Kennt Ihr auch das Gefühl, in Anbetracht des vielen Leids auf der Welt, die Ärmel hochkrempeln zu müssen, um das eine Stück mehr zu tun, das Ihr ohnehin tut als gesellschaftlich aktive und verantwortungsbewusste Menschen? Mir geht’s halt immer wieder so. Letztlich bleibt mein Beitrag aber immer eher bescheiden, den großen Schritt habe ich noch nie gemacht.
Umso mehr hat mich heuer mein Kollege Bernd Nawrata beeindruckt. Er ist Pflegeexperte und Unternehmer, wie ich, und war kürzlich als Seenotretter tätig.
Was aber treibt einen Menschen an, sich als Seenotretter zu engagieren? Warum wird man Seenotretter? Dazu durfte ich Bernd Nawrata befragen. Im Sommer 2019 war er 21 Tage lang mit der NGO „Mission LIFELINE“ im Mittelmeer unterwegs. Ich habe ihn dazu interviewt.
Warum ich Seenotretter bin? Weil ich es kann und weil ich Humanist bin.
Lieber Bernd Nawrata, Du warst vor einiger Zeit an einer Mission im Mittelmeer beteiligt. Könntest Du in kurzen Sätzen diese Mission und ihre Ziele erklären?
Ich war Kapitän der „Sebastian K.“ und damit Mitglied der NGO „Mission LIFELINE“, die sehr erfahren ist in der Seenotrettung. Unsere Aktion nannte sich „Yachtfleet“, unser Ziel war einerseits im Mittelmeer zu demonstrieren und andererseits Menschenleben zu retten. Für mich persönlich und auch die anderen Crew-Mitglieder stand die Seenotrettung im Vordergrund.
Wer steckte hinter dieser Mission? Und wer waren die TeilnehmerInnen?
Die NGO „Mission LIFELINE“ hat sich 2016 der Seenotrettung verpflichtet. 2018 wurde ihr Schiff LIFELINE in Malta beschlagnahmt. Nun wollte die NGO mit zwei, speziell dafür adaptierten, Segelyachten kontern.
An der Yachtfleet teilgenommen haben Menschen aus Deutschland, Österreich, Schweiz, Griechenland, Portugal, Italien und Syrien. Sie kamen aus unterschiedlichen Berufen, da war beispielsweise eine Politikwissenschaftlerin, die bei der UNHCR arbeitet dabei, ein Ausbildner der Schweizer Armee, ein Fotograf, ein Künstler, ein Filmemacher, da waren Notärzte, Pressearbeiter und IT-Techniker. Die Sprache während unserer Mission war Englisch.
Warum hast Du an dieser Mission teilgenommen? Was war Deine Motivation?
Weil ich es kann und weil ich Humanist bin. Ich segle seit 2001 Langstreckenregatten und deshalb weiß ich, wie es in der Nacht draußen auf See sein kann. Ich kann mir das Unvorstellbare vorstellen, nämlich wie 100 zusammengedrängte Menschen auf einem Gummiboot (Rubberboot) sich fühlen müssen, die nicht schwimmen können und die merken, dass die Luft im Boot immer weniger wird.
2015 ging das Bild des zweijährigen syrischen Jungen Alan Kurdi um die Welt, dessen Leichnam an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt wurde. Das ist meine Motivation.
Ich bin außerdem ein sehr erfahrener Skipper, habe Know-how in Teamführung, Krankenpflege und Notfall, und ich verfüge über eine psychotherapeutische Ausbildung, kann also Menschen in Krisen gut begleiten.
Außerdem: Als Selbständiger verfüge ich über ausreichend Zeit und Flexibilität. Ursprünglich wollte ich im Sommer 2019 in einem Team die ORC-Segel-Weltmeisterschaft fahren. Doch dann habe ich mich anders entschieden.
Seenotrettung statt Segel-WM
Wie hast Du Dich auf Deinen Einsatz vorbereitet?
Sport fördert nicht nur das körperliche Durchhaltevermögen, sondern auch die Resilienz. Außerdem habe ich mein Wissen um das Thema Posttraumatische Belastungsstörung und Notfallpsychologie aufgefrischt. Vorab haben wir einen 81-seitigen „operation plan“ erhalten, den ich oft studiert habe. Als Skipper der „Sebastian K“ war es mir vor allem wichtig die SOP´s (standard operating procedures) genau zu kennen.
Wie ist die Mission verlaufen?
Grundsätzlich gut. Es gab eine Vorbereitungsphase von sieben Tagen, danach waren wir zehn Tage im Einsatz am Mittelmeer und danach gab es vier Tage zur Nachbereitung.
In der Vorbereitungsphase wurde das Schiff umgebaut und daran Reparaturen vorgenommen. Außerdem standen auf dem Plan Sicherheitsbriefings, Segeltraining, verschiedene technische Trainings, Erste-Hilfe-Training, ein notfallpsychologisches Briefing und Einsatzbesprechungen, etwa eine tägliche Morgenrunde, um die Einsatzbereitschaft abzugleichen.
Danach waren wir 10 Tage am Mittelmeer. Zuerst nach Lampedusa, dort haben wir nochmals unsere Vorräte aufgefüllt. Um 23.00 Uhr bekamen wir plötzlich Besuch von den „Pilotes Volontaires“, das ist eine NGO, die mit Flugzeugen übers Mittelmeer fliegt und versucht Boote mit Flüchtenden ausfindig zu machen. Einer dieser Piloten erzähle uns, dass sie sechs Boote gesehen hätten, davon wären vier Boote von den Libyern zurückgebracht worden, bei zwei Booten hätte sich aber die Spur verloren. Dieses Bild hat sich in meinem Kopf eingebrannt. Man muss sich vorstellen: 19.000 Tote – Kinder, Frauen und Männer – sind seit 2014 im Mittelmeer ertrunken. Diese beiden Boote nicht gerechnet, sie verschwinden einfach.
Wir waren dann während der Mission insgesamt an zwei Suchaktionen beteiligt. „80 Personen auf einem blauen Rubberboot, kein funktionierender Motor, kaum Schwimmwesten“ kam da plötzlich über Funk und Mail rein. Unsere Kursberechnung ergab, dass sie 8 Stunden entfernt sind. Wir machten uns trotzdem auf den Weg. Doch zum Glück gelang es den Menschen den Motor wieder in Gang zu bringen, sie haben Lampedusa eigenständig erreicht. Ähnlich verlief auch der zweite Einsatz.
Keiner von uns hatte einen Rückflug gebucht
Wie geht es einem da als Mensch während so einer Mission?Man ist da schon immer unter Anspannung. Im Falle von Seenotrettung nähert man sich mit der Yacht nicht dem Rubberboot. Die Gefahr, dass Menschen dann einfach ins Wasser springen, weil sie rüber wollen, ist einfach zu groß. Die meisten können nicht schwimmen, es dauert durchschnittlich 30-60 Sekunden bis sie ertrinken. Den Erstkontakt macht man deshalb mit einem Schlauchboot, während sich die Yacht rund 800 Meter entfernt aufhält. Die Annährung und Kontaktaufnahme erfolgt nach strengen Standards. Zuerst werden Schwimmwesten verteilt, dann Wasser und danach werden die Menschen nach und nach von den Rubberbooten geborgen.
Immer begleitet hat uns auch die Frage, was mit uns passiert, sollten wir tatsächlich Menschen retten? Carola Rackete von der Seawatch 3 hat drei Tage vor uns abgelegt. Wie es ihr erging, ist bekannt. Von uns hatte auf alle Fälle niemand einen Rückflug gebucht.
Nach unserem Einsatz ging es noch vier Tage um den Rückbau der Schiffe, um Einsatz-Debriefing, Notfallpsychologisches Debriefing. Und dann folgte die Verabschiedung von der Crew. Die Verabschiedung von der Crew und der Mission wird mir immer in Erinnerung bleiben.
Was nimmst Du aus dieser Mission mit?
Ein ausgesprochen positives Gefühl. Das Verlassen der Komfortzone potenziert Wissen und Erfahrung.
Seenotrettung ist in aller Munde. Dein Statement dazu?
Wesentlich ist aus meiner Sicht in Diskussionen von den Vermischungen der Themen wegzukommen, es gibt vier große Themenbereiche:
- Die Verhinderung von Fluchtgründen, hier versagt die Politik kläglich.
- Die Seenotrettung selbst, hier behindert die Politik die aktive Arbeit mehrerer NGOs und hat ihrerseits die Seenotrettung eingestellt.
- Integration der Menschen, die wir im Land haben (und nicht Abschieben von Menschen in Krisenregionen mitten unter der Lehre).
- Es gibt keine Pull Faktoren, also die Behauptung Menschen machen sich deswegen auf den Weg, weil sie von NGOs gerettet werden. Das ist wissenschaftlich widerlegt.
Wie geht’s weiter? Wirst Du noch einmal bei einer Aktion dieser Art oder bei Seenotrettung mitmachen?
Natürlich bin ich wieder dabei! Gerade habe ich am „Langen Tag der Flucht“, das ist eine UNHCR Veranstaltung für Menschen ab 14, in Linz über LIFELINE und Seenotrettung referiert. 2020 plane ich an zwei Missionen teilzunehmen.
Weiterführende Informationen:
Bernd Nawrata, ist DGKP und MAS, er arbeitet seit 1994 selbständig als Pflegeberater / Seminarleiter und Unternehmer im Gesundheitswesen. Sein Spezialgebiet ist Demenz und psych. Verhaltensauffälligkeiten. Mehr unter www.carecomponents.at und www.pflege-daheim.at
Mehr Infos zur NGO Mission Lifeline unter www.mission-lifeline.de
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