Aufgrund meines Buches 10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte bin ich im Moment als Rednerin gut gefragt. Außerdem halte ich seit 2001 laufend Seminare. Ich spreche also regelmäßig vor kleinen Gruppen von etwa 25 Personen wie auch vor 200 oder 300 Menschen.
Kürzlich, nach einem Auftritt in Regensburg, kam wieder einmal eine Teilnehmerin auf mich zu. Nach einigen Fragen zu meiner Rede meinte Sie: „Dass Sie das so können, so frei reden. Ich hab schon Angst, wenn ich vor 20 Leuten etwas sagen muss. Da muss man schon geboren sein dafür, um so öffentlich auftreten zu können.“
Fragen und Aussagen dieser Art höre ich seit Jahren. Vor allem von Frauen. Die meisten Geschlechtsgenossinnen denken scheinbar, ich stehe schon seit dem Kindergarten auf der großen Bühne. Sorry, ich muss Euch enttäuschen. Alles hart erarbeitet. Und ich bin dabei durch die Hölle gegangen, vor allem zu Beginn.
In der Schule gehörte ich zu den eher Schüchternen. In Diskussionsrunden dachte ich darüber nach, was ich gerne sagen würde, während andere einfach sagten, was sie dachten. Bei mir blieb es beim Denken, ich wagte den Schritt nie. Zu groß war meine Angst mich zu blamieren, die Angst ausgelacht zu werden.
Ich war etwa 25 Jahre als ich mit meinem damaligen Chef bei einer öffentlichen Diskussion war. In mir war wieder diese Stimme, die etwas zu sagen hatte, die aber den Kloss im Hals nicht überwinden konnte. Also flüsterte ich meinem Chef zu was ich dachte, in der Hoffnung er als Chef würde eh aufstehen und seine Stimme erheben. Falsch gedacht. Nach dem dritten oder vierten Flüsterer meinte er: „Warum stehen Sie eigentlich nicht selbst auf und sagen öffentlich Ihre Meinung?“ Also tat ich, was zu tun war, weil ich mich vor ihm nicht blamieren wollte. Ich stand auf. Meine Knie schlotterten, der Knödel im Hals wuchs, die Zunge klebte auf meinem Gaumen und mein Herz pochte. Ich stotterte meine Meinung irgendwie heraus und hoffte insgeheim das alles zu überleben. Als ich fertig geredet hatte applaudierten die Menschen im Saal.
Danach folgten noch viele ähnliche Momente. Nicht immer fand ich meinen Mut. Als ich mein erstes Seminar halten sollte mit einer Kollegin, ließ ich sie, trotz guter Vorbereitung, am Seminartag im Regen stehen. Ich meldete mich krank. Dafür schäme ich mich noch heute.
Bei meinem ersten großen Auftritt, es war eine Tagung mit rund 200 BesucherInnen, ging ich auf die Bühne und während ich nach oben schritt, überschwappte mich eine Hitzewelle, mir wurde schwarz vor Augen und meine Beine wurden weich. Ich hatte das Gefühl mir droht gleich ein Kollaps, gleichzeitig fiel mir ein, dass ich es nicht mehr geschafft hatte vorher auf die Toilette zu gehen. Als Krankenschwester weiss ich, dass bei so einem Kollaps der Blasenmuskel außer Kontrolle gerät und so dachte ich auf dem Weg zum Rednerpult: „Das wird jetzt echt peinlich, ich werde gleich öffentlich zusammenbrechen und mich dabei anpinkeln. Na wunderbar!“
Um es kurz zu machen: Diese Peinlichkeit blieb mir erspart. Nach drei Minuten beruhigten sich Herz und Beine und ich hielt meine Rede. Im Publikum saß eine Frau, der ich auf ewig dankbar bin, denn sie ließ mich ankern. Diese Frau erkannte wohl meine Not und nickte mir während des gesamten Vortrages aufmunternd zu. Ich ließ sie nicht mehr aus den Augen. Mein Vortrag ging an Sie. Am Ende meiner Rede stand sie auf, ihre Lippen formten ein „Bravo“ und sie klatschte. Ich bekam Standing Ovations.
Diese mich stärkende Frau hat mich gerettet, deshalb folge ich seit Jahren ihrem Beispiel und stärke Frauen, die es wagen öffentlich ihre Stimme zu erheben. Untersuchungen zeigen nämlich, dass männliche Redner über Körpersprache und Gesten von den Zuhörern viel Unterstützung erhalten, selbst wenn sie nicht gerade die klügsten Gedanken von sich geben. Frauen am Rednerpult erhalten dagegen vom Publikum eher negative Rückmeldungen, hochgezogene Auenbrauen etwa, Kopfschütteln oder eine geschlossene Körperhaltung. Übrigens auch von Frauen.
Ich stärke Frauen konsequent über meine Körpersprache, auch wenn sie Blödsinn reden. Einfach weil ich weiß, es braucht viel Mut aufzustehen und seine Stimme zu erheben. Alleine das gehört aus meiner Sicht belohnt.
Jetzt bin ich gerade unterwegs nach Wien. Heute am Nachmittag halte ich ein Referat auf einer Fachtagung. Ich bin nervös. Natürlich nicht mehr in dem Ausmaß wie damals beim ersten Auftritt. Aber mein Magen flattert jetzt schon leicht und ich weiß, wenn ich nach vorne gehen werde zum Rednerpult, wird mein Herz einen Sprung machen und eine leichte Hitzewelle wird mich umspülen. Mein Körper will immer noch fliehen! Aber mittlerweile weiß er auch, dass er mir vertrauen kann und wir den Auftritt gut über die Bühne bringen werden.
Also, nein, ich wurde nicht als große Rednerin geboren. ich habe es einfach nur gelernt. Ich habe mich überwunden und jedes mal einen kleinen Sieg errungen. Bis heute.
Wenn ich das konnte, dann kann das übrigens jede Frau und jeder Mann. Auch Du! Also, nur Mut. Steh auf, geh nach vorne und erhebe auch Du Deine Stimme. Es lohnt sich.
Renate meint
Liebe Sonja,
ich fühle mich ertappt. Ich habe es immer gehasst, vor Publikum zu reden.
LG
Renate
Sonja Schiff meint
:-)