Seit ich Ungarn zu meinem zweiten Lebensmittelpunkt gewählt habe, bin ich konfrontiert mit dem Zwiespalt der Ungarn zu Ihrem „Hochadel“. Einerseits ist man froh die „Herren“ und das Herrschaftsgefälle zum gemeinen Volk loszusein, andererseits hört man in Gesprächen mit Ungarn auch Sätze wie „unter der Habsburger-Monarchie da war es besser“. Kürzlich meinte ein junger, ungarischer Arbeiter und Orban-Freund gar „zur Zeit der ungarischen Monarchie, da war ja alles, also Burgenland, Österreich, da war alles ungarisch. Da waren wir richtig groß“ und schwupps war die österreich-ungarische Monarchie eine rein ungarische Monarchie und der kleine ungarische Arbeiter fühlte sich wie ein kleiner Gott. Ist ja auch wichtig in so stürmischen Zeiten, voll mit bösen islamischen Zuwanderern. Da bietet so eine Monarchie schon Identität und Sicherheit. Irgendwie.
Bei mir ums Eck steht das Schloss Esterházy in Fertöd. Das gehört schon lange dem Staat Ungarn und wird als Hotel und Tourismusattraktion gehalten, sowie als Ort diverser Konzerte. Der Fürst Esterházy, ein alter Herr um die 80, ist also in „seinem“ Schloss längst nur noch Gast, denn gehören tut ihm dort nichts, außer die Nostalgie. Trotzdem hat der alte Fürst seine Rolle behalten und tritt regelmäßig vor Veranstaltungen als Hausherr und Fürst auf. Vor jedem Konzert wird beim Eingang ein Gemälde von ihm aufgestellt und man hat als Besucherin fast den Eindruck, es wird die demütige Huldigung seines Konterfeis erwartet. Der Fürst hält zu Beginn der Veranstaltung eine kleine Rede, begrüßt die Zuschauer in drei Sprachen (ungarisch, deutsch, englisch) und nimmt dann mit seiner Gattin Platz. Nicht an normalen Plätzen, sondern im VIP-Bereich oder, etwa bei Kammerkonzerten im intimen Rahmen, auf etwas erhöhten und gepolsterten Stühlen, die sich von den Stühlen der gemeinen und zahlenden BesucherInnen unterscheiden.
Die Ungarn reagieren auch hier sehr unterschiedlich. Die einen betrachten ehrfürchtig sein Bild am Eingang, kaufen seine Biografie mit ausgewählten Fotos, lauschen ihm andächtig und recken bei seiner Ansprache neugierig ihre Hälse. Andere wieder schütteln den Kopf, lachen über ihn und seine Frau, über deren seltsam verstaubtes Gehabe. Kürzlich meinte eine Ungarin in so einer Situation augenzwinkernd zu mir: „Die sind noch nicht im Jahr 2016 angekommen.“
Und tatsächlich scheinen der Fürst und seine Gattin nicht von dieser Welt. Irgendwie hängengeblieben in der Vergangenheit, steckengeblieben in einem längst vergangenem Zeitloch, in dem „Herren“ noch dem niederen Volk zuwinkten und dieses ihnen huldigte. Die Handhaltung, die Geste scheint mit der Muttermilch als Selbstverständlichkeit eingesaugt worden zu sein. Kürzlich auf einer Veranstaltung war es wieder zu sehen, der Fürst winkte dem Volk zu und schritt die Garde ab als wäre das das Normalste auf der Welt.
Für mich als Kind der Demokratie ist dieses Fürstengehabe armselig und lächerlich, ist so ein Fürstenstatus purer Anachronismus und eigentlich kann ich gar nicht nachvollziehen, wie sich so ein Adelsstatus in der heutigen Zeit überhaupt halten kann. Bei den Menschen. Aber auch im Kopf dieses Fürsten.
Und doch gibts den Adel immer noch. Wir haben im Jahr 2016 wirklich immer noch Königshäuser! In England, in Spanien, ja sogar in so Ländern, die wir als fortschrittlich betrachten wie Schweden, Norwegen und Holland wird immer noch Königen und PrinzessInnen zugewunken, werden Menschen, deren Lebensleistung vor allem die Zugehörigkeit zu einer Familie ist, immer noch vom gemeinen Volk finanziert (obwohl sie eh unglaublich reich sind) und legen diese Adeligen ein Gehabe an den Tag, fern unserer Zeit.
Warum wird dieses altbackene Theater nicht in Frage gestellt? Warum begehren wir Menschen nicht auf? Warum kann da jemand in der heutigen Zeit immer noch Fürst, Graf oder gar Königin spielen, ohne dass nicht alle Welt einen dauerhaften Lachkrampf bekommt?
Warum?
Pyrgus meint
Gerade bei den Holländern, für mich unmittelbare Nachbarn, hat man den Eindruck, dass sie ihr Königspaar regelrecht lieben. Sie fühlen sich gut behütet und tatsächlich scheint es, als sähen sie die Monarchen als eine Art Übereltern für das Volk. Das allein reicht schon, um nicht mal den Gedanken an eine Abschaffung der Monarchie aufkommen zu lassen….
LG
Gabi
Max meint
Ich bezweifle sehr, dass das der wirkliche Fürst Esterhazy war, den Sie da gesehen haben. Anton Esterházy lebt, soweit ich weiß, auf seinem bayerischen Schloss Edelstetten in Deutschland. Kann natürlich sein, dass er ab und zu für repräsentative Zwecke nach Ungarn kommt. Dann kann es einem fast leid tun. Aber vielleicht ist es auch einfach ein engagierter Schauspieler?
Sonja Schiff meint
Hahaha! Nein, ist ein echter Esterházy! Es gibt eine ungarische Linie der Esterházys!
Max meint
Ach so, und was Königshäuser in Europa angeht: Ist vielfach bewiesen, dass die nicht nur ordentlich touristisches Einkommen für den Staat generieren und diplomatische Aufgaben übernehmen (alle Regierungschefs möchten zu der Queen), sie stellen auch ein Verfassungsrechtliches Schwergewicht dar. Von den europäischen Staaten mit durchgehender (konstitutioneller) Monarchie hat es die wenigsten extremen Regierungsformen gegeben. Monarchen können Beständigkeit und Sicherheit darstellen. Ich bin ich kein Monarchie-Verfechter und in Deutschland soll es auch keine Monarchie mehr geben. Aber ganz so einfach ist das Thema eben nicht. Von historisch-wissenschaftlicher Seite gibt es gute Gründe für die Staaten ihre Monarchien am Leben zu halten.
Sonja Schiff meint
Trotzdem bleibt es für mich ein Anachronismus…….:-)