Kürzlich war ich auf einem Seminar zum Thema Altersbilder. Es ging, neben einer kritischen Betrachtung bestehender Altersbilder in unserer Gesellschaft, auch um unser ganz persönliche Altersbild. Wie möchte ich sein als alte Frau? Wer möchte ich sein? Wie soll mein Leben im Alter sein?
Ich möchte ein Paradiesvogel sein im Alter!
So weit ich mich erinnere, habe ich mich als bunt gesehen, als Paradiesvogel. Aber, wenn ich länger darüber nachdenke, ganz ehrlich, ich bin mir nicht so sicher, ob ich den Mut zu diesem Paradiesvogel wirklich haben werde. Kann ja auch sehr anstrengend sein das Leben als Paradiesvogel, immer aus der Reihe zu tanzen und aufzufallen, immer skeptische Blicke ernten.
Vielleicht steht dieser Wunsch nach dem Paradiesvogel einfach nur für ein Stück Sehnsucht, wenigstens im Alter den Mut zu mehr Verrücktheit zu haben? Oder der Begriff Paradiesvogel steht dafür, dass ich um Gottes Willen nicht grau, angepasst und unauffällig werden möchte. Hmmmm…..
Lotti Huber – ein Vorbild fürs Alter
Vor einigen Tagen ist mir dann die deutsche, bereits verstorbene, Künstlerin Lotti Huber über den Weg gelaufen. Eine Nachbarin hat mir anlässlich meiner Genesung das Buch „Diese Zitrone hat noch viel Saft!“ geschenkt, eine Art Autobiografie dieser außergewöhnlichen Frau. Ich will jetzt gar nicht groß das Buch und die Biografie von Lotti Huber hier vorstellen, die könnt ihr HIER auf Wikipedia nachlesen oder, das empfehle ich dringend, gleich das Buch.
Ganz kurz zusammengefasst: Aufgewachsen in Kiel als jüdisches Kind aus gutem Haus, landet Lotti Huber als junge Frau im Konzentrationslager, kommt frei und flieht nach Palästina, arbeitet dort als Tänzerin in einer Bar, heiratet, geht nach Zypern, lässt sich scheiden, betreibt eine Bar auf Zypern, heiratet erneut, geht nach England und betreibt ein Restaurant, wechselt dann nach Berlin, führt dort eine Benimmschule bis der Ehemann stirbt.
Danach vermietet sie Zimmer ihrer großen Wohnung, ist als Produktverkäuferin tätig, als Übersetzerin von Groschenromanen, wird Kleindarstellerin und als diese von Rosa von Praunheim entdeckt. Mit 75 Jahren startet Lotti Huber ihre Filmkarriere. Und was für eine! Rosa von Praunheim macht sie zum Star in den drei Filmen Unsere Leichen leben noch, danach Anita- Tänze des Lasters und den semidokumentarischen Film Affengeil – eine Reise durch Lottis Leben.
Lotti Huber war für viele Kultfigur, für andere aber auch „die seltsame Alte“. In selbstgeschneiderte Kleider gehüllt, einen Dutt am Kopf, stark geschminkt und behangen mit Schmuck, an jeder Hand zwei große Ringe, tanzte, schrieb und sang sie bis zu ihrem Tod 1998. Lotti Huber wurde 85 Jahre alt.
Mir war Lotti Huber kein Begriff. Zumindest so lange nicht, wie ich via Youtube recherchierte. Da stellte ich fest, klar kannte auch ich sie. Aber ich habe sie damals wohl eher am Rande mitbekommen, war wohl noch zu jung für dieses Original. Hier die große Lotti Huber in der Harald Schmidt Show im Jahre 1995. Ist sie nicht eine Wucht? Sie redet Klartext, ohne Schnörkel, immer geradeaus und dabei so viel Humor! Herrlich.
Jede Zeit ist meine Zeit!
Auf den letzten Seiten ihres Buches Diese Zitrone hat noch viel Saft! sagt Lotti Huber einiges zum Leben als alte Frau, was mir sehr zusagt, mich berührt oder wo in mir alles ruft: Ja genau! So sehe ich das auch!
„Mit den ersten Falten stellen sich besonders Frauen oft in eine Warteposition, treten auf der Stelle und werden natürlich immer unzufriedener. Sie werden sich ihrer Falten bewusst, nicht aber ihrer Fähigkeiten. Dabei stecken in jedem Menschen so viele Möglichkeiten. Ich glaube nicht, dass ich da eine Ausnahme bin. Ich bin nicht die alte, weise Frau, die erhaben über dem Leben steht. Ich riskiere, ich fordere heraus, ich will mittendrin stehen. Ja, das Leben ist für mich eine großartige Reise und ganz bestimmt kein Wartesaal. Jede Zeit ist meine Zeit.“
Jede Zeit ist meine Zeit! Auch wenn mein Leben nicht so bunt und schräg verlaufen ist, wie Lotti Hubers Leben, aber dieser Satz passt auch wunderbar zu mir und meinem Leben. Immer nach vorne schauen. Nichts bereuen. An eine Zukunft glauben. Den Lösungen und neuen Wegen begegnen und die Chancen ergreifen. Darauf vertrauen, dass am Ende alles gut wird.
Auf die wiederholte Frage, wie sie es schaffen konnte so jung zu bleiben, antwortete Lotti Huber im Buch: „Nein, ich bin nicht jung. Bestimmt nicht. Ich bin erfahren, ich liebe meine Erfahrungen. Und ich bin immer bereit, etwas dazuzulernen. Wenn das jung ist, dann bin ich es eben!
Lotti!! So wunderbar diese Sätze! Danke, danke, danke! Dazulernen, jeden Tag. Bis zur letzten Lebenssekunde! Genau so und nur so!
Vielleicht habe ich doch beste Chancen ein Paradiesvogel zu werden im Alter. Muss ja nicht gleich mit lila Samtkleid, Federboa, Dutt und künstlichen Wimpern sein.
Claudia Signitzer meint
Liebe Sonja, du hast mir wieder Mal so richtig aus dem Herzen geschrieben. Ja, immer und jetzt ist unsere Zeit.
Viel Freude weiterhin mit dem Verbrauchen deiner Zeit.
Alles Liebe wünscht Claudia
Monika Krampl meint
Ich habe zu diesem Thema heute in meinem Blog das (noch immer) Tabuthema „Altsein und Sexualität“ dazu geholt.
„(…)
Mir fehlt das Lustgefühl der Sexualität.
Wenig wird über Sexualität geredet und geschrieben.
Wir könnten doch über die körperliche Liebe sprechen – genauso wie wir über andere Dinge unseres Lebens sprechen. Ob sich Einsamkeit oder die Liebe in unseren Nächten breit macht …
Und dabei sind wir Alten doch frei zu leben – auch Erotik und Sexualität. Wir können nicht mehr schwanger werden! Müssen uns um keine Verhütung kümmern.
Welche Freiheit!
Und wir können auch unsere Liebes-Fähigkeiten wachsen lassen – in unseren Herzen, in unseren Seelen und in unseren Bäuchen.
Welche Freude!
Herzlich noch mehr Menschen zu lieben; spirituelle allumfassende Liebe zu leben – und es ist egal ob mit oder ohne Religion; erotische Liebes- und Orgasmusfähigkeit.
(…)“
Hier der ganze Text: https://monikakrampl.wordpress.com/2018/04/03/ueber-das-altsein-und-das-tabuthema-sexualitaet/
LG Monika