Gestern war ich das erste Mal in meinem Leben eingeladen zu dieser neumodischen, überseeischen Unsitte mit Namen „Halloween“. Der Gastgeber meinte, man müsste die Feste feiern wie sie fallen. Deshalb also auch Halloween. Na dann! Nichts wie hin!
Die Gäste waren ein Pärchen um die 75 Jahre und einige Frauen, Männer, Pärchen im Alter zwischen 65 und 55 Jahren. Alle waren mehr oder weniger verkleidet, da kamen Hexen, Spinnenmenschen, Gruselclowns, Vampire und „Figuren“ die einfach nur grässlich aussahen. Wir aßen, tranken, redeten, gröhlten horrormäßig und tanzten.
Die Babyboomer kommen!….
Irgendwann, das Fest war so ziemlich auf dem Höhepunkt, saßen mein Mann und ich etwas abseits und beobachteten die Szenerie. Die Gruppe war total geteilt. Auf der einen Seite die beiden Menschen um die 75. Sie saßen immer noch an jenem Platz, den sie zu Beginn des Festes eingenommen hatten. Unsicher blickten sie in die Runde, skeptisch beäugten sie die anderen Gäste, jene zwischen 65 und 55 Jahre. Die befanden sich alle auf der improvisierten Tanzfläche.
Sie tanzten ausgelassen und wild, sangen laut und ungehemmt mit bei den Liedern ihrer Jugend und beendeten die Gesänge oft mit prustendem Lachen. Es lief die Rocky Horror Picture Show, danach Doors, Stones, Michael Jackson, dazwischen Reinhard May, Udo Lindenberg, Gipsy Kings und sogar moderner Rap……..
Da war diese grazile Frau mit weißem Haar, die uns kurz vorher noch begeistert von ihren drei Enkelkindern erzählte. Jetzt schrie und tanzte sie sich bei Janis Joplin die Seele aus dem Leib. Da war der Mann, er berichtete vorher, dass er seit 2 Jahren in Pension ist. Jetzt bei „Thriller“ hüpfte er mit lachendem Gesicht wie ein Gummiball auf und ab, schlenkerte mit den Armen und hatte sichtlich Spaß. Und auch alle anderen Gäste, angegraut und „angefaltet“, unterhielten sich prächtig.
Bis auf die beiden 75 Jährigen. Die saßen wie erstarrt an ihrem Platz.
…. und verändern das Bild von Alter.
Ich beschäftige mich ja beruflich mit dem Thema Altern. Mit dem individuellen Altern. Mit dem gesellschaftlichen Altern. Im Moment arbeite ich etwa in einer Forschungsgruppe mit, die eine Fitness-App für Best Ager entwickelt. Häufig geht es in den Projekten um die „älteren Menschen“, um die Frage, wie diese „SeniorInnen“ ticken. Ich habe dabei oft die Rolle meinen meistens jüngeren Projektpartnern „die Älteren“ näher zu bringen, ihnen zu vermitteln wer diese „Älteren“ sind. Ganz ehrlich: Das ist nicht immer so leicht. Weil jüngere Menschen beim Begriff „Ältere“ ja sofort „Greise“ im Kopf haben. Stelle ich immer wieder fest.
Gestern dachte ich mir kurz: Jetzt sollten sie da sein, meine jungen ProjektkollegInnen. Hier würden sie sehen, wie sie wirklich sind, diese Best Ager, von denen immer geredet wird, diese 50plus und 60plus. Sie pfeifen auf klassische Alterszuschreibungen und Altersstereotypien. Sie sind grauhaarig, laut und unangepasst, sie sind in Pension und voller Lebenslust, sie sind tiefsinnig, kritisch und trotzdem auch immer noch kindisch. Sie sind die Hippies von gestern. Die schon einmal die Welt verändert haben.
Jetzt sind diese Hippies angekommen im Alter. Ich bin mir sicher, auch das werden sie verändern. Unsere Bilder vom Alter werden sie radikal umkrempeln. Genaugenommen sind sie schon mittendrin und dabei. Man muss sich nur umsehen!
Der Bruch zwischen den 75 Jährigen und den 65/55 Jährigen war gestern auf alle Fälle unübersehbar. Nicht nur, weil die beiden Älteren körperlich nicht mehr so fit waren. Da war noch etwas anderes bei der Gruppe der 65/55 Jährigen. Eine andere Lebenshaltung. Eine innere Freiheit. Ein anderes Selbst-Bewusst-Sein.
Da kommt einfach eine andere Generation ins Alter. So sichtbar war das für mich noch nie zuvor! Es war beeindruckend.
Daher: Achtung, Achtung, wir Babyboomer kommen!
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Fotos: Rochus Gratzfeld.
Die Fotos sind absichtlich verschwommen, um die Anonymität der Halloween-Feiernden zu sichern.
suzie meint
hm das ist eine seltsame erfahrung. die habe ich noch nie gemacht. ich könnte mir aber vorstellen, dass es doch etwas mit dem vertrauen in den körper zu tun hat. zum beispiel wenn ich jemand auf einen sessel steigen sehe, erkenne ich ja auch den unterschied zwischen einer fitten 45 jährighen und „mir selbst“. ich gebe obacht, die fitte 45 jährige steigt einach rauf.
übrigens: die jetzt 95 jährige autorin ilse helbich ist mit 75 in ein haus im waldviertel gezogen nachdem sie es renoviert hatte, ihre bücher sind großartig, gerade weil sie auf heitere und zugleich scharfsinnige weise den prozess des alterns skizziert.
Sonja meint
hallo Susti, siehe mein Kommentar unten unter Claudias Kommentar. Und Ilse Helbich ist grooooßartig!! LIebe ich!! Aber sie ist trotzdem eher die Ausnahme. Wenn auch eine wunderbare und Mut machende!
suzie meint
danke für deine antwort. aber ich bin trotzdem nicht überzeugt. zumal tanzen und pläne machen nicht dien einzige „bewertungsgrundlage“ für ein „anderes“ alter ist. man muss nicht jung sein beim altwerden :-)
ganz liebe grüße, deine suzie
PS.: ilse helbich ist nicht die einzige tolle ilse :-) ilse tielsch wird heuer 90! und die bereits verstorbene ilse aichinger ist auch eine bewundernswerte ilse gewesen. ob sie getanzt haben weiß ich aber nicht.
kennst du das: https://www.youtube.com/watch?v=2ouyC24IFlo
Claudia Braunstein meint
Liebe Sonja, ich glaube nicht, das man das so verallgemeinern kann, dass unsere Elterngeneration prinzipiell alt ist. Wenn meine Eltern ihr Winterfest oder irgendeine andere Party schmeißen, dann sind die meisten Gäste 75 aufwärts und die feiern bis in den Morgen. Die tanzen übrigens auch noch sehr ausgelassen zu Stones, Beatles und Co. Andererseits kenne ich genug Menschen in unserem Alter, die körperlich und geistig schon halb verwest wirken. Schön, dass ihr es so lustig hattet, auch wenn ich persönlich Halloween ziemlich komisch finde. Liebe Grüße, Claudia
Sonja meint
Hallo Claudia, klar war mein Artikel ein wenig generalisierend und sind nicht alle 75 Jährigen wie beschrieben, aber auch nicht alle Babyboomer. Deine tanzenden und die Nacht durchfeiernden 80 Jährigen wird es schon geben, aber ich bin mir sehr sicher, dass sie trotzdem die Ausnahme sind. Und klar gibt’s 50 Jährigem, die sich schon verhalten wie Greise. Keine Frage. Trotzdem erlebe ich da einen Clash zwischen den 55/ 65 Jährigen und den 75/ 80 Jährigen und bin ich davon überzeugt, dass da eine Gruppe ins Alter kommt, die diese Lebensphase anders leben wird. Und darum gings mir. Auf dem Halloweenfest war es einfach so deutlich zu sehen. Ich halte seit 17 Jahren Pensionsvorbereitungsseminare. Jedes Jahr gehen da rund 150 Menschen durch, erlebe ich, wie sie sich auf die Lebensphase Alter vorbereiten. Und alleine wenn ich vergleiche, die TeilnehmerInnen damals am Anfang vor 17 Jahren und jenen, die heute ins Seminar kommen, kann ich sagen, dass das sehr andere Menschen sind. Sie haben andere Vorstellungen vom Leben nach der Erwerbszeit. Noch nie hatte ich etwa so viele Teilnehmer wie jetzt, die nach der Pensionsantritt weiterarbeiten wollen und das auch konkret planen im Seminar. Viele davon gehen dabei einen völlig neuen Weg, erfinden sich quasi neu. Ich finde das einfach spannend und betrachte mich da im Moment als Beobachterin……
Maria meint
Ihr Lieben,
auch ich nehme ja immer wieder neue Anläufe, mich mit „dem Älterwerden“ zu beschäftigen. Da gibt es beispielsweise eine sehr engagierte Frau, Lisa Frohn, auch in „unserem Netzwerk“ der Blogger/innen 50plus. Sie ist etwa 15 Jahre älter als ich und un-glaub-lich fit, in jeder Hinsicht. Ich sehe das vor allem an ihren beiden Büchern (bitte selbst googeln .. Eins über das Alter und eins über alternative Wohnprojekte – unter anderem im Alter, beide richtig gut …). Sie sagte mir mal, dass diese 15 Jahre zwischen uns für sie einen riesengroßen Unterschied bedeuten. Ehrlich: Im ersten Moment war ich sogar ein bisschen beleidigt. Für mich ist das Älterwerden ein Prozess, in dem wir alle stecken. Und ich neige dazu, vieles „harmonisieren“ (um nicht zu sagen „idealisieren“) zu wollen … Sprich: Wer auch nur ansatzweise über das Älterwerden nachdenkt, gehört für mich schon in die Gruppe Menschen, von denen ich mir eine Art Zusammenhalt wünsche. In gewisser Weise hab ich diesen Wunsch idealisiert …
Bis zu Lisas Satz.
Inzwischen hab ich verstanden: Wenn ich versuche, das Älterwerden als Ideal-Folie, als Wunschtraum nach Zusammenhalt (alles nur MEIN Ding, mein Wunsch …) zu stülpen, bin ich sehr weit von einem anderen Ideal-Punkt entfernt, der mir seit ich denken kann äußerst wichtig ist: Jeder Mensch ist einzigartig. Punkt. Und das muss ich unbedingt trennen von meinem Wunsch nach einer Gruppe, zu der ich gern gehören möchte …
Bitte nicht falsch verstehen: Ich sage mit keinem Wort, dass jemand von euch so halbblind vor Idealismus ist wie ich manchmal … Aber mich hat diese Erkenntnis ziemlich heftig auf- und durchgerüttelt. Darum wollte ich sie euch mal eben mitteilen. Seitdem weiß ich übrigens weniger denn je, wie man sich dem Älterwerden – als (gemeinsames) Thema annähern kann. … Ich glaube, ich versuche seither vor allem, Individuen in den Blick zu nehmen, die AUCH älter werden. In erster Linie aber bleiben, was sie immer schon waren: Individuen. So etwa …
Ganz herzlichen Gruß
Maria
Sonja meint
Danke Maria, für deine kompetente Stellungnahme. Jaja, war ein wenig verallgemeinernd Hast schon recht :-) Und ja, man muss klarerweise individuell hinschauen. Vielleicht schaue ich ja mal mit 70 zurück und denk mir: Was hab ich da nur viel romantischen Stuss verbreitet :-) Umarmung!