Venedig. Nach 37 Jahren bin ich nun doch zurückgekommen. Das letzte Mal habe ich diese Stadt besucht im Alter von 18 Jahren und habe sie gehasst. Ich war ein blühendes, dralles Mädchen mit blondem Haar und das Venedig der 80er Jahre war zu dieser Zeit kein gutes Pflaster für junge Frauen wie mich. Nie in meinem Leben danach bin ich auf einer Reise so viel angebaggert worden, habe ich so viele sexuelle Übergriffe erlebt, wie damals in Venedig. Deshalb war Venedig für mich lange Zeit auch keine Reise mehr wert. Bis zum Oktober 2019.
Kurz vor meinem 55. Geburtstag habe ich der alten Dame nun doch noch einmal eine Chance gegeben. 5 Tage lang bin ich eingetaucht in diese Stadt. Ausgestattet mit vielen Tipps, teilweise begleitet von einer Freundin, die Venedig liebt. Viel war ich aber auch alleine unterwegs, immer eher auf weniger touristisch abgetretenen Pfaden (soweit das in Venedig überhaupt möglich ist) und habe mir diese Stadt zurückerobert.
Kurz die Eckdaten zu meiner Venedig-Reise:
- 5 Tage, inclusive Ankunfts- und Abreisetag
- Unterkunft: Airbnb-Wohnung nahe der Universitá Cá Foscari
- Mobilität: An- und Abreise mit dem Zug, in Venedig ausschließlich unterwegs zu Fuß und mit Vaporetto (72 Stunden- Ticket, gekauft direkt am Bahnhof Santa Lucia).
Hier nun meine 10 Tipps für Venedig. Kommt mit auf meine „slow-journey“ durch die Stadt der Kanäle und des Wassers.
Vaporetto, Vaporetto oh ohhhh!
Ohne DEM öffentlichen Verkehrsmittel geht in Venedig gar nichts. Wie in anderen Städten öffentliche Busse, so verkehren hier in Venedig eben die Wasserbusse, genannt Vaporetto. Es gibt 20 Linien und man kommt damit überall hin, hinein nach Venedig, kreuz und quer und rundherum, zum Festland, auf die anderen Inseln. Überall. Am besten kauft man gleich ein Ticket für 1,2 oder 3 Tage, dann kann man diese Stadt, ohne sich weiter Sorgen machen zu müssen, erobern.
Ich mag es Orte (und auch Länder) mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erkunden. Man sieht einfach mehr als Häuser und Plätze, man bekommt auch ein Gefühl für die Menschen und ihr Leben. In Venedig erfährt man während der Fahrten mit dem Vaporetto etwa hautnah, was es heißt mit den Kanälen und dem Wasser zu leben. Auch die Geschäftigkeit der Stadt, den Trubel des täglichen Lebens, bekommt man gut mit. Und man erkennt: Hier ist alles irgendwie doch langsamer. Vielleicht ist es das viele Wasser, welches einfach Gemächlichkeit auslöst. Stress in Venedig scheint einfach weniger stressig zu sein.
Da geht’s schon auch mal richtig rund am Wasser. Alles wird über diesen Weg an und abgeliefert, ob das nun die Schmutzwäsche des Hotels ist, die Pakete von UPC oder ein privater Umzug.
Sich treiben lassen ohne Ziel.
Venedig ist eigentlich eine kleine Stadt. Kompakt. Übersichtlich. Dank des sehr guten öffentlichen Verkehrs via Vaporetto und der grandiosen Erfindung Google Maps, kann man sich hier auch nicht verirren. Ich bin stundenlang einfach losgezogen, Kanäle und Wege entlang, über kleine und große Brücken, irgendwann einfach wieder ins Vaporetto eingestiegen, ein paar Stationen gefahren, erneut ausgestiegen, um wieder zu gehen und zu schauen, zu flanieren und zu staunen. Dann irgendwann habe ich Google Maps hochgefahren und nachgeschaut, wo ich mich gerade befinde, nur um mich kurz orientieren und dann gleich wieder weiter zu flanieren. Wunderbar!
Die klassischen touristischen Routen interessieren mich beim Flanieren durch eine Stadt eher wenig. Ich muss mir Orte erlaufen, ihre Ecken und Kanten, muss ihre unbedeutenden Nischen entdecken, ihre seltenen Seiten. Ich muss eine Stadt einfach einatmen.
Stehen oder sitzen bleiben und staunen.
Venedig ist zwar eine alte Stadt, besitzt so unglaublich viele kulturelle Schätze und Gebäude, aber sie ist nicht erstarrt in ihrer Pracht (wie etwa meine Heimatstadt Salzburg, die im Barock verharrt). Venedig ist erstaunlich echt, lebendig, unreglementiert und chaotisch. Das zu entdecken hat mir besonders großen Spaß gemacht. Dass in dieser hochtouristischen Stadt etwa immer noch die Wäsche quer durch die Straßen und an den Häusern aufgehängt wird. Da musste ich einfach stehen bleiben, staunen und es zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht.
Wunderbar am Flanieren ohne Ziel ist auch, dass man überrascht werden kann. Von einer Samba-Band etwa. Plötzlich strömten viele in Weiss gekleidete Menschen auf den Platz, den ich gerade eilig durchqueren wollte. Also hieß es für mich innehalten, warten bis die Band sich gesammelt und formiert hat, dann staunen, mitwippen und später sogar ein paar Schritte tanzen. Herrlich!
Außerdem, im Jahr der Biennale Arte, stolpert man in Venedig immer wieder, oft an überraschenden Orten, über Kunst. Also: Hinsetzen, schauen, genießen, staunen.
Oder einfach nur irgendwo auf einer Bank eine Rast einlegen, in einem Cafe Platz nehmen oder auf einem öffentlichen „Campo“. Wie ich etwa hier am Campo San Polo, an dem sich abends die Menschen treffen, um zu reden oder einfach den Kindern beim Spielen zuzusehen.
Venedig von oben bestaunen.
Man sagt, wer nicht von oben auf Venedig geblickt hat, hat Venedig nicht gesehen. Die meisten Touristen tun das vom Campanile San Marco aus. Davor müssen sie allerdings stundenlang anstehen und sind sie endlich oben, staut es sich erneut. Jeder Blick auf Venedig muss erkämpft werden. Zum Glück habe ich Menschen in meinem Umfeld, die Venedig richtig gut kennen (danke Tina, danke Christa!). Sie haben mir verraten, es gibt einen weniger touristischen Ort für den spektakulären Blick auf Venedig. Den Turm der Kirche S. Giorgo Maggiore. Kein Anstellen beim Lift. Kein Warten auf den Ausblick. Einfach nur hinauffahren und genießen.
Die Friedhofsinsel San Michele besuchen
Wo auch immer ich hinkomme, einen Friedhof muss ich unbedingt besuchen. Ich mag Friedhöfe. Ihre Stille. Die Geschichten, die sie erzählen. In Venedig gibt es den wohl schönsten Friedhof der Welt, mit dem wohl schönsten Ausblick: Das Meer und die Stadt Venedig selbst. Umringt von Wasser hat Venedig eine eigene Insel für ihre Toten. San Michele. Alleine die Anfahrt mit dem Vaporetto ist schon ein Erlebnis. Und dann diese Stille….
Die Legatoria Polliero entdecken.
Am vorletzten Tag meines Aufenthaltes habe ich morgens am Campo di Frari aus dem Augenwinkel einen sehr betagten Mann wahrgenommen, der ein altes Geschäft aufsperrte. Er tat sich sichtlich schwer. Fand das Schlüsselloch kaum, hatte Mühe die schwere Türe aufzustemmen. Das machte mich neugierig. Doch rasch erkannte ich, hier öffnet niemand sein Geschäft. Der alte Mann verschwand im Dunkeln. An der Türe stand: Aperto alle 16 ora. Die Auslage versprach eine Arbeits- und Geschäftswelt aus vergangener Zeit.
Also kam ich um 16 Uhr wieder und traf auf einen Mann meines Alters. Es war der Enkelsohn des alten Mannes vom Morgen. Er erzählte mir, dass sein Großvater über 90 und blind wäre, aber jeden Morgen in den Laden käme, weil er hier glücklich wäre. Der alte Mann hatte das Papierfachgeschäft bereits von seinem Großvater übernommen, es ist also seit Generationen in der Familie. Kürzlich hatte er, der Enkel, den Laden übernommen. Alte Bücher restaurieren wäre sein Geschäft, aber auch größere und kleinere Gebrauchsgegenstände aus Leder und Papier würde er produzieren. Alles von Hand. Mit Maschinen, die teilweise schon 300 Jahre alt sind.
Der Laden hat mich sehr berührt. Ich bedaure, dass dieses wunderbare Geschäft nicht bei mir um die Ecke ist. Ich hätte Stunden dort verbringen können. Mit dem Besitzer reden. Vielleicht auch den alten Mann kennenlernen. Mir von ihm erzählen lassen von seinem Handwerk, seiner Liebe zu Papier und den alten Werkzeugen und Maschinen.
So blieb mir nur ein längeres Gespräch in holprigem Italienisch, sowie ein kleiner Einkauf. Und der Apell an LeserInnen meines Blogs und Venedig-Reisende: Besucht die Legatoria Polliero am Campo dei Frari 2995. Es lohnt sich! Bezaubernd!
Venedig bei Abendstimmung und Nacht genießen.
Die Abendstimmung auf einer der großen Brücken zu erleben, auf der Ponte di Academia oder der Ponte di Rialto, danach bei Dunkelheit den Canale Grande im Vaporetto entlang schippern und die beleuchteten Palazzi bestaunen, gut essen gehen, in einer Bar einen Cocktail schlürfen und am Nachhauseweg die Lichtinstallation an der Universitá Cá Foscari betrachten. Venedig bei Nacht.
Die klassischen Touristenpfade meiden
Klar versuche auch ich einen Blick auf Sightseeing-Hotsports zu erhaschen, auf den Dogenpalast etwa oder den Markusplatz. Aber ich habe schnell wieder die Flucht ergriffen, ob der unfassbaren Menschenmassen. Auch wie man eine Gondelfahrt an diesen Orten romantisch finden kann, wenn eine Gondel nach der anderen folgt, hat sich mir nicht erschlossen.
Ich finde Venedig hat so viele wunderbare Ecken und Plätze, da muss man sich nicht gegenseitig zu Tausenden auf die Zehen steigen. Alleine ist man hier ja sowieso nirgends.
Übrigens, kleiner Tipp. Gondolieri stehen auch an vielen weniger touristischen Orten Venedigs und bieten ihre Dienste an. Sie sind zudem freundlicher und auch billiger.
Pizza essen in der Birraria La Corte
Restaurants oder Bars zu empfehlen ist eigentlich gar nicht meine Art, immerhin ist mein Blog werbefrei. Aber dieses Mal mache ich eine Ausnahme. Die besten und ungewöhnlichsten Pizzen meines Lebens habe ich in Venedig gegessen: In der Birraria La Corte am Campo San Polo.
Und obwohl die nachfolgenden Fotos meiner Pizzen nicht gedacht waren für den Blogbericht und eine miserable Qualität haben, muss ich sie Euch zeigen :-) Ich verspreche Euch, Ihr werdet begeistert sein. Nicht nur von den Pizzen.
Commissario Brunetti treffen.
Kleiner Scherz! Musste jetzt irgendwie einfach sein. LOL!
Aber ich hab nach ihm Ausschau gehalten! Ganz ehrlich. Und ich habe einige Männer gesehen, die sahen ihm zum Verwechseln ähnlich.
Das war mein kleiner Reisebericht zu Venedig. Danke, dass Ihr als LeserInnen mit dabei gewesen seid. Und solltet Ihr auch bald eine Reise nach Venedig planen. Macht eine „slow journey“ daraus. Ich kann es nur empfehlen. Venedig ist wunderbar!
Achja, und es gab keinen einzigen sexuellen Übergriff. Älterwerden hat eindeutig Vorteile! Oder haben sich einfach die italienischen Männer verändert? Hmm……
Venezia ich komme wieder!
Dieser Bericht beinhaltet keinerlei Werbung. Weder wurde mir die Reise bezahlt, noch habe ich Gegenleistungen erhalten für Nennung oder Verlinkung. Im Gegenteil, die Legatoria Polliero und die Birreria wissen nichts von ihrem „Glück“ hier genannt zu werden.
Judith meint
Danke für diesen schönen Reisebericht! Wir fahren seit Jahren immer wieder begeistert zur Biennale und fügen jedes Mal ein zwei weitere unbekannte Eckchen/Restaurants/Geschäfte/Anblicke in Venedig hinzu, die wir dann wieder besuchen wollen. Letztes Mal war es die Bäckerei Volpe im Ghetto mit ihrem Impade-Marzipangebäck … An die vielen Touristen gewöhnt man sich und Ab Mitte Oktober wird es ruhiger.
Sonja meint
danke für den netten kommentar. die bäckerei habe ich auch gefunden :-)
Claudia Braunstein meint
Liebe Sonja, ich war vermutlich gut 30 Mal in Venedig über die Jahre hinweg. Hab‘ in der Harrys Bar mit 40 Freunden meinen Vierziger gefeiert und seitdem war ich nicht mehr dort. Seit einiger Zeit nehme ich mir vor mit dem Zug einen Trip in die Serenissima zu machen. Nach dem Karneval ist eine gute Zeit. du hast mir jetzt echt Gusto gemacht. Liebe Grüße, Claudia
Sonja meint
gut so! das freut mich :-) liebe grüße!
Maria meint
Ach, liebe Sonja,
danke dafür! Mal wieder staune ich über einige Gemeinsamkeiten zwischen uns … Ich war das erste Mal mit 17 in Venedig, muss auch überall mal auf Friedhöfe gehen und traf damals den – sehr unrealistischen! – Beschluss: Auf San Michele möchte ich beerdigt werden. Hab ich inzwischen revidiert … Mit Mitte 20 bin ich tagelang nonstop nur durch Venedig gelaufen, treppauf, treppab. Am Ende hatte ich Muskelkater in den Waden … Vor einigen Jahren habe ich das erste Mal ein Hausboot in Venedig gemietet. Und das ist mein ultimativer Tipp: Geht auch ohne Bootsführerschein. Du kannst (mit etwa 10km/h) quer durch die ganze Lagune kreuzen. Damit meine ich vor allem das Wasser rund um die Haupt-Insel. Da habe ich das venezianische Lebensgefühl erst wirklich verstanden … All die Inseln. Pellestrina zum Beispiel fand ich wunderschön. Oder die „Gemüseinsel“ Sant Erasmo. Da merkst du auch, wie die Menschen lebten: Es gibt die Glasbläser-, die Gefangenen-, die Kloster-, eben die Gemüseinsel … Pellestrina ist noch heute eine Fischerinsel (Signorina Elettra hat da mal einen Sommerurlaub verbracht …) Am Lido kann man gut mit dem Hausboot übernachten … Festmachen, ins nächste Vaporetto steigen … Nee, den Canal Grande darf man mit dem gemieteten Hausboot nicht langfahren. Macht aber nichts. Auf der Giudecca gibt es eine alte Gondel-Werkstatt, die haben ein fantastisch untouristisches Restaurant mitten am Wasser. Und wenn ich das nächste Mal da bin, suche ich die Legatoria Polliero.
Ach übrigens: Hund auf Hausboot geht auch (natürlich nur, wenn Hund das will …) Wir sind nirgendwo so entspannt mit Venezianerinnen ins Gespräch gekommen wie abends auf den kleinen Plätzen, auf die sie ihre Hunde allabendlich hin ausführen.
Puh, als hättest du einen Knopf gedrückt … So sprudelt das gerade bei mir. Darum: DANKE für diesen wunderbaren Reisebericht!!!
Ganz herzlichen Gruß
Maria
Sonja meint
Wow! Was für eine tolle Anregung! Ich glaub ich muss gleich morgen wieder nach Venedig! :-)
Frank Mäder meint
Liebe Sonja,
wir waren über Silvester 2018 zum ersten Mal in Venedig. Dort hatten wir durch Zufall die Legatoria Polliero entdeckt. Damals stand die Ehefrau vom Großvater im Laden. Er hatte die Grippe. Weißt Du, ob sie noch lebt? Sie war sehr nett und wir haben dieses tolle Geschenkpapier und Stiftehalter gekauft.
Schön von Dir zu lesen, dass das Geschäft weitergeführt wird.
Heute bin ich über den Laden gestolpert, weil ein Papierladen von Venedig in einem Zeitungsbericht empfohlen wurde und ich wissen wollte, ob es genau der ist.
Liebe Grüße
Frank
PS: Macht Lust, wieder hinzufahren
Sonja Schiff meint
:-) ja, wäre schön wieder hinzufahren!