Vor einigen Monaten habe ich in meinem ungarischen Dorf Dr. István Bessenyei kennengelernt, 72 Jahre alt, Soziologe, fünf Kinder, zwei Enkelkinder, zwei Scheidungen, lebt jetzt mit Hund, Katze und großem Garten allein. Mehr von ihm HIER.
István Bessenyei war lange Jahre in der Bildungsforschung tätig, mit Auslandsjahren in Deutschland und Österreich. Zur Zeit ist er pensionierter Universitätsdozent, tüftelt aber laufend an neuen Projekten, vor allem der Wissenstransfer zwischen den Generationen beschäftigt ihn sehr, wie unsere vielen Gespräche immer wieder zeigen.
In den letzten Monaten ist mir István Bessenyei ein Freund geworden. Ich habe mich daher heute sehr darüber gefreut, als er mir seine Gedanken zu meinem Buch in einem Kommentar geschickt hat. Und weil ich mich darüber so freue, stelle ich die Rezension hier als eigenen Beitrag rein. Danke István für Deine Worte! Sie bedeuten mir viel!
Erlebte und erzählte Lebensgeschichten – Versuch einer Rezension
Die psychiatrische Krankenschwester Sonja Schiff verbindet in ihrem Buch „10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte“ die eigene Lebensgeschichte mit dem erlebten Schicksal und erzählten Lebensbiographien alter Menschen und berichtet darüber mit schriftstellerischem Talent.
Woraus ergibt sich die Faszination dieses Buches, in dem die „10 Dinge”, die sie von den Alten gelernt hat, in bloßer Titelform als Gemeinplätze wirken könnten? („Das Leben ist unberechenbar”, usw.) Sonja Schiff schafft es, eine belehrende Theoretisierung zu vermeiden und baut die Biographieerzählungen als Reflexionsrahmen in ihre eigene Lebensgeschichte mit einer erstaunlichen Natürlichkeit ein. Sie stellt durch die in lebendiger, klarer Sprache erzählten Geschichten dar, wie das in der Pflege Erlebte in ihre eigene Lebensentwicklung eingeflossen ist.
Ich – selbst früher in der Wissenschaftsbranche tätig – hatte zuerst gewisse Vorbehalte, als ich ihre von den Erlebten abgeleitete und auch mit Unterstützung des wissenschaftlichen Vokabulars (wie z. B. bei Behandlung von Verdrängung und Erinnerungsarbeit, oder über Weisheit und Wissen) formulierten Ratgeberteile zu lesen begann. Diese – wie es sich für mich beim Lesen herausgestellt hat, wichtigen und lehrreichen Teile- sind auch deswegen überzeugend, weil Sonja Schiff einerseits auch diese Aussagen durch klare, originelle Formulierungen lebendig machen kann, andrerseits weil hinter diesen Aussagen immer erlebte Geschichten und tiefgehende Lebensreflexionen stehen, und das verleiht auch diesen – wirklich lehrreichen – Teilen hohe Authentizität.
Außerdem habe ich mich zuerst gefragt – nachdem ich im Laufe einer Projektarbeit viel über Biographieanalysen und Biographietherapie lesen musste: Was kann mir dieses Buch anbieten? Dann wurde mir der krasse Unterschied klar: Während die Autoren in den streng wissenschaftlichen und in einer beinahe verschlüsselten Gelehrtenrsprache geschriebenen Arbeiten ihre Subjektivität weitgehend zurücknehmen mussten, nimmt Sonja Schiff in den Geschehnissen dagegen mit intensiver Subjektivität teil und schafft gleichzeitig, ihr Erfahrungswissen auch objektiv und sprachlich wirksam und überzeugend darzustellen.
Ihre Darstellungskraft entsteht auch daraus, dass sie während der Alterspflege aufmerksam, emphatisch und mit Hingabe zugehört hat. So gelang es ihr, die Lehren der gehörten, erlebten Narrativen mit den eigenen Biographiegeschichten zu verknüpfen. Auf diesem Wege entstand ein faszinierender Entwicklungsroman, in dem wir verfolgen können, wie ihr zuerst teilweise fragmentiertes, zerrissenes Leben durch bewusste Lernprozesse immer mehr Kohärenz und Kongruenz gewonnen hat.
Sonja Schiff hat von den alten Menschen viel gelernt. Über Leben und Tod, über Liebe und Vergänglichkeit, über Misserfolge und erfolgreiche Krisenbewältigung, über den Sinn des Lebens.
Ich, der Leser, selbst schon über 72, habe durch ihre starke schriftstellerische Kraft und präzise dokumentarische Vermittlung gelernt, was eigentlich ein tiefgreifendes, aufrichtiges, befreiendes und förderndes „live review“ bedeutet.
István Bessenyei
28. November 2015, im westungarischen Dorf, wo auch Sonja Schiff ein Domizil hat.
Erhältlich ist mein Buch in jeder guten Buchhandlung, sowie natürlich
im Onlineversand wie etwa bei Amazon.
Karin Immler meint
Toll Sonja, das ist ein schönes Kompliment für deine Arbeit. Da darfst du wirklich stolz darauf sein.
Liebe Grüße
Karin
Sonja Schiff meint
Hallo Karin, ja das empfinde ich auch so!