Eines der schönsten Geschenke, die ich mir selbst machen kann, ist ein Tag allein mit mir in Wien. Ich liebe es, ziellos durch diese Stadt zu streifen, mich einmal hier und dann wieder dort hinzusetzen und einfach nur zu beobachten, zu schauen. Dazwischen eine oder zwei Ausstellungen besuchen, vor allem Kunst. Fertig ist ein entspannter und erfüllter Tag.
Vor einigen Tagen musste ich wieder einmal nach Wien. Der Anlass, ein schwieriger Termin. Lange erwartet. Genau genommen jahrelang. Die Anspannung war riesengroß, Faust im Magen, Flattern im Herzen. Doch davon mehr in rund 14 Tagen. Darüber kann ich derzeit noch nicht reden.
Ich bin jedenfalls einen Tag vorher angereist, musste einfach allein sein, mit mir und meinen Gefühlen, musste mir und meiner aufgewühlten Seele aber auch etwas Gutes tun. Also ein Tag Wien. Kunstflanieren, Treibenlassen von Ausstellung zu Ausstellung.
Vom Hauptbahnhof bin ich zu Fuß losmarschiert. Die Stadt flirrte vor Hitze. Wie immer gehörte mein Mitleid den Fiakerpferden. Was muss man für ein ignoranter Mensch sein, nicht zu sehen, wie diese (Flucht)Tiere in der Hitze und bei dieser monotonen Arbeit inmitten einer lauten Großstadt leiden.
Erstes Ziel: Albertina modern. ARAKI
Vor Jahren hat mein Mann mir den japanischen Fotografen ARAKI gezeigt. Einen Bildband. Fotografien in japanischen Bordellen, Bondage-Fotos, viel Sex und Alltag von Prostituierten. Aber er erzählte mir auch, dass ARAKI das Sterben seiner krebskranken Frau fotografiert hatte.
Also nun ARAKI in der Albertina modern. Kaum BesucherInnen. Wie angenehm!
Die Ausstellung ermöglicht einen wunderbaren Blick auf ARAKI abseits der Bondage-Fotografie. ARAKIS Anfänge werden gezeigt, etwa die Portraits zweier Buben, viele Fotos seines eigenen Alltages und der Stadt Tokyo. Die Ausstellung gibt einen Eindruck vom Entwicklungsprozess des Künstlers, zeigt etwa Arbeiten, in denen er mit verschiedenen Techniken experimentierte. Und dann seine Reisefotografien. Die Serie „Frühlingsreise“, mit der er seine Hochzeitsreise dokumentierte und die beiden Serien „Winterreise“, die eine die Dokumentation des Sterbens seiner Frau bis hin zum Begräbnis und ersten Tage alleine, die andere, 20 Jahre später, die Dokumentation des Sterbens der Katze, der gemeinsamen Katze, die ihn über den Tod der Frau getröstet hatte.
Beeindruckend. Berührend. Traurig. Und wunderschön. So viel Liebe! Ach ARAKI….
Danach Innehalten. Mir selbst eine Pause gönnen. Ins menschenleere Museumscafe gesetzt. Eine sündige Kardinalschnitte bestellt, eine Melange. Bilder und Eindrücke müssen einfach nachwirken.
Eine Stunde später, hinaus in die Hitze, kleiner Spaziergang durch die Gassen.
Zweite Station: Albertina. Xenia Hausner
Hinunter mit der Rolltreppe. Schon der erste Blick beeindruckend. Großformatige Bilder, farbenfroh, kraftvoll, detailreich, voller Geschichten und Mysterien.
Die Ausstellung war gut besucht. Trotzdem genug Möglichkeiten allein vor einem Bild zu stehen. So mag ich es! Kunstflanieren voll Genuss.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich wenig von Xenia Hausner wusste, nur wenige Bilder kannte. Ihr Vater ist Rudolf Hausner, der bekannte phantastische Realist. Bevor sie zu malen begann, arbeitete sie als Bühnenbildnerin. Darum wohl auch die Inszenierungen in ihrer Malerei. Xenia Hausner malt nicht „aus dem Geist“, sie inszeniert ihre Bilder vorab, fotografiert diese Inszenierungen und malt dann diese Fotografien.
Mich als auch malende Person hat, neben den Bildern, ihre Technik interessiert. Drum bin ich immer wieder ganz nah ran an die Bilder, Details schauen und mich fragen: „Wie macht sie das?“
Wer mehr über Xenia Hausner erfahren möchte. Die Kuratorin der Ausstellung hat mit Xenia Hausner ein Interview geführt, es ist frei verfügbar auf youtube. Sehr sehenswert, wie ich finde.
Meine Lieblingsbilder der Ausstellung sind übrigens die beiden aus der Serie zum Thema Flucht. Man sieht Menschen zusammengepfercht in Zügen. Menschen in allen Haar- und Hautfarben. Weil Flucht eben jederzeit jedem passieren kann. „Niemand ist illegal“ fällt mir dazu ein……und ….niemand kann sicher sein, nicht auch irgendwann Krieg und Flucht zu erleben.
Nach rund 3 Stunden die Rolltreppe hoch, ein letzter Blick auf ein, mich ebenfalls sehr bewegendes Bild, und wieder hinaus auf die Straße.
Durch die Kärntner Straße flaniert, Platz genommen zwischen Touristen auf einer der mittig platzierten Bänke und die Szenerie mit ein paar Bleistiftskizzen festgehalten, in einer Seitengasse etwas gegessen und getrunken, weiter Richtung Schloss Belvedere flaniert, ein Spaziergang durch den Garten gemacht……..
……und irgendwann: Angekommen in der Unterkunft. Eine Dusche. Ventilator angeworfen. Beine hochgelegt.
Abends meldete der Schrittzähler 32.000 Schritte oder 22,4 Kilometer.
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