Wochen, ja sogar Monate, eine gefühlte Ewigkeit für eine ungeduldige und unruhige Person wie mich, bin ich jetzt festgehangen in einem Zustand der inneren Enge und damit in einer Gedankenschleife, die mich und mein Leben zum Stillstand gebracht hat. Ich wusste nicht mehr, wie es mit meinem Leben weitergehen sollte, wohin ich wollte. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, Entscheidungen treffen zu müssen. Etwa die, ob ich noch weiter arbeite oder vorzeitig in Pension gehe, ob ich alle Zelte in Salzburg abbreche und ganz nach Ungarn ziehe. Ich hatte das Gefühl, meine ganze Arbeit, mein Erfolg der letzten 20 Jahre, meine Zukunftspläne, alles ist durch und nach Corona zusammengebrochen und verloren gegangen.
Ich war total unrund (HIER ein Blogbeitrag darüber vom März) und unzufrieden mit mir und meinem Leben. Ich hatte Sorge, dass ich das nächste Drittel meines Lebens nur noch meinen Garten pflege und ansonsten vor mich hin versauere. Meine Stimmung war am Boden. Gleichzeitig ließ ich, ohne dass mir das bewusst war, kein gutes Haar an Menschen, die ihre Freiheit lebten, ich wertete sie (in meinen Gedanken) ab, lachte über sie, gab ihren Vorhaben schlechte Prognosen. Heute weiß ich, ich neidete ihnen ihre innere Freiheit, ihre Zuversicht, ihre Lebensfreude. Shame on me!
Es war eine extrem belastende Zeit. Meine ganze Energie war weg. Endzeitstimmung. Große Traurigkeit. Ich kannte mich selbst nicht mehr. Ich war auch nicht mehr ich selbst. Ideenlos. Jammernd. Weinerlich.
Vor einer Woche dann las ich einen Artikel über Coaching und stolperte darin über eine kleine Übung. Sie sprach mich sofort total an. Also schnappte ich mir mein persönliches Journaling-Workbook und machte die Übung. Schriftlich, weil ich meine Gedankengänge gerne nach einiger Zeit nachlese. Und weil verschriftlichte Prozesse aus meiner Sicht besser und tiefer wirken.
Hier diese Aufgabenstellung. Die Übung lautet: Ein Film über Dein Leben
Schritt 1: Stell Dir vor, jemand dreht einen Film über Dein Leben (oder deine Beziehung/ oder deine Arbeit…). Wie lautet der Titel des Films?
Schritt 2: Wie sind die Inhalte des Films mit diesem Titel? Was tust Du als Figur diesem Film? Wer spielt noch mit? Was passiert?
Schritt 3: Bist Du zufrieden mit diesem Film Deines Lebens? Möchtest Du diese Rolle spielen? (Wenn ja, gratuliere!! Du kannst die Übung hier beenden.)
Schritt 4: Wie muss sich Deine Rolle verändern, damit jener Film entsteht, der Dir gefällt? Wie könnte der Titel des neuen Films lauten?
Mein Filmtitel lautete “Die in sich gespaltene Eingebremste” (das Leben betreffend) und “Die geborgene Angepasste” (meine Beziehung betreffend). Der Inhalt des Films war trist. Er handelte eben genau von diesem Leben und diesen Gefühlen, die ich oben zum Einstieg geschildert habe.
In der Analyse, Schritt 3 und 4 der Übung, gings in meinen Gedanken dann rund. Ich musste mir eingestehen, dass ich etwas gelebt hatte, was ich bei anderen so gar nicht mag. Ich hatte mich gemütlich eingerichtet in dem Gedanken, dass andere Schuld sind an meinem Stillstand. Die anderen sahen meine Kompetenz nicht, die anderen nahmen mich nicht wahr, die anderen…die anderen….! Besonders meinem Mann und unserer Beziehung schrieb ich die Ursache meiner Misere und meines stillen Unglücks zu. ER lebt ein beschauliches Leben in Ungarn und erwartet das auch von mir, so meine Gedanken. Außerdem redete ich mir ein, Beziehung ist immer ein Kompromiss, ich bekomme dafür ja auch viel Geborgenheit. Man kann halt nicht alles haben im Leben!
Mit dieser Übung konnte ich plötzlich sehen, dass nicht mein Mann (und auch nicht „die anderen“) mich blockiert, sondern ich mich selbst! Tatsächlich würde mein Mann mich nämlich NIEMALS an irgendetwas hindern. Er würde mich IMMER meinen Weg gehen lassen, mich sogar dabei unterstützen, diesen Weg zu gehen. Egal wohin und wie ich reise möchte!
Auch dass ich aus meinem eigenen Unvermögen heraus anderen Menschen ihre Freiheit neide und sie deshalb abwerte, wurde mir klar. Wähhh, Sonja!
Was für eine Erkenntnis! Und was für eine Wandlung, die mit mir geschah. Innerhalb von ein paar Minuten. Nur durch diesen kleinen Perspektivenwechsel. Woohoo!
Mein neuer Filmtitel lautet jetzt übrigens: “Vom heimatlichen Hafen hinaus in die Welt”!
Plötzlich bin ich wieder ich selbst. Neugierig aufs Leben, offen für Neues, voller Zuversicht und Lebensfreude. All diese Härte und Enge ist wie weggeblasen, einfach von mir abgefallen. Der Stillstand ist beendet.
Ich habe mir jetzt auch vorgenommen, etwas völlig Neues zu beginnen. Etwas nur für mich. Etwas, was meinem Leben mehr Leichtigkeit schenkt, was keinen Zweck und kein Ziel verfolgt, was einfach nur Spaß macht, was mich aus meiner Komfortzone holt und eine weitere Seite in mir eröffnet.
Folgende 4 Dinge bin ich jetzt dabei in meinem Leben zu “implementieren”.
- Ungarisch lernen. Jetzt aber wirklich! Fix!
- Mein Saxophon reaktivieren und wieder regelmäßig spielen, vielleicht auch wieder Unterricht nehmen.
- Täglich mindestens 15 Minuten tanzen
- Und, tataaaaa! Ich werde Clownin! Das erste Modul einer Clownausbildung mit dem Titel “Den Clown in dir entdecken” ist bereits gebucht! Sollte ich diese Clownin in mir finden, mache ich weiter. Und wer weiß, vielleicht besuche ich in 4-5 Jahren in meiner ungarischen Zweitheimat als Clownin den örtlichen Kindergarten oder die alten Leute hier im Dorf. Nur so ein Gedanke….weil ich auch etwas zurückgeben möchte im Leben.
Ich bin wieder zurück! Yeah!
PS: Oft werde ich gefragt, warum ich hier so offen schreibe und mich so verletzlich zeige. Daher hier meine Erklärung: Auf Blogs und in den sozialen Medien bekommt man den Eindruck, das Leben der anderen verläuft immer glatt. Alles ist super, alles ist gut, alles ist großartig. Niemand hat mehr Probleme, keiner scheitert.
Mir ist es wichtig, mich als Mensch zu zeigen. Darum erzähle ich nicht nur von Erfolgen, vom Jubeln und Glück, sondern auch von meiner Zerrissenheit in manchen Lebenssituationen, von Angst, Trauer, Scheitern, Zweifeln und Verzweiflung…..was halt grade abgeht in meinem Leben.
Wer das nicht aushält, muss es ja nicht lesen 😉 Einfach weiterscrollen!
Mach ich mich dadurch verletzlich und angreifbar. Nein. Das Gegenteil ist der Fall!
Sylvia meint
Danke für diesen Beitrag. Ja Corona hat einiges total aus den Leben gekickt. Eine Phase der Handlungsunfähigkeit im persönlichen Bereich. Nichts zählte mehr, einfach weiterleben die Zeit überleben war angesagt. Eine Art Neuaufbau beginnt und auch zuerst bei mir. Auch aus Scherben kann etwas völlig neues enstehen. Das Tal der Tränen und Selbstisolatin ist durchlaufen.
Fröhlichkeit und Lebensfreude auf deinen Weg.
Sonja Schiff meint
Jas, das stimmt. Dir auch alles Gute für den weiteren Weg!
Annemarie von Gradowski meint
Hallo liebe Frau Schiff,
und wieder habe ich Sie per Zufall gefunden und bin ganz gerührt über Ihre Offenheit. Was für eine wertvolle Person.
Ihre Lebensgeschichte mit Corona kann ich genauso nachempfinden. Und auch heute im Jahr 2023 erlebe ich das die Menschen auf Spaß aus sind. Sicherlich die vielen schmerzlichen Gegebenheiten um uns herum, lassen uns schauern.
Liebe FRau Schiff, ich wünsche Ihnen viel Mut das Sie dranbleiben. Auch wenn es Tage gibt da ist es dann nicht so prickelnd. Und das dann auszuhalten ist ganz schön stark.
In sehr leibevollen Gedanke an Frau Sonja Schiff
Annemarie von Gradowski
Sonja Schiff meint
Liebe Frau Gradowski, danke für die Rückmeldung. Schön, dass Sie wieder vorbeigesehen haben bei mir :-) Liebe Grüße Sonja Schiff