Jahre, ach was sage ich, über Jahrzehnte, ist mein Leben einfach wie von selbst gelaufen. Ereignisse griffen ineinander, großartige Höhenflüge ließen mich fliegen, Krisen kamen und gingen wieder, erwiesen sich im Rückblick immer als stimmig oder wichtig für meine Entwicklung. Stand ich ab und zu vor verzwickten Momenten, in denen ich dachte, jetzt und sofort eine Entscheidung treffen zu müssen (etwa als ich mal zwischen zwei Männern stand), lehrte mich das Leben, dass ich gar nichts muss, weil das Leben eh passiert und die Entscheidungen von selbst kommen.
Jetzt aber scheint alles anders.
Schon seit Monaten. Corona hat mein Leben durcheinandergewirbelt wie selten etwas zuvor. Mein viral gegangener Artikel auf story.one mit dem Titel „Corona – nichts wird mehr sein, wie es war“ wurde für mich beruflich zur Wirklichkeit.
Bevor Corona die Welt erblickte, hatte ich 4 Jahre lang an einem Buch geschrieben und es gerade erst veröffentlicht, eine Lesereise quer durch Österreich und Deutschland war geplant, Seminare über Seminare sollten folgen, das Buch und die darauf abgestimmten Seminare sollten mich bis zum Jahresende 2025 tragen. Danach würde ich in Pension gehen, nur noch tun, worauf ich Lust habe. Bücher schreiben, bloggen, Vorträge halten, eventuell mal einen Online-Kurs entwickeln, vor allem aber wollte ich Zeit haben für Mann und Hunde, sowie Reisen. Usedom, Rügen, die friesischen Inseln, die Mecklenburgische und Masurische Seenplatte, Niederlande und seine Küste, Belgien Oostende, Lettland, Estland, Litauen, Bären und Wölfe in Rumänien.
(Jetzt wo ich das schreibe: Da hatte ich tatsächlich das einzige Mal in meinem Leben eine proaktive Entscheidung getroffen und einen Plan für die Zukunft!)
Dann kam Corona und das Leben entschied: Nö, so einfach wird das nicht mit deiner Zukunft. Was in deinem Leben passiert, das entscheide immer noch ich! Die Folgen: Keine Lesereise, daher auch kaum Buchverkäufe und nur selten Seminare. Stattdessen viel freie Zeit (was super war!) und wenig Geld. Ich lebe seit 2020 vor allem von finanziellen Rücklagen und die sind mittlerweile aufgebraucht.
Tja, und seit Corona laufe ich irgendwie unrund. Nichts ist mehr, wie es war.
Ich habe immer das Gefühl, eine Entscheidung treffen zu müssen, und zwar die, vorzeitig in Pension zu gehen. Aber ist es wirklich eine Entscheidung oder nicht eher eine Flucht? Manchmal möchte ich einfach nur raus aus diesem existentiellen Druck, den ich als Unternehmerin erneut habe. Ich fühle mich jetzt wieder wie damals, vor 22 Jahren, als ich mit meiner Selbständigkeit ganz am Anfang stand. Es waren harte erste Jahre. Ab Mitte des Monats gabs nur noch Kartoffel mit Butter zu essen, weil ich kein Geld mehr hatte. Im Juli wusste ich nicht, ob und wie es nach dem Sommer weitergeht, zu Weihnachten hatte ich keine Ahnung, ob im Jänner wieder Aufträge reintrudeln würden. Puhhh! Es war eine beschissene Zeit, karg, unsicher, entbehrungsreich. Aber ich wollte ein Leben als Selbständige führen, deshalb biss ich mich da durch und ich schaffte es letztendlich auch. Darauf war und bin ich megastolz!
Die letzten 15 Jahre vor Corona konnte ich meine Mühen ernten, war super gebucht, die Aufträge kamen von selbst rein. Ich hatte mir einen guten Ruf erarbeitet, galt als innovativ, stärkend, verlässlich, immer „am Punkt“. Es war keine Akquise mehr notwendig, kein „Klinkenputzen“, es lief alles wie geschmiert und von allein. Das Leben meinte es sehr gut mit mir.
Plötzlich aber ist alles wieder so unsicher. Fast wie damals in den Anfängen.
Es kommen zwar Auftragsanfragen rein, ich schreibe auch immer wieder Angebote, aber dann wird wieder alles abgesagt oder verschoben und ich steh ohne Einnahmen da. Was das für mich bedeutet, können Angestellte kaum ermessen. Kürzlich meinte ein Auftraggeber, für den ich sehr viel Zeit freigehalten hatte und der das diskutierte Projekt dann zeitlich verschieben musste, auf den Hinweis, welche Folgen dieses Verschieben für mich hat, lakonisch: „Geh Sonja, so gefragt, wie du bist, hast Du eh gleich andere Aufträge.“
Ähm, nein. Hab ich nicht. Die Fortbildungsbudgets für 2023 wurden bereits 2022 vergeben. Da kommt nichts mehr. Zumindest nicht genug, um meinen Verlust zu kompensieren. Mein Risiko als Unternehmerin, keine Frage! Kann meinen Auftraggebern egal sein. Aber für mich ist es grad arg, bei mir poppen all die Ängste von vor 20 Jahren wieder auf.
Kann es sein, dass sich meine Körperzellen an diese harte Zeit erinnern?? Bin ich deshalb so dünnhäutig, wie noch selten davor? So dünnhäutig, dass ich kürzlich sogar vor einem potentiellen Auftraggeber (den ich schon viele Jahre kenne), weinen musste?
Ich! Weinen! Es war so peinlich…..ich habe mich wirklich geschämt…..
Dabei, so übel schaut es ja gar nicht aus.
Mein Mann sagt dazu immer: „Du jammerst aber schon auf hohem Niveau.“ Da hast er auch irgendwie recht. Ich wurde etwa kürzlich angefragt, mich für ein größeres und sehr spannendes Projekt zu bewerben. Die Chancen stehen nicht schlecht für mich. Bekomme ich das Projekt, wäre ich weitgehend ausgebucht ab Herbst und das auch noch bis Ende 2025. Vor Corona hätte ich in dieser Situation auch vor Energie, Zuversicht und Selbstüberzeugung nur so gestrotzt. Heute aber ängstige ich mich, dass das Leben mir nur eine Karotte vor die Nase hält, mir dann aber doch überraschend wieder die Arschkarte zeigt. Wobei: Ist es nicht anmaßend von Arschkarte zu reden, wenn tausend Kilometer weiter weg die Bomben fallen und Menschen um ihr Leben rennen?
Und genau das ist das Unrunde in mir derzeit.
Auf der einen Seite ist das diese eine Stimme in mir, die ständig ruft: Lass es! Geh vorzeitig in Pension und mache dir ein schönes Leben! Wer weiß, wieviel Zeit du noch hast! Diese Stimme will nichts wie raus aus der Mühle, aus der Unsicherheit, aus der Angst und ab in die totale Freiheit. Wenn es denn diese totale Freiheit überhaupt gibt. Da habe ich ja auch so meine Zweifel.
Und dann ist da auf der anderen Seite die andere Stimme. Sie flüstert: „Du musst nichts entscheiden. Bewirb dich für das Projekt und bis dort die Entscheidung fällt: Lehn dich zurück, genieße die Zeit, kümmere dich um dich, deine vielen anderen Projekte und deine Energie. Alles hat seinen Sinn. Die Entscheidung wird kommen. Dann wirst Du wissen, wohin der Weg geht und es wird richtig sein für dich. Am Ende wird alles gut. Das weißt Du doch.
UNRUND! Ich bin sooooooooooooo unglaublich unrund! Und dieses Unrunde hat wirklich unangenehme Folgen, weil es macht mich unaufmerksam, dünnhäutig, chaotisch, wenig belastbar, extrem verletzlich………
Ich kenne mich derzeit selbst nicht wieder.
Was tun?
Nachdem kürzlich eine Freundin das Wort „Burnout“ in den Mund nahm und ich ziemlich schockiert darüber war, habe ich grad jetzt vor 5 Sekunden eine Entscheidung getroffen: Ich werde erstmal Urlaub machen. Abstand finden. Ruhe. Zu mir kommen.
Ich fahr ans Meer. Bald! Grad gebucht. Und dann seh ich weiter……
PS: Oft werde ich gefragt, warum ich hier so offen schreibe und mich so verletzlich zeige. Daher hier meine Erklärung: Auf Blogs und in den sozialen Medien bekommt man den Eindruck, das Leben der anderen verläuft immer glatt. Alles ist super, alles ist gut, alles ist großartig. Niemand hat mehr Probleme, keiner scheitert.
Mir ist es wichtig, mich als Mensch zu zeigen. Darum erzähle ich nicht nur von Erfolgen, vom Jubeln und Glück, sondern auch von meiner Zerrissenheit in manchen Lebenssituationen, von Angst, Trauer, Scheitern, Zweifeln und Verzweiflung…..was halt grade abgeht in meinem Leben.
Wer das nicht aushält, muss es ja nicht lesen 😉 Einfach weiterscrollen!
Mach ich mich dadurch verletzlich und angreifbar. Nein. Das Gegenteil ist der Fall!
Bilder des Beitrages: Erstellt mit AI auf https://www.picfinder.ai (Thanks for this great stuff!)
Kerstin Schramm meint
Liebe Sonja,
vielen Dank für Deine erfrischende Offenheit! Genauso ist es: Das Leben ist wie eine Schifffahrt. Und gerade die stürmischen, gefährlichen Momente machen uns stark.
Ich habe auch keine leichte Zeit momentan. ‚Habe aber den Blick nach vorne gerichtet und bin voller Zuversicht.
Die Wogen glätten sich wieder!
Sonja Schiff meint
ja, das werden sie! und ich freue mich, wenn du uns im sommer besuchen kommst!
Martin KrAuse meint
Wir sind Seelenverwandte! Und jetzt drücke ich Dich! Oh, wie ich das alles auch erlebt habe. Schlaflose Nächte. Freunde, die keine waren. Dieses Gefühl allein mit dem Kram fertig werden zu müssen. Dabei eine Beziehung, die nur noch ein Schrotthaufen war. Dieser tägliche Kampf. Meine Selbständigkeit endete in der Insolvenz meiner Firma. Todtraurig. Aber dann öffneten sich wieder neue Fenster. Neue Chancen, neues Glück. Alles wurde Neu. Und es wurde wieder gut. Meine letzten Berufsjahre vor der Rente brauchte ich mir keine Sorgen um meine wirtschaftliche Zukunft machen. Ich konnte das, was mir wichtig war, ausleben. Weil mir vertraut wurde, konnte ich gestalten. Heute bin ich schon ein paar Jahre im Ruhestand. Ab und zu mache ich noch was. Gerade durfte ich einen der größten Lebensmittelketten Deutschlands beraten ihre Märkte für Menschen mit Handicap umzugestalten. Das hat Spaß gemacht. Und nun lerne ich wieder mein Ukulele zu bespielen, die ich Weihnachten geschenkt bekam. Das Leben ist schön und aufregend. Trotz allem. Ich schlafe wieder fest und meine Träume sind wieder bunt.
Sonja Schiff meint
:-) das freut mich! ja, ich weiss eh, dass wieder alles gut wird….. :-) danke für deinen stärkenden kommentar!