Seit 2.10.2014, meinem 50. Geburtstag, poste ich täglich ein unzensuriertes Selfie von mir. Das heißt, ich halte die Handykamera hoch, drücke auf den Auslöser und lade das Foto hoch. Kein Schminken vorher und kein Haare richten. Nur auf gutes Licht achte ich, ihr sollt mich ja sehen können :-)
Immer wieder höre ich bezüglich dieser Selfies die Frage „Warum machst du täglich ein Selfie von Dir?“ und auch Aussagen wie „Du bist vielleicht eine Selbstdarstellerin“ oder „Du bist ja Selfiesüchtig!“ Kürzlich meinte eine Facebook-Bekannte, ich wäre ja nur auf Bestätigung und Likes aus.
Für mich ist es interessant, wie unterschiedlich meine Selfies erlebt werden. Es gibt LeserInnen dieses Blogs oder BesucherInnen meiner Facebook-Seite, die mein Selfieprojekt 50plus sehr spannend finden, die mich sofort kontaktieren, wenn ich mehrere Tage keine Selfies hochlade und fragen, ob alles okay ist. Und dann gibt es eben auch andere, die meinen es wäre doof, Eitelkeit, Selbstdarstellung.
Bin ich eine eitle Selbstdarstellerin?
Das Selfieprojekt 50plus ist entstanden, als ich den Film „Portrait of Lotte“ sah. Ein Vater fotografierte 14 Jahre lang seine Tochter, vom Baby bis zum 14. Geburtstag. Ich fand dieses Video einfach großartig.
Also dachte ich, es wäre doch auch spannend zu sehen wie jemand alt wird. Seitdem schieße ich Tag für Tag meine Selfies. Noch sieht man mein Älterwerden nicht, sind ja erst 235 Tage vergangen. Aber in 10 Jahren, wenn ich 3650 Selfies hintereinander lege in einem Film, wird man mein Altern sehen können. Und in 20 oder 30 Jahren noch viel mehr.
Mach ich das aus Eitelkeit? Mach ich das für Euch?
Um ehrlich zu sein, ich mache es für mich. Ich selbst möchte mein Altwerden dokumentieren, für mich selbst. Mit Eitelkeit hat es wohl wenig zu tun, denn nicht immer gefällt mir was ich sehe und bei manchen Selfies kostet mich das Hochladen sogar Überwindung. Ich habe auch noch keine Ahnung, wie es sich anfühlen wird, nach und nach mein Älterwerden zu sehen. Die Veränderungen der Haut., die Zunahme der Falten, das Größerwerden meiner Nase und Ohren, das Trüberwerden meiner Augen…….wird mir wahrscheinlich nicht immer gefallen. Wird mir sogar sicher nicht immer gefallen.
Warum ich dieses Projekt öffentlich mache?
Für mich ist der Austausch über Blog und Soziale Medien einfach Alltag, Teil meines Lebensstils, meiner Gesprächs- und Diskussionskultur. Hier finde ich Ideen, lote Themen aus, kommuniziere mit unterschiedlichsten Menschen, die eben „real“ nicht greifbar sind und entwickle Projekte im Austausch weiter. Ich habe keine Angst zu viel von mir zu zeigen, zu viel preis zu geben. Es gibt nichts zu Verstecken. Altwerden ist eine Lebensrealität. Von uns allen.
Das Selfieprojekt 50plus ist eine Art Selbsterfahrungsexperiment.
Es geht um mein Älterwerden über die kommenden Jahre. Ich mach die Selfies für mich.
Eure Kommentare sind Teil dieses Projektes. Natürlich mag ich es, wenn ihr mein Tun und damit mein Älterwerden beobachtet und kommentiert. Aber ich brauche keine Zurufe a la „Du schaust gut aus“. Sie tun mir manchmal gut, keine Frage, weil ich, wie Millionen anderer Frauen, auch ein etwas gestörtes Verhältnis zu meinem Aussehen habe. Aber ich bin mir dessen bewusst, dass ich diese Zurufe irgendwann nicht mehr erhalten werde, weil ich eben irgendwann nicht mehr „gutaussehend“ sein werde, sondern alt, sehr alt.
Das Selfieprojekt 50plus ist mein persönliches Selbsterfahrungsprojekt.
Aber ich finde es schön, dass Ihr dabei seid.
suzie traktor meint
naja,
punkt 1: man und frau darf selbstdarstellerin sein. das eigene leben darf dargestellt werden.
punkt 2: alles ist eitel. ich auch.
punkt 3: den prozess der älterwerdens zu beobachten ist ein rojekt, das gerade jetzt, wo jungbleiben als leistung gilt, ein kommentar zur gesellschaftlichen wertung von „alter“. wir werden nämlich alle jung geboren und dann werden wir älter.
punkt 4: die künstlerin frield kubelka hat vergleichbares gemacht. ich mag ihre arbeit sehr und sehe jene von sonja in dieser tradition ( Kubelka started on her long-term project, Year’s Portraits, in 1972. For this, the artist took pictures of herself with a camera on a daily basis over a period of one year – a process that has been repeated every five years since. This conceptually-structured work on the subject of self-portraiture produces a complex picture of a woman’s search for her own identity by alternating excessive poses of female self-representation with documents of personal retreat., in http://www.raum-mit-licht.at/en/friedl-kubelka-cv-5.html)
Sonja Schiff meint
hihihi, suzie! stimmt, alles ist eitel und selbstdarstellung darf sein! danke für den hinweis auf das projekt von kubelka, kannte sie ja nicht, finde das projekt aber wunderbar!
rochus gratzfeld meint
so do i!
Cornelia Heinrich meint
also ich seh deine Selfie´s immer wieder mal in meiner scrolllist und hab mir kein einziges Mal die Fage gestellt, ob du die vielleicht aus Eitelkeit oder zur Selbstdarstellung postest. Und das du das nicht für mich – also für IRGENDWEM da draußen machst, ja stellt das irgendwer in Frage, echt jetzt?!
Mach weiter – ich find dein Selbsterfahrungsprojekt cool. Nächste Jahr klopft der 5.Nuller bei mir an – keine Ahnung, wie ich damit umgehen werde und ob das irgendwas verändert. Und vielleicht beginn ich ja auch mit dem Dokumentieren meiner 2. Lebenshälfte – ob öffentlich oder nicht, sei mal dahin gestellt.
Über andere urteilen werde ich jedoch nie und nimmer – soviel hab ich in meiner 1. Lebenshälfte schon gelernt.
Alles Liebe dir & stets gutes Licht… ;-)
Sonja Schiff meint
hallo cornelia, dann wünsche ich für den start in den 50er alles alles gute! freu mich, dass du dabei bist und meine selfies „im auge“ hast :-)
Christian F. Freisleben meint
Also eitel ist kein Wort, das irgendwie zu Dir „passt“, viel eher mutig, selbstbewusst, stark! Ich finde das Projekt toll und hoffe, dass sich in der Serie mal ein Duo-Selfie von uns zwei ausgeht :-)
Sonja Schiff meint
unbedingt, lieber christian!!! bin ab spätherbst oft in st. pölten!
tonari meint
Du hast meinen Respekt. Ich finde es nämlich mutig und sehr selbstbewusst, sich so offen zu präsentieren.
(Und sich damit -siehe die Kommentare – angreifbar zu machen.)
Das könnte ich nicht. Vermutlich würde ich das mit dem Bildermachen auch regelmäßig vergessen ;-)
Jedenfalls freue ich mich jeden Tag aufs Neue auf Dein Foto, auf dem Du manchmal genauso zerknautscht ausschaust wie ich.
Ich bin Dir alterstechnisch übrigens ziemlich genau ein Jahr voraus. :lol:
Sonja Schiff meint
:-) zerknautscht gehört zum leben :-D liebe tonari!
Renate meint
Ich finde das Projekt spannend! Mir selbst ist bei eigenen Bildern aufgefallen, dass sie mir kurz nach der Aufnahmen oft nicht gefielen. Ich mir Jahre später dann aber sage, ach was sieht das doch nett aus. Ist ja immer relativ. Zum Thema Eitelkeit. Ja, für Fotos schminke ich mich stärker. Ungeschminkt finde ich mich schrecklich auf Fotos, immer schon.
Im Vergleich ist es interessant, dass man sich selbst ganz anders auf Fotos betrachtet als es andere tun. Mit einer gemeinsamen Tanztruppe haben wir immer mal unsere Fotos und Videos geschaut. Beim ersten Betrachten schaut jede sehr kritisch auf sich selbst. Da fallen dann auch Bemerkungen. Erst beim nächsten Durchgang auch auf andere. Ich glaube, dass Frauen meist viel zu kritisch mit ihrem Selbstbildnis sind.
Es ist noch in langer Weg bei uns bis zur Selbstsicherheit und dem „ich stehe zu meinen Falten, Rundungen oder was auch immer“.
Liebe Grüße
Renate
Sonja Schiff meint
Hallo Renate. Danke für die nette Rückmeldung. Beim Lesen Deines Kommentars habe ich mir bei jedem Satz gedacht: Ja, genau. Ja genau :-)
rochus gratzfeld meint
Liebe Renate, den Künstler Rochus Gratzfeld fragen immer wieder Frauen, ob er denn nicht Aktfotos von ihnen machen möchte. Dann besprechen wir Vorstellungen und Wünsche. Ja und dann – ist das „gemeinsame Projekt“ zumeist beendet, bevor es angefangen hat. Denn der Rochus macht zwar Kunst, hasst aber Künstlichkeit. So lehnt er meist dankend ab.
Renate meint
Lieber Rochus,
Kunst anstatt Künstlichkeit, das ist sehr ehrenwert! Wir sind viel zu sehr von den Bildern in den Medien geprägt, die alle mit Photoshop bearbeitet sind. Vielen Frauen fehlt dann wohl der Mut. Sie wollen ein idealisiertes Ich abgebildet haben. Ich habe mir deine Arbeiten angeschaut. Sehr interessant.
Liebe Grüße
Renate