Wie meine treuen LeserInnen wissen, habe ich vor etwa einem halben Jahr eine ganz besondere Freundschaft geschlossen mit einem afghanischen jungen Mann, der letztes Jahr nach einer langen beschwerlichen Flucht (Erzählungen darüber erschüttern mich immer wieder) in Österreich gelandet ist.
Im Kontakt mit Mohammed lerne ich vieles auf dieser Welt neu zu sehen, und vor allem auch neu zu fühlen. Klingt jetzt vielleicht seltsam, aber ich kann es nicht anders ausdrücken. Um Mohammed verstehen zu können, in seinen Fragen, in seinen Gefühlen, in seiner Freude und in seinen Traurigkeiten, bin ich gefordert laufend einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Wie fühlt sich unsere Welt an für Mohammed, der so ganz anderes sozialisiert wurde? Wie fühlt es sich für ihn an, auf unsere freie Welt zu treffen, mit seinen (von Kindesbeinen an erlernten) engen gesellschaftlichen Regeln im Kopf? Wie fühlt es sich für ihn an, selbst in Sicherheit zu sein und gleichzeitig zu wissen, dass Eltern und Schwestern weiterhin in Afghanistan Gefahr und Armut erleben? Wie fühlt es sich an Frieden zu erleben, nach 26 Jahren Leben in einem kriegsgebeutelten Land? Wie fühlt sich Mohammeds Leben an? Wie denkt er, wie fühlt er, wie betrachtet er diese Welt?
Immer wieder wird in den Medien Flüchtlingen unterstellt, sie wären nur nach Europa gekommen, um ein besseres, damit gemeint ist ein finanziell abgesichertes, Leben zu bekommen. Klar, wird es auch darunter Flüchtlinge geben, deren Motivation die zukünftige wirtschaftliche Sicherheit war. Keine Frage. Ich bin ja keine Träumerin! Bestätigt auch Mohammed, dass es diese Art von Flüchtlingen gibt. Doch es gibt eben auch die große Gruppe jener Flüchtlinge, die gekommen sind, weil sie um ihr Leben bangen müssen im Ursprungsland. Was diese Menschen spüren und fühlen, das konnte ich kürzlich am Flüchtlingsfest in Salzburg erleben und es hat mich tief berührt.
„Gehst Du mit mir auf das Flüchtlingsfest?“ fragte mich Mohammed letzte Woche und sein Blick verriet mir, dass er sich meine Begleitung sehr wünschte. Also ging ich mit. Es sollte von den Flüchtlingen selbst gemachtes Essen geben und es sollten verschiedene Gruppen auftreten, angekündigt waren traditionelle Tänze, Musikgruppen und Einzeldarbietungen.
Hunderte Menschen waren gekommen! Der Platz war gerammelt voll mit Menschen – Flüchtlinge, HelferInnen, Interessierte, Neugierige. Das Essen war wunderbar (ich ass Kichererbsen mit Lamm, Hummus und eine Art arabische Frühlingsrolle). Um 20 Uhr wurde der große Saal geöffnet, die Beiträge der Flüchtlinge begannen und mit ihnen die große Berührung in meinem Herzen.
Ich habe gesehen, wie Menschen die Tränen runter gelaufen sind als „ihre“ Lieder gesungen wurden. Ich war dabei als ein syrisches Mädchen ein traditionelles Lied sang und ein junger Syrer die Bühne stürmte, um der singenden Frau eine syrische Flagge um den Hals zu legen. Ich sah neben mir eine verschüchterte Frau mit einem Kind im Arm an der Wand stehen, ihr Blick dumpf und gehetzt. Als afghanische Musik angekündigt wurde und die ersten Töne zu hören waren, strahlten ihre Augen plötzlich wie zwei Diamanten. Sie stand da mit erhobenem Kopf, sang mit ihrer Hand am Herzen das afghanische Lied und dabei liefen ihr die Tränen über die Wange.
Ich sah meinen Freund Mohammed, dessen Augen häufig melancholisch dunkel sind, strahlen, als zwei junge Männer afghanischen Rap sangen und dabei schielte er immer wieder nach mir und sein Blick fragte: „Verstehst Du jetzt wie sehr ich meine Land vermisse?“ Die am Beginn des Raps nachgestellte Szene eines Erschießungskommandos, fuhr mir ins Herz. Mohammed meinte später dazu nur: „Das ist unsere Realität. In Afhanistan ist seit 27 Jahren Krieg. Ich kenne nichts anderes.“
Ich sah afghanische, somalische, nigerianische, syrische, kurdische Männer und Frauen singen und tanzen, sah wie sie sich die Seele aus dem Leib sangen und dabei selig waren, weil sie für einen Augenblick wieder ein Wir erlebten. Ich sah kleine Kinder auf den Schultern der Eltern weinen und lachen und ich sah kleine kurdische Mädchen, vielleicht 3 oder 4 Jahre alt, das Victory-Zeichen hochhalten mit ihren kleinen Händen. Erschütternd. Berührend. Traurig.
Flüchtlinge kommen nach Europa, um sich zu bereichern? Leute, wer dieses Flüchtlingsfest erlebt hat, gibt diesen Mist nicht mehr von sich. Ja, da werden welche darunter sein, die aus wirtschaftlichen Gründen gekommen sind in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Keine Frage. Aber ich finde Europa hält das aus. Wieviele Menschen auf dieser Welt machen sich jährlich auf den Weg in ein besseres Leben, nach Amerika, nach Kanada, nach Neuseeland und eben auch nach Europa.
Und alle anderen Flüchtlinge, jene die um ihr Leben gelaufen sind, haben sich verdammt noch einmal verdient, dass wir Ihnen angemessen und respektvoll begegnen, Ihnen Schutz bieten und eine neue Heimat in Frieden ermöglichen.
Hier leider nur ein kleiner Eindruck vom Flüchtlingsfest, ein Tanz kurdischer Frauen. Mehr habe ich an offiziellen Vidoes vom Fest leider nicht gefunden im Netz.
Ich bedaure es sehr, dass es von den afghanischen Beiträgen keinen offiziellen Videomitschnitt gibt, den ich hier im Blog einbetten könnten. Als österreichische „Mama“ von Mohammed waren es natürlich die afghanischen Beiträge, die mich besonders betroffen gemacht haben.
Statt dessen hier zwei afghanische Raps, um ein wenig ein Gefühl für Afghanistan zu bekommen. Dari Rap vom Volksstamm der Hazara, zu denen auch Mohammed gehört. Er hat mir die Raps rausgesucht.
veronika meint
Ja zu den flüchtlingsfesten bin ich auch immer sehr gerne gegangen, die hat ja thomas einige male moderiert. Mein erstes flüchtlingsfest inder alten arge noch veranlasste mich jedes jahr dorthin zu gehen. Und abdulahi einer der initiatoren ist ein sehr engagierter typ!
Liebste grüsse an „mama“ sonja
veronika
Emma Martschinke meint
So ein toller Text… Ich finde es einfach toll, dass es Menschen wie dich gibt. Und wie Mohammed. Liebe Grüße, Emma.
Sonja Schiff meint
Danke Dir, liebe Emma. Freut mich, dass Du meinen Blog liest.
Werner Matheis meint
Liebe Sonja!
Ich bin erst heute auf diesen Deinen berührenden Blogbeitrag gestoßen.
Danke dafür, auch wenn ich während des Lesens zum Taschentuch greifen musste.
Ich habe mir heute auch einen Beitrag von Robert Misik im Standard angesehen, wo es um “ die Stimme der Vernunft ist leise“ gegangen ist.
Ich habe dort gepostet und Deinen Beitrag gleichzeitig verlinkt:
http://derstandard.at/2000042066761/Die-Stimme-der-Vernunft-muss-leise-aber-machtvoll-sein
Ich hoffe, das ist auch in Deinem Sinne und Du bekommst deswegen in Zukunft keine Unannehmlichkeiten von gewissen Kreisen. In Zeiten wie diesen weiß man/frau das nicht mehr so genau.
Liebe Grüße
Werner
Sonja Schiff meint
hallo werner, danke für die rückmeldung und auch fürs verlinken. ich finde in der heutigen zeit muss man stellung beziehen, auch wenn man unannehmlichkeiten bekommen kann :-) und unter einem artikel von robert misik genannt zu werden, ist fast eine ehre! liebe grüße!
Werner Matheis meint
Hallo Sonja!
Danke für deine Zustimmung. Anfangs war ich mir ja nicht so sicher, ob ich es machen soll. Meine Zweifel hab ich halt dann einfach weggewischt. Jetzt bin ich aber wirklich erleichtert.
Wenn Du Dich beim Standard anmeldest, kannst Du alle meine Jahrelangen Ergüsse zurückverfolgen. Mein Nickname ist heinzjohann. Ich habe mich auch nicht unter einen Fantasienamen versteckt; Laut Geburtsurkunde heiße ich Werner Heinz Johann Matheis.
Liebe Grüße
Werner