„Ab jetzt gibt es weniger Kekse“, kündigte meine Mutter vor drei Jahren überraschend der Familie an und fügte erklärend hinzu „Ich bin jetzt 75 Jahre alt, Kekse backen ist anstrengend“. Zum Glück hat sie sich an ihre Ankündigung bis heute nicht gehalten. Verändert hat sich an ihren Keksen für mich trotzdem etwas.
Ich hasse Kekse backen. Dieses fitzelige Arbeiten, dieses Kleinklein, dieses stundenlange Wuzeln und Rollen macht mich wahnsinnig. Es gibt Frauen, die entspannen dabei oder kommen gar in besinnliche Vorweihnachtsstimmung. Ich aber werde beim Kekse backen übellaunig und gereizt. Es war für mich daher über viele Jahre mehr als praktisch, dass meine Mutter es liebt Kekse zu produzieren. Aus ihrer Sicht gehört es sich für eine gute Mutter einfach, den Kindern Weihnachtskekse zu schenken, selbst dann noch, wenn diese Kinder längst erwachsen sind. Jahr für Jahr im Advent oder spätestens am Heiligabend, schleppt daher bei uns jedes Kind (wir sind drei) mindestens eine sehr große Keksdose voll mit Vanillekipferl, Nussmakronen, Linzeraugen, Kokosbusserl, Zimtsternen und weiteren Kekssorten nach Hause.
Als meine Mutter vor drei Jahren plötzlich meinte, sie würde jetzt nicht mehr so viele Kekse backen, weil sie langsam alt wird, da war mein erster Gedanke ganz egoistisch „Scheibenkleister! Jetzt muss ich selbst anfangen zu backen“. Ein Weihnachtsfest ohne Weihnachtskekse ist dann ja doch kein richtiges Weihnachtsfest. Also selbst ist die Frau, notgedrungen. Noch im gleichen Jahr habe ich angefangen zu backen und mit 51 Jahren war es das erste Mal umgekehrt, ICH habe meiner Mutter Weihnachtskekse geschenkt. Neben etwas groß geratenen Vanillekipferl und Zimtsternen auch die hässlichsten Weihnachtskekse Österreichs.
Im Jahr darauf konnte ich aber meine Backerfahrungen schon wieder beenden. Meine Mutter hatte sich neu orientiert und entschieden, nun doch weiterhin über ausreichend Kraft zu verfügen, um drei erwachsene Kinder samt Lebenspartner, sowie den eigenen Ehemann mit Weihnachtskeksen verköstigen zu können. Ich war erleichtert. Was genau diesen neuerlichen Energieschub auslöste, blieb Mutters Geheimnis.
Gestern war ich mit meinem Mann, wie jedes Jahr, zum Adventbesuch bei meinen Eltern. Meine Mutter hatte aufgekocht, ihre berühmte Rindsroulade mit Reis, köstlicher Sauce und Salat. Nicht alles war glatt gegangen, der Druckkochtopf funktionierte nicht, daher war sie spät dran als wir eintrudelten und sie war sichtlich nervös, hektisch, aufgebracht. Meine Mutter ist beim Kochen Perfektionistin. Gut für uns zu kochen ist für sie ihre Art, uns ihre Liebe zu beweisen. Funktioniert das irgendwie nicht oder gibt’s Probleme, etwa weil der Druckkochtopf streikt, wird sie panisch, ist sie bitter enttäuscht und traurig. Aber letztlich ging alles gut, die Rindsroulade schmeckte wunderbar nach Kindheit, also einfach famos. Der gemeinsame Nachmittag war sehr entspannt und nett.
Kurz vor unserem Aufbruch war es dann so weit. Meine Mama verschwand in Richtung Speisekeller und kam, nach einigen Minuten, stolz und mit lächelnden Augen die Treppe hoch. In der Hand zwei Keksdosen für die große Tochter.
Wie mich dieses Lächeln plötzlich rührte, dieser Stolz in ihren Augen, diese Geste der Keksübergabe! 78 Jahre ist sie jetzt alt meine Mutter, ich ihre älteste Tochter zähle 53 Lenze. Was hat sie alles mitgemacht mit mir! Welche Krisen wir gemeistert haben! Wie wütend ich oft war auf sie! So viele Jahre hatten wir eine wirklich schwierige Beziehung, aber wir uns nun doch zusammengerauft!
„So lange Du Eltern hast, bist du für jemanden Kind“, ging mir durch den Kopf und schlagartig wurde mir klar, wie kostbar Mutters Kekse eigentlich sind.
Wie viel Energie meine Mutter in Vanillekipferl & Co hineingibt, wie viel Liebe. Was über Jahre irgendwie selbstverständlich war, auch als erwachsenes Kind Weihnachtskekse von der Mutter zu bekommen, ist plötzlich etwas ganz Besonderes. Irgendwann wird meine Mutter tatsächlich nicht mehr so viele Kekse backen können. Irgendwann wird sie vielleicht diese Kraft gar nicht mehr haben. Und irgendwann, ich hoffe in noch weiter Ferne, wird es in meinem Leben keine Kekse backende Mama mehr geben.
„So lange Du Eltern hast, bist du für jemanden Kind.“
Mamas Kekse! Ich habe sie viel zu lange nicht ausreichend gewürdigt.
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