Sie kennen sicher alle Schlagzeilen wie „Wohin mit der Alterslast“ oder „Können wir uns die vielen Alten noch leisten?“ oder…oder….
Es ist schon erstaunlich, wie dieses Bild von der gesellschaftlichen Bedrohung durch die Zunahme alter Menschen in unserer Gesellschaft zu einer scheinbar allgemeingültigen Tatsache geworden ist. Medien, Politiker, Autoren (man denke an Frank Schirrmachers Buch „Das Methusalem – Komplott) plappern dieses negative Altersbild rauf und runter.
Immer wieder stolpere ich auch in meiner Arbeit über diese angebliche volkswirtschaftliche Bedrohung. Ich unterrichte in Krankenpflegeschulen. Wann immer ich die Herausforderungen der demografischen Entwicklung thematisiere, steht mit hundert Prozentiger Sicherheit eine der Auszubildenden auf und meint: „Wir können uns die viele Alten bald nicht mehr leisten.“ Wenn ich nachfrage was genau bald nicht mehr leistbar sein wird, kommt der Satz: „Na, die vielen Rentner und die Pflege.“
Woher kommt dieses erschreckende Altersbild?
Stimmt es denn wirklich, dass die „Alten“ so teuer sind und bald nicht mehr leistbar?
Um den Auszubildenden dazu entsprechend zu begegnen, habe ich mich auf die Suche gemacht nach wissenschaftlichen Artikeln diesbezüglich. Und ich bin fündig geworden. Die beiden österreichischen Gerontologen Anton Amann und Franz Kolland beschäftigen sich seit Jahren mit den Herausforderungen der demografischen Entwicklung und wie Gesellschaft und Politik damit umgehen.
Amann und Kolland vertreten die Meinung, und können diese fast chronologisch nachweisen, dass das Schreckgespenst der Altenlast eine bewusst herbeigeführte Vorstellung von Alter und alternder Gesellschaft ist.
„Es geht also um die Konstruktion der Vorstellung von Alter und Altern als globale Belastung. Konstruktionen sind Ideen, die in bestimmte Semantiken gefasst, als Ordnungsvorstellung sich verbreiten, und durch Anerkennung sich zu sozialen Tatsachen verdichten, die von den Menschen als faktisch vorhanden angesehen werden. Die wichtigste soziale Konstruktion, international bereits durchgesetzt und akzeptiert, sodass sie den meisten bereits als unabänderliche Tatsache erscheint, ist die Belastung der nationalen Budgets durch die Alten.“ (Amann & Kolland, 2008).
Die beiden Gerontologen zeigen auf, über welch langen Zeitraum dieses Bild von Alter und Altern bereits entwickelt, wie sehr das weltweite Altern politisiert wird und wie dabei die Globalisierung und zunehmende weltweite Ungleichheit eine tragende Rolle spielt.
Amann und Kolland sprechen davon, dass deutlich zu erkennen ist, wie ideologische Strategien angewendet werden, damit diese negative Wahrnehmung des Alters in wirtschaftliche und politische Entscheidungen einbezogen wird. So erstarkt aus ihrer Sicht der Neoliberalismus und reitet feindselige Attacken gegen den Sozialstaat, mit dem Ziel staatliche Versorgung zu minimieren. Es wird zunehmend der Blick gerichtet auf die ökonomische Position des Nationalstaats. Und in Belange, die über Jahrzehnte Sache der einzelnen Staaten waren, wie etwa Arbeit, Pflege und Gesundheit, mischen sich zunehmend OECD, WTO, Weltbank und EU ein. Also Organisationen, die einzig einen wirtschaftlichen Fokus im Blick haben.
Amann und Kolland rufen denn auch dazu auf, diesem neoliberalen Altersbild nicht zu folgen, sondern zu fragen, wem dieses Altersbild nützt? Welche Motive hinter dem Aufbau dieses Alterbildes stehen? Und wie dieses bewusst gesteuerte Altersbild politische Prozesse und Entscheidungen beeinflusst.
Mir fallen hier sofort private Pensionsversicherungen ein, die propagiert werden, weil angeblich in Zukunft die Pensionen nicht mehr sicher sind. Ich denk aber auch an die vielen Gemeinden, die früher ihre eigenen Pflegeheime betrieben, diese aber längst an Konzerne übergeben haben, aus Angst vor der finanziellen Überforderung.
Im Übrigen: Die Ausgaben in Österreich und Deutschland für die Soziale Sicherung, die sogenannte Sozialleistungsquote (da drin sind alle Ausgaben des Staates wie Familienbeihilfe, Arbeitslosengeld, Karenzgeld, Pflege, Wohnbeihilfen…..etc.) ist insgesamt nur unwesentlich gestiegen. Gesellschaft war immer schon in Bewegung. Werden viele Kinder geboren, hat ein Staat hohe Ausgaben im Bereich Familienbeihilfe, Wohnen, Erziehung, Bildung. Gibt es in einem Staat viele alte Menschen, sind die Ausgaben für Pflege höher. So ist es eben, Gesellschaft ist und war nie statisch. Die Mär von den achso teuren Alten, die sich der Staat bald nicht mehr leisten kann, dient einzig und alleine dazu das Soziale System, den Sozialstaat an sich, zu destabilisieren.
Literatur: Amann, Anton & Kolland, Franz (Hrsg.), 2008, Das erzwungene Paradies des Alters?, Fragen an eine Kritische Gerontologie. Wiesbaden.
ilse meint
ich finde es total wichtig dieser vorstellung von „den alten“ als bedrohung zu widersprechen. gut, dass es diese arbeit gibt, die es als konstrukt enttarnt, das den sozialstaat destabilisiert. ist wichtig.
Sonja Schiff meint
finde ich auch, Ilse. darum halte ich den artikel jedem politiker, jeder politikerin, der/die mir über den weg läuft unter die nase :-)