Er heisst Omran Daqneesh. Er ist ein 5 jähriger Junge, der in einem Rettungsauto sitzt. Kurz davor wurde er aus einem bombardierten Haus in Aleppo gerettet. Omran schreit nicht, er weint nicht. Und das obwohl er gerade alleine ist, verletzt, sein Gesicht blutverschmiert. Keine einzige Träne. Seine Augen sind schockgeweitet und starr. In seinem Blick das Unfassbare.
Dieses Bild geht gerade durch die Sozialen Medien und auch ich konnte mich diesem Foto nicht entziehen. Soll ich auch darüber schreiben, habe ich mich gefragt seit ich Omrans Foto sah.
Soll ich erneut schreiben, wie hilflos ich mich fühle? Soll ich erneut einen Appell richten an die Menschen rund um mich und sie bitten doch ihr Herz zu öffnen für Flüchtlinge, weil es viele Omrans auf dieser Welt gibt? Große und kleine, männliche und weibliche, syrische, afghanische, somalische, kurdische, nigerianische….. Omrans.
Soll ich erneut hilflos in den Raum rufen, bitte stoppt endlich diese Kriege!!!! Soll ich mich erneut aufregen über das rechte Gesocks, welches meint es würde üble Stimmungsmache veranstaltet mit dem Foto von Omran (Die AfD´lerin Storch meinte via Twitter: „Immer wenn uns von den Medien kleine Kinder gezeigt werden, sollten wir besonders wachsam sein“) ?
Soll ich wieder schreiben, dass ich es nicht mehr ertrage solche Bilder zu sehen? Soll ich erneut gestehen, dass ich solche Bilder am liebsten wegklicken würde, damit ich meinen Sommer, meinen Urlaub, mein Leben einfach nur genießen kann? Soll ich erneut kleinlaut sagen, daß ich ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich es mir gut gehen lasse wo es anderen Menschen, den Millionen kleinen und großen Omrans dieser Welt, so verdammt beschissen geht, wenn so viele Menschen ihres Rechts auf Leben beraubt werden, wenn so viele Menschen nicht die kleinste Chance auf ein Leben haben?
Soll ich wieder davon berichten wie wütend ich bin, auf jene die Waffen liefern, auf jene die Krieg betreiben, auf jene die Länder besetzen, auf jene die Menschen terrorisieren, auf jene die Bomben werfen, auf jene die Menschen töten, auf jene die Kinder bombardieren, auf jene die die Omrans dieser Welt erschüttern, traumatisieren, quälen, töten…aber auch verhungern lassen, erniedrigen, verskalven……
Ich bin jetzt bald 52 Jahre alt, immer öfters frage ich mich welche Welt hinterlasse ich, welche Welt hinterlässt meine Generation (den Begriff meine ich weltumspannend), was hat meine Generation, meine „Zeit“ verändert und wie haben wir auf unsere Welt eingewirkt. Ich muss mir eingestehen, dass wir einen Scherbenhafen hinterlassen: Kriege, Umweltzerstörung, Ausbeutung, Armut….Kaltherzigkeit, nichts ist besser geworden, im Gegenteil. Wie werden wir wohl in die Geschichte der Welt eingehen? Als jene, die diesen Planten zerstört haben? Als jene, die Millionen Menschen verhungern ließen, obwohl wir alle Möglichkeiten hatten eine bessere Welt zu schaffen? Als jene, die Millionen Menschen auf der Flucht im Stich gelassen haben, in irgendwelchen Meeren ertrinken ließen (Europa) oder auf Inseln verrotten liessen (Australien)? Als jene Generation, die den kleinen Omrans dieser Welt im Fernsehen und Internet dabei zusahen, wie diese geschockt in Rettungsautos saßen?
Soll ich erneut öffentlich verzweifeln? Soll ich erneut anprangern und niemand hört zu? Soll ich erneut aufschreien, reinschreien, mitschreien? Soll ich erneut meine Hilflosigkeit in diese Welt hinausschreien?
Omran hat übrigens überlebt. Tausende andere auf der Welt nicht, gestern, heute, morgen.
tonari meint
Das sind Fragen, die ich mir in gleicher oder ähnlicher Form auch oft, aber nicht im Blog stelle.
Lange habe ich (naiv) gedacht, dass Dinge in der Geschichte nur geschehen sind, weil die Menschen uninformiert waren.
Heute weiß ich, dass gegen Hass, Neid, Religionsfanatismus kein Kraut gewachsen ist. Vor allem keines, das mit Aufgeklärtheit zu tun hat. Mitunter erfüllt es mich diese bittere Erkenntnis mit Resignation.
Sonja Schiff meint
diese Resignation kenne ich….
Christa meint
Ja, der humanitäre und ökologische „Fußabdruck“ den wir als Generation der Welt hinterlassen ist katastrophal. Ich gehöre auch zu den wütenden, traurigen und auch überforderten Personen angesichts der Weltlage. Und manchmal wird mir das alles Zuviel und ich möchte die Augen vor all dem Elend und der Ungerechtigkeit verschließen. Da reicht meine Energie nur dazu mit den eigenen Lebenskrisen zu leben und diese zu meistern.
Aber eines kann ich immer, die Menschen in meinem Umfeld anständig und respektvoll behandeln. Gelegenheit dazu gibt es täglich.
Werner Matheis meint
Nein, liebe Sonja, Du sollst und darfst nicht resignieren und schweigen! Du musst weiter Aufschreien, Reinschreien und Mitschreien. Je mehr „wir“ schreien, desto mehr werden aufmerksam und werden möglicherweise Mitschreien. Und wenn das Schreien zu laut wird, wird man „uns“ das Schreien gesetzlich verbieten.
Um eines klar zu stellen: Nicht „wir“ sind an all dem Elend in der Welt schuld. Mitschuld ja vielleicht, weil „wir“ uns dem Weltwirtschaftsgefüge nicht gänzlich entziehen können. Unser Wohlstand, der zwar bröckelt, ist erkauft auf dem Rücken anderer, Unser Wohlstand bedeutet für viele Regionen der Welt Hunger, Not, Elend, Krieg,
Ich frage mich auch manchmal, welche Welt wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen. Was haben „wir“ getan oder besser gesagt nicht getan, um eine bessere Welt zu erschaffen? Waren „wir“ zu wenige, haben „wir “ nur geträumt, während die Mächtigen der Welt Tatsachen geschaffen haben? Warum ist es „uns“ nicht gelungen ihnen in den Arm zu fallen?
Sollen „wir“ resignieren und endlich still sein, weil „wir“ über 50 oder 60 Jahre alt sind?
Nein, sage ich. Noch können „wir“ schreien! Und zwar laut, sehr laut.