Weiter geht es mit meinem Textexperiment „Hilfe, mein Mann geht in Pension!“, welches vielleicht ein Buch wird. Die vorhergenden Texte dazu könnt Ihr HIER lesen.
Die letzten Wochen verbrachte ich hauptsächlich in den Weiten des Internets. Ich zappte mich von Homepage zu Homepage und las jeden Happen zum Thema Ruhestand, der mir gerade geboten wurde. Da fanden sich, neben vielen Fotos glücklicher Ruheständler und fröhlicher pensionierter Ehepaare, Artikel mit Titel wie „10 Tipps für angehende Ruheständler“ und „Anleitungen für die geglückte Abschiedsfeier“ oder „Anregungen für die ersten drei Monate nach dem Pensionsantritt“, sowie jede Menge Bücher mit dem Titel „Projekt Ruhestand“ oder „Wenn der Wecker nicht mehr klingelt.“
Online bestellte ich hoffnungsvoll ein kleines Sortiment Ratgeber und las mich tagelang durch diese Literatur. Selbstverständlich heimlich, denn mein Mann Alexander hat einfach genug um die Ohren.
Meine Bedenken und Ängste scheinen übertrieben. Laut Recherchen gehört der Ruhestand zur am meisten erfüllenden Zeit des menschlichen Lebens. Endlich keine Zwänge mehr, endlich viel Freizeit, endlich nicht mehr um sechs Uhr morgens aufstehen müssen, endlich Zeit für die wirklich wichtigen Dinge, etwa fürs Wandern, Schwimmen, Lesen und Reisen. Ein wenig muss Mann und Frau sich schon umstellen, aber wenn das geschafft ist, steht dem Glück bis zum Lebensende quasi nichts mehr im Weg.
Mein mulmiges Gefühl lässt sich leider trotzdem nicht verscheuchen. Hartnäckig klopft es an meine Gehirnzellen und Magenwände. Ich frage mich, wie erleben andere Frauen die Pensionierung ihres Mannes. Es kann doch unmöglich sein, dass ich die einzige Frau auf diesem Erdball bin, die ihrem Mann den glücklichen und sich frei fühlenden Pensionisten einfach nicht zutraut. Andere haben doch sicher auch Männer, die jahrelang nur eines im Kopf hatten, nämlich ihre Arbeit. Andere Frauen müssen doch auch ahnen, dass ein altersbedingtes Arbeitsverbot beim werten Gatten zu einer Lebenskrise führen wird. Und bei mir als Ehefrau zu einem Freiheitsverlust. Wenn es ganz schlimm wird, sogar zu einem Betreuungsauftrag! Ich hab schon einige Frauen kennengelernt, deren Männer nach der Pensionierung krank wurden. Depression, Schlaganfall, Herzinfarkt.
Als ich mir gerade mit diesen Fragen meine Gehirn zermarterte, stolperte ich über ein Inserat. Genaugenommen ist Carla, die Freundin mit dem computerspielesüchtigen Ehemann, über dieses Inserat gestolpert. Wir saßen im Kaffeehaus, tratschten ein bisschen über die aktuellen Modetrends und blätterten dabei gleichzeitig achtlos in Zeitungen, als Carla rief: „Was es alles gibt auf dieser Welt!“ Danach legte sie ihre Zeitung auf den Tisch, tippte mit den Fingern auf ein großes Inserat und las laut vor: „Auf in den Un-Ruhestand! 3 tägiges Seminar zur Vorbereitung auf die Pension. Jetzt auch in Ihrer Nähe.“ Ich verschluckte mich fast an meinem Latte Macchiato.
„Welcher Mann geht bitte freiwillig zu so einem Seminar?“ fragte Carla mit staunenden Augen und fügte an „So ein Mann merkt doch nicht einmal, dass er Probleme hat.“
Ich stellte mir in Gedanken meinen Mann Alexander vor. Der taffe Vorstandsvorsitzende im Sesselkreis neben zwanzig anderen angehenden Pensionisten, die ebenfalls mit mulmigem Gefühl Richtung Ruhestand blicken. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie Alexander schon in der Vorstellungsrunde klarstellte, dass er nur anwesend wäre, weil seine Frau ihn geschickt hat. Er hätte mit Sicherheit keine Probleme mit dem Pensionsantritt. Also verwarf ich die Idee meinen Mann mit dem Seminar zu überraschen rasch. Als Carla Richtung Toilette verschwand, riss ich mir kurzerhand das Inserat aus der Zeitung.
Drei Wochen habe ich das Inserat mit mir herum getragen. Die in der Anzeige genannte Homepage zeigte zu meiner Überraschung eine mittelalte, freundlich lächelnde Lebensberaterin. Kein vertrauensvoller männlicher Anzugträger mit Personalmanagementvergangenheit hält dieses Seminar, sondern eine Frau mit roten Haaren und sichtbarem Spaß am Leben. Dr. Alexander Schiller wäre sicher irritiert.
Immer wieder und wieder besuchte ich die Homepage der rothaarigen Expertin für Ruhestandsfragen. Endlich rang ich mich durch und tippte die im Inserat genannte Nummer in mein Telefon. Während des Wählens merkte ich, dass ich gar nicht so genau wusste, was ich eigentlich sagen sollte. Trotzdem hielt ich weiter das Telefon an mein Ohr und lauschte dem Freizeichen. Als eine nach Lebenserfahrung klingende weibliche Stimme freundlich ihren Namen nannte, hörte ich mich sagen: „Hilfe, mein Mann geht in Pension.“
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Bei den Texten unter der Rubrik „Hilfe, mein Mann geht in Pension“ handelt es sich um ein Text-Experiment. Vielleicht wird daraus ein Buch, vielleicht nur eine Kurzgeschichte, vielleicht wird alles auch wieder verworfen. Ich freue mich über Eure Rückmeldungen, Kommentare und Reaktionen.
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