Ich gestehe, ich war nervös als ich sie mir schrieb, sie würde mein Buch lesen. Mag. Dr. Solveig Haring. Selbständige Wissenschaftlerin, Videographin, Lehrende, Uni-Lektorin und ehemalige Betreuerin meiner Masterthesis.
Was sagt wohl eine Wissenschaftlerin, die Meinung und Sichtweise immer wissenschaftlich begründen muss, die nicht einfach so aus dem Bauch heraus Meinung vertreten darf, zu meinem subjektiven Buch? Zerreißt, ja zerfetzt sie es in der Luft? Immerhin hatte ja sogar ICH beim Schreiben oft viele Probleme mit dieser rein subjektiven Schilderung meiner Arbeit und ihre Wirkung auf mein Leben.
Zum Glück gab sie mir bereits während des Lesens immer wieder mal via Facebook Rückmeldung. Etwa in dem sie mir dieses Foto hier schickte, es zeigt ihren Hund Elvis mit meinem Buch, und meinte, das Buch wäre spannend.
Heute trudelte ihre Rezension bei mir ein. Übrigens ohne Aufforderung. Hätte mich ja gar nicht getraut zu fragen. Die Frau ist vielbeschäftigt!
Aber jetzt ist sie daaaaaaaaaa und ich darf sie hier veröffentlichen!
REZENSION
10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte. Einsichten einer Altenpflegerin.
Autorin: Sonja Schiff
Sonja Schiff gibt denen, die gepflegt werden, einen Namen und eine (Lebens)Geschichte. Durch ihre eigene biografische Rückschau und die Reflexion ihrer Pflege-Erfahrungen lässt uns Sonja Schiff näher rücken, an sich aber auch an uns selbst: Haben wir Angst – vorm Sterben derjenigen, die wir pflegen? Unser Lebensrucksack ist voll mit Erfahrungen und Lebensaufträgen, die es abzuarbeiten oder auch einmal auszumisten gibt (S. 142). Zu Beginn einer Pflegebeziehung wissen die Pflegenden nicht, welche Geschichten sie erwarten, sie arbeiten mit dem „Unsichtbaren“.
Das Buch ist ein kritisches Plädoyer für die Pflegenden. Die Pflege ist weiblich und auch viele zu Pflegenden sind Frauen, einige Männergeschichten haben den Weg ins Buch dennoch geschafft: Z.B. der Herr, der den Rollator als unmännlich erlebt und seine Blutergüsse nach dem Sturz nicht von einer Ärztin oder einem Arzt anschaun lassen will (S. 47).
Die Autorin wagt sich an das, in der Wissenschaft als Konstruktion entlarvte, Weisheitsbild der Älteren heran, Altersweisheit, das ist eine Zuschreibung – Weise wird man nicht von allein. Es ist die lebenslange Reflexion des eigenen Handelns, die uns weise werden lässt (vgl. S. 61).
„Weisheit entsteht als Prozess einer immerwährenden Reflexion, sie muss aktiv erworben werden, über das ganze Leben. Jeder Mensch ist damit selbstverantwortlich dafür, ob er vom Leben lernt und damit reift, oder nicht. Damit beginnen kann jeder sofort, heute noch. Etwa in dem er bewusst und regelmäßig innehält, sich Zeit für einen kritischen Rückblick nimmt, Erkenntnisse sammelt, abspeichert, für die Zukunft lernt und auf diese Weise manche Fehler vermeidet. Was habe ich gut gemacht? Wo hätte ich etwas besser machen können? Wem muss ich danken? Bei wem soll ich mich entschuldigen?“ (Schiff 2015, S. 61). Genau diese Fragen werden zu Silvester auch von der Autorin selbst regelmäßig durchgeackert. – Ihr Jahreswechselritual (S. 63).
Das wahre Altersbild
Da ist eine alte runzelige Frau im Spiegel, wer ist das? Ein Selbstbild das wir im Alter von uns nicht zulassen, lieber glauben wir die anderen sind alt – lieber räumen wir die Spiegel weg. Die Seele bleibt jung und frisch und schön. Die runzelige Frau will niemand sehen, nicht einmal sie selbst will hinschauen, (S. 41.)
Die Auseinandersetzung mit dem Altersbild der Pflegenden, dem eigenen Altersbild und dem eigenen Älterwerden gelingt Sonja Schiff ehrlich ungeschminkt und humorvoll (S. 58). Da werden wir älter und bringen immer die gleichen Selbstbewusstseinsprobleme mit in die nächste Runde: zu unansehnlich zu klein, zu groß zu dick, zu dünn, zu alles. Und dann sehen wir unsere alten Photos auf denen wir die hübschesten jungen Dinger sind (vgl. S.76).
Liebe ist… die Masken abnehmen: Schiff holt uns hinein in die Beziehungsgeheimnisse von Paaren, die seit 60 Jahren zusammen sind, von Witwen die ihr Leben alleine meistern und von gleichgeschlechtlichen Beziehungen, die noch im Alter verschleiert werden (S. 143). Innigkeit, Vertrauen, Sicherheit und selbstverständlich auch Erotik bleiben bis zum Tod bei uns. „Die erotische Fantasie stirbt nie. Und eigentlich ist das doch ganz wunderbar“ (S.156).
Die Reflexionen über das Sterben und den Tod zeigen, wie individuelle dieser Prozess für die Sterbenden ist und wie emotional belastend er auch für die Pflegenden ist. „Altenpflege wird zur Fließbandarbeit“. Nicht die fehlende Zeit hält die Pflegenden davon ab, „in Begegnung zu gehen. Es hat auch etwas mit uns zu tun, mit Angst vor zu viel Nähe, mit Angst vor Schmerz, mit dem Glauben, wir müssen uns abgrenzen und schützen (…)“. (S. 182f.).
Zuhören, in die Augen schauen, Zeit nehmen, das was da erzählt wird – auch von den Vielfacherzählern – ( S.58) für die eigene Reflexion verwenden, das ist Sonja Schiffs Motto. Und wer zuhört bekommt, Lebensgeschichten, längst verdrängte Erfahrungen, Trauer, Zorn und Lebensweisheiten zu hören.
Sonja Schiff ist ein gescheites, anrührendes, realistisches, postmodernes Trostbuch für die Pflege gelungen.
Rezension: Sol Haring
Monika Krampl meint
Wunderbar! Danke – für das Buch und die Rezension!
LG Monika Krampl