neues Europa. Denn das von 1989 ist in diesen Wochen nach langer Krankheit gestorben.
Veronika Konrad meint
Ursachenforschung würde heißen, dass man aus der Vergangenheit lernt und dass die Menschen erst gar nicht ihr Land verlassen müssen. Dass man nicht mehr mit einer Politik mitmacht die jetzt das Leid von so vielen Menschen sichtbar macht. Leider Gottes wird es allein mit ehrenamtlicher Hilfe nicht getan sein (was ich übrigens für außerordentlich großartig halte).Wie sollen die Menschen integriert werden? Menschenwürdige Unterbringungen? Sprache?.Arbeitsplätze?. Ausbildung? Fragen über Fragen. In vielen Städten Deutschlands gibts vom Arbeitsamt Projekte die hochqualifizierte Flüchtlinge schneller integrieren sollen. Die Ergebnisse sind ernüchternd.
In Deutschland wird bei der Anhebung von Sozialleistungen die Bremse gezogen. Und dann soll Geld für die Flüchtlinge da sein? Ja, das ist die Realität der Menschen die ich wahrnehme und davon sind keine rechte Meinungsterroristen. Das meine ich mit Keil in die Gesellschaft treiben. Ich habe keine Angst vor der Fremde, keine Angst vor den Flüchtlingen. Wir sollten nicht gegen Flüchtlinge demonstrieren aber gegen eine Regierung die diesen Keil zulässt. Und der ist da, ich bin doch nicht doof. So und jetzt Ende der Debatte. Werde auch nicht mehr posten, mir reichts. Ende.
rochus gratzfeld meint
Als Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler hätte ich diesen Artikel genau so geschrieben. Habe ich aber nicht. Dafür Dr. Rüdiger Fox. Und den zitiere ich hier gerne: http://www.huffingtonpost.de/ruediger-fox/fluechtlinge-unternehmen-integration_b_8141414.html