Heute habe ich auf Facebook ein Foto geteilt von Linda Evans, die 71 Jahre alt wurde. Das Bild übernahm ich von der Plattform „Fashion Over Fifty“, die fast täglich Fotos von Prominenten älteren Frauen zeigen, die Geburtstag haben. Hier nun das Foto von Linda Evans:
Auf dieses Foto hat Bernadette, eine Leserin des Blogs VielFalten, folgenden Kommentar abgegeben:
Na denn- dazu also ein Vergleich damals und heute? Aber, das- speziell sie ist für mich kein Beispiel für den Titel: „in Ehren alt werden“. Sorry, aber nach diversen Schönheitsoperationen mittels genügend Geldmittel kann jede Frau in diesem Alter noch so aussehen…..keine echten Falten mehr, aufgespritzte Lippen….und was auch immer. Da lobe und zeige ich lieber jede total runzelige, aber echte „70/80jährige Dame“.
Dieser Kommentar hat mich sehr beschäftigt und ich hab etwas emotional darauf reagiert. Jetzt hatte ich einige Stunden Zeit nachzudenken, hinein zu fühlen was mich da genau beschäftigt, was mich bewegt, worauf genau ich reagiert habe.
Die erste Frage, die sich mir aufwarf, war die Frage, ob es eine Pflicht gibt in „Ehren“ zu altern. Ich finde es gibt von Seite der Gesellschaft etwas arg viele Vorgaben, wie man zu altern hat. Aktiv soll man altern, produktiv soll man sein und in „Ehren“ oder mit „Würde“ soll man auch noch altern. Gibt es eine unausgesprochene Pflicht in „Ehren“ zu altern? Und wer bewertet, was ehrenvoll ist?
Meine Position dazu ist, dass jeder Mensch altert, wie er/ sie gelebt hat. Wenn die Schönheit lebenslang das größte Kapital war, wenn die Selbstdefinition vor allem über die Schönheit passierte, wenn die Schönheit in der beruflichen und persönlichen Akzeptanz und Anerkennung eine Schlüsselrolle spielte, dann können Falten eben zu einer Krisen führen, dann kann Botox & Co eine vermeintliche Lösung sein. Ist es unehrenhaft zu Botox zu greifen?
Mir fällt spontan Madonna ein. Da gab es vor 2/3 Jahren dieses Foto von dem sie muskelbepackt und sehr dünn runter lächelte. Was wurde über dieses Foto und über diese Frau gelästert. Für mich jedoch passte alles, war ihr Aussehen, war ihr Umgehen mit ihrem Älterwerden sehr stimmig. Ich hatte ein paar Jahre davor ihre Autobiografie gelesen und dabei erfahren, wie hart Madonna an ihrem Aussehen, an ihrer Figur, an ihrem Stil und an ihrer Karriere gearbeitet hat. Sie war immer eine Kämpferin, sie hat immer trainiert und war sehr hart zu sich, sie war immer extrem diszipliniert. Warum genau sollte sie jetzt nicht mehr hart um ihren Körper ringen? Wie sollte es zu diesem Wandel gekommen sein? Würde sie mehr „Würde“ oder „Ehre“ zeigen, wenn sie sagen würde: „Ab jetzt ist Schluss mit trainieren, ich steh zu meinem Schwimmreifen“?
Verstehen Sie mich nicht falsch. Für mich käme Botox nicht in Frage. Kann ich mir gar nicht leisten. Außerdem hasse ich Spritzen und Schmerzen. Ich bin schlichtweg viel zu feig für Botox. Außerdem, da müsste ich ja dann auch noch hier und dort Fett absaugen lassen, meinen Busen verkleinern und und und…….! Aber ich kann verstehen, wenn Frauen versuchen bei Altersveränderungen zu schummeln.
Die ersten Falten in meinem Gesicht, vor allem meine tiefe Marionettenfalte auf der linken Seite, fand ich alles andere als schön. Ich hab sie nicht freudig begrüßt. Ich hab nicht gejubelt: „Schön, dass du endlich da bist!“ Ganz im Gegenteil. Ich hab mich mehrmals vor den Spiegel gestellt, die Haut kurz vor den Ohren nach hinten gezogen und festgestellt, dass diese miese kleine Falte sofort weg wäre und ich ein strahlendes, faltenloses Gesicht hätte.
Doch, doch, ich verstehe Frauen, die zu Botox greifen. Ich kann den Schritt nachvollziehen. Und ich finde er hat nichts mit mangelnder „Würde“ oder „Ehre“ zu tun. Wir sind wer wir sind. Wir bleiben wer wir sind, auch beim Älterwerden. Was uns heute wichtig ist, ist uns auch morgen wichtig. Worauf wir heute Wert legen, darauf legen wir auch morgen Wert.
Ich war nie eine klassisch schöne Frau. Mir haben nie die Männer reihenweise nachgepfiffen und ich hab nie mit meiner Schönheit den Verkehr lahmgelegt. Ich kann damit leben, dass ich Falten bekomme und mein Busen langsam den Nabel erreicht. Ich verliere nichts. Aber ich gewinne auch keine Ehre damit! Außerdem, pfeif auf die Ehre! Pfeif auf die Pflicht ehrenvoll zu altern! Pfeif auf Konventionen!
Dieser Widerstand gegen Konventionen ist übrigens Teil meines Lebens. Man wird eben älter, so wie man gelebt hat. Auch ich. Und Bernadette wohl ebenso.
suzie meint
„Meine Position dazu ist, dass jeder Mensch altert, wie er/ sie gelebt hat.“ dieser satz ist der einzige, den ich anzweifle, denn es heißt, man hätte eine art kontrolle darüber, was einem im leben zustößt und was nicht. schönheit finde ich sowieso suspekt, weil sie immer einen hang zur konvention hat. aber was ist mit behinderungen? hat mensch dann so gelebt, dass er/sie dann darunter leidet, schlecht zu hören? oder nicht mehr laufen zu können? das finde ich, geht zu weit.
Sonja Schiff meint
Hallo Suzie, interessant dein Einwand. Hab daran noch nie gedacht, dass man den Satz auch auf auftretende körperliche Probleme beziehen könnte, So hab ich das sicher nicht gemeint. Wobei in manchen Fällen stimmt es schon. Wenn ich jahrelang Leistungssport mache, dann formt das auch meinen Charakter und meinen Umgang mit Niederlagen und diese Strategien kann ich einsetzen, wenn ich im Alter Beeinträchtigungen erlebe. LeistungssportlerIn gewesen zu sein wirkt sich auch auf meine Gelenke aus….und die tun mir dann im Alter weh….hier stimmt der Satz, wenigstens zum Teil. ich meine mit dem Satz aber eher, dass man sein Leben mitnimmt ins Älterwerden, seine Persönlichkeit, seine Erfahrungen, seine Werte, seine Strategien mit Krisen umzugehen und mit all dem bewältigt man dann sein Älterwerden. Diese Tendenz, dass man für seine Gesundheit im Alter selbst verantwortlich ist, teile ich auf keinen Fall! Man hat keine Kontrolle über Krebs, Behinderung oder ähnliche Schicksalsschläge. danke für deinen Kommentar!
Bernadette meint
Liebe Sonja,
„in Ehren alt werden“- diese 4 Worte können wahrlich zum nachdenken einladen. Deine Gedanken dazu sind gut, aber sie sind einseitig. Wie meine Gedanken dazu halt auch. Somit gebe ich Dir recht. Aber darum geht es uns ja nicht, so denke ich. Nicht um Rechthaberei, sondern um unterschiedliche Betrachtungsweisen zum Alter und altern allgemein. Daher freut es mich sogar, dass Dich meine Gedanken dazu angeregt haben, noch einmal zu reflektieren, zu hinterfragen und Deine Sichtweise erneut darzustellen. Genau das mag ich als Kommunikations-Forscherin und Wissenschaftlerin (OHNE TITEL). Wenn Menschen sich miteinander auseinandersetzen, ohne verbal dabei im Keller zu landen.
„Jeder Mensch altert, wie er/ sie gelebt hat“ ist eine absolut einseitige Aussage, wieder einmal. Wieder einmal rein subjektiv also. Denn es ist nicht festgeschrieben, wie ein Mensch altert. Und es gibt hunderte an Beispielen dafür, dass diese Aussage nicht stimmt. Ein Mensch altert nicht wie er gelebt hat, er altert, wie seine innere Haltung ist, wie seine Erbanlagen den Grundstein gelegt haben usw usw.
Und: er hat die freie Wahl, ob er- nur weil er zB in jüngeren Jahren dem Schönheitswahn, dem Ansehen in der öffentlichkeit etc gefolgt ist, dies auch noch im hohen Alter so weiter machen möchte……was- je älter dieser Mensch wird, umso schwieriger und komplizierter und somit auch anstrengender wird. Also nicht erstrebenswert- selbst im ALter noch ständig darauf achten zu müssen. Und viele tun dies auch dann im ALter nicht mehr, im Gegenteil- sie leben aufeinmal ganz anders.
Was, wenn mich eine Krankheit oder dramatische Situationen dazu bewegen, mein gesamtes bisherges Leben udn Dasein zu verändern? Dann lebe ich doch im ALter nicht mehr so, wie ich mein Leben vor dem Tag X gelebt habe.
Wie gesagt, meine Vergangenheit, mein bisheriges Leben legt nicht unweigerlich fest- wie ich mich im Alter verhalten und leben, mein Leben, mein ICH, mein Dasein und mein Empfinden gestalten werde. Das ist in meinen Augen und Erfahrungswerten absolut nicht wahr. Und auch ich studiere die Menschen, auch das Alter und die ALtersbilder etc seit ca 30 Jahren.
Worin ich mit Deiner Meinung aber absolut konform laufe ist folgendes:
„Ich finde es gibt von Seite der Gesellschaft etwas arg viele Vorgaben, wie man zu altern hat.“
Das ist es, was uns am allermeisten Probleme bereitet und noch bereiten wird. Und genau deswegen ist es ja meiner Meinung nach so unendlich wesentlich, dass wir uns die Zeit und Muße nehmen können, altern zu dürfen, in Ruhe, pragmatisch, gelassen, selbstzufrieden etc etc pp
Das aber wird so nicht gewollt und nicht pupliziert. Man muss zB angeblich geistig hoch aktiv sein- sonst droht unweigerlich Alzheimer/Demenz. Man muss dazu gehören (wozu eigentlich?) auch wenn man viel lieber mit sich selbst alleine sein möchte und es einem gut tut, dieses Alleinsein. Die Gesellschaft sagt dazu: das ist falsch. Blödsinn.
Aber vielleicht hast auch Du absolut RECHT indem was Deine Meinung hierzu ist. Wer weiss. Darum geht es uns doch auch nicht, oder? Wie gesagt, alles hat bekanntlich mehrere Facetten und Nuancen…….genau das macht unser Leben und unser Mitteinander, speziell in der Kommunikation miteinander- ja so spannend, zugleich auch so ungemein kompliziert.
Danke für die immer wieder interessanten Gedanken und Diskussionen. Ich schätze Dich als Mensch.
LG, B.E.
Sonja Schiff meint
Ich bleibe dabei. man altert wie man gelebt hat. Klar kann man Positionen und Sichtweisen ändern auch im Alter. Aber wenn man dies im Alter tut, dann war man auch früher schon reflektiert, dann hat man auch früher schon sein Leben hinterfragt. Und tut man es nach einem Schicksalsschlag, dann ist der Schicksalsschlag Teil dieses Lebens aus dem man etwas gelernt hat und mitnimmt ins Altwerden. Entscheidungsmöglichkeiten hat man immer. Nur ob man Entscheidungen trifft, ob man den Mut hat neue Wege zu gehen hat wieder mit der Persönlichkeit zu tun, die man geworden ist im Laufe des Lebens.
Naja, wie auch immer – auf alle Fälle ist es spannend das Älterwerden. Und es ist individuell! Darum nennt sich der Blog auch „VielFalten“ :-) Lieben Gruß und danke für dein Engagement beim Kommentieren!
Marianne meint
Ich finde man soll so altern wie man es will. Warum immer nur nach den Normen leben die andere vorgeben? Wenn eine Frau mit 70 keine Falten haben will, dann soll es tun, ist ihre Sache und auch ihr Leiden (Spritze und Operation- pouah!!) Komischer Weise kommt die Kritik immer von viel jüngere Frauen, die noch keine oder wenig Falten haben, Glauben diese Damen das sie selbst davor geschützt sind? Ehrlich gesagt, gut auszusehen gefällt in jedem Alter und jeder möchte es auch, sogar Männer , manche akzeptieren eben hre Falten und andere nicht , sonst ist kein Unterschied. Und das man sein Äusseres pflegt ist eigentlich nur eine Höflichkeit der Umwelt gegenüber. I.
Sonja Schiff meint
danke dir marianne! freu mich, dass du meine artikel liest. liebe grüße nach paris!