Lieber Udo Jürgens,
deine Lieder haben mich durch meine Kindheit und Jugendzeit begleitet, wie Mutters Gulasch, die Sendung DalliDalli und meine bunten Wollstrumpfhosen. Du warst also nichts Besonderes für mich. Du warst einfach da. Immer schon. Du warst selbstverständlicher Teil dieser Welt. Meiner Welt.
„Griechischer Wein“ konnte ich singen fast zeitgleich mit „Hoch auf dem gelben Wagen“, „Aber bitte mit Sahne“ sang ich gern mit meiner Mama, wenn sie einen fröhlichen Tag hatte. Und das „Ehrenwerte Haus“ brüllte ich mit Begeisterung durch Stiegenhaus, wenn sich wieder Mal die Nachbarin über mein Gehüpfe aufregte.
Später dann, ich hoffe Du verzeihst, waren mir Rod Steward und Mick Jagger näher. Du und Deine Lieder, Ihr ward einfach nicht cool genug dagegen anzuhalten. Und überhaupt, deutsche Texte! Das war nicht mehr meine Welt. Das war die Welt meiner Eltern! Ein wenig spießig, brav und angepasst. So wie Du. Dachte ich damals.
Jahre später erst fand ich wieder zu Dir. Die wilden Typen aus meiner Jugendzeit hatten sich alle als Chaoten oder Egoisten entpuppt. Ich hatte bereits mühsam gelernt, dass immer lässig zu sein verdammt anstrengend ist und mich nicht weiter bringt. Ich war gerade aus meiner langandauernde Sturm- und Drangzeit in den nächsten Lebensabschnitt katapultiert worden. Ernüchtert und ein wenig ratlos saß ich nun da, in meinem kleinen Leben.
Da hörte ich irgendwo dein Lied „Ich war noch niemals in New York“. Deine Stimme umhüllte mich mit Geborgenheit, Erinnerung an vermeintlich glücklichere Zeiten und setzte gleichzeitig eine neue Sehnsucht in mein Herz. New York! Ein neues Ziel, einen neuen Traum. So etwas bewirkt in einer Krise Wunder! Übersetzt könnte man sagen, Du hast mir beim Erwachsenwerden geholfen. Naja, zumindest ein klein wenig.
Seitdem bist Du für mich der europäische Sinatra. Weiterhin ein wenig zu brav und angepasst nach meinem Geschmack. Aber Deine Stimme brachte in mir immer etwas zum Klingen. Wenn ein Lied von Dir gespielt wurde, egal in welcher Situation ich gerade war, ich hielt inne in meinem Tun und kam ein Stück zur Ruhe.
Seltsamerweise habe ich mir von Dir noch nie eine Platte oder CD gekauft, fällt mir gerade ein. Eigentlich eine Schande. Werde ich bald nachholen! Aber nur auf Vinyl!!
In den letzten Jahren wurde meine Beziehung zu Dir etwas professioneller. Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Thema Älterwerden. Zuerst nur beruflich, aber seit einigen Monaten auch privat. Bin grad erst 50 geworden. Ja, stelle Dir vor, Du bist jetzt für mich so etwas wie ein Vorbild gewesen. Jetzt im Alter fand ich Dich richtig, richtig cool. Ich mochte es, wie Du einfach geblieben bist wie und wer Du bist. Wie Du Dein Leben einfach weiter gelebt hast. Wie Du keinen Anlass sahst Deine Arbeit, Deine Musik zu beenden. Keinen Anlass sahst zu beenden, was Du liebst.
Heute habe ich erfahren, dass Dich das Herzversagen bei einem Spaziergang ins Jenseits befördert hat. Bei so vielen verstorbenen Menschen/ Künstler der letzten Jahren war ich erschüttert. Vor allem wegen der Tragödien, die da immer passierten. Bei Dir heute dachte ich mir nur: Wie schön! Kurz nach einer Tour. Bei einem Spaziergang! Was für ein cooooooler Abgang! Deiner würdig. Gott, so es ihn gibt, muss Dich und Deine Lieder lieben!
Adieu, Lebensbegleiter! Adieu, Vorbild!
Adieu, cooler Udo!
Und Danke für Alles!
Elsbeth Ruetten meint
Liebe Sonja Schiff, Sie haben in Worte gefasst, was ich spüre und fühle, wenn ich an Udo Jürgens denke! Herzlichen Dank für so viel Seelenverwandschaft! Ich durfte ihn zweimal auf der Bühne erleben – Es waren Events der Spitzenklasse. Herzlichen Dank für diesen gelungenen Nach- und Zuruf!!!
Herzlichste Advents- und Weihnachtsgrüße
Elsbeth Rütten
Sonja Schiff meint
das freut mich!
Horst Konrad meint
Also Sonja! das überrascht Deine Eltern. Das ist ein echt würdiger Nachruf auf den großen Sänger der Menschlichkeit.
Sehr berührend, danke
Deine Eltern
Horst und Christl Konrad
Sonja Schiff meint
Ich hab Euch berührt? Wie schön! :-)
Veronika Konrad meint
Ein sehr schöner Brief Sonja. Lustig, ich habe als Kind auch immer die Platten von Udo Jürgens gehört. Mama hatte ja ein paar in ihrer spärlichen Plattensammlung. Am liebsten hörte ich natürlich die Klassiker, aber auch das verruchte Lied, es wird Nacht Senorita und ich hab kein Quatier, nimm mich mit in dein Bettchen, will auch gar nichts von dir, ein bisschen Liebe vielleicht, ich bin müde vom Wandern und ich liebe auch dann nicht so schlecht wie die andern, lalalalalalala. ;-))))
Sonja Schiff meint
:-) danke dir!