Schon einige Zeit kreiste ich um das Buch „Der Preis der Macht“ der österreichischen Journalistin Lou Lorenz-Dittlbacher. Auf der einen Seite war ich neugierig darauf, was ehemalige Politikerinnen wie Gabi Burgstaller, Maria Rauch- Kallat, Waltraud Klasnic, Susanne Riess oder Ulrike Lunacek über ihr Leben als Politikerin zu erzählen haben. Auf der anderen Seite hatte ich Sorge, dass bei mir wieder Gefühle, jene der größten Kränkung meines Lebens, aufbrechen könnten.
Was dieses Buch mit mir zu tun hat? Lest selbst….
Mein persönlicher Zugang zu diesem Buch – Idealismus, Naivität und eine tiefe Kränkung
5 Jahre meines Lebens war ich politisch tätig. Für welche Partei, tut hier nichts zur Sache, es wäre wohl in jeder Partei so verlaufen. Meine politische Funktion war unbedeutend. Gemeinderätin. Das kleinste Rädchen im politischen Spiel um die Macht. Angestrebt hatte ich dieses Amt nie. Ich wurde gefragt, habe mich gebauchpinselt gefühlt, aufstellen lassen und wurde gewählt. Und ich dachte damals allen Ernstes, dass ich in meinen Herzensthemen – älterwerdende Gesellschaft/ Pflege/ Soziales- wesentliche Beiträge leisten, ja vielleicht sogar Verbesserungen herbeiführen könnte.
5 Jahre habe ich gearbeitet wie „ein Tier“. Danach bin ich gefallen. Tief. Sehr tief. Doch ich will nicht klagen. Mein Absturz war selbstverschuldet. Mir fehlte alles, was PolitikerInnen dringend brauchen oder können müssen, wollen sie ihre Plätze behalten oder gar „aufsteigen“. Eine dicke Haut, Machtbewusstsein, Abgeklärtheit, die Kunst des Taktierens, Menschenkenntnis, einen Sinn für politische Spielchen und gezielte Lobbyarbeit für sich selbst von der ersten Sekunde an. All das hatte ich nicht. Ich brachte in die Politik meine Naivität ein, meinen Idealismus, mein Engagement, meinen grundsätzlich positiven und vertrauenden Blick auf Menschen und den Glauben, dass gute Sacharbeit immer zählt. Politisch war ich eine Vollidiotin. Das weiß ich heute.
Was folgte, war der Absturz meines Lebens. Auch er war selbstverschuldet, denn ich hatte Signale falsch eingeschätzt und mich überschätzt. Aber zu realisieren, dass man keine Unterstützung mehr hat und abgewählt werden soll, nach 5 Jahren „rennen und arbeiten“, das tat richtig, richtig weh. Ich bin damals knapp an einem schweren Burnout vorbeigeschlittert. Nachts bin ich aufgewacht von meinem eigenen Weinen. Bis heute sitzt mir dieses Erlebnis, diese Kränkung, emotional in den Knochen. Das konnte ich kürzlich persönlich überprüfen, als ich mich ganz bewusst bei einer Veranstaltung mit den Akteuren dieser Partei konfrontierte. Es tut immer noch weh. Nach 10 Jahren! Eigentlich unfassbar….
Tja, und deshalb bin ich um das Buch „Der Preis der Macht“, in dem ehemalige Politikerinnen portraitiert werden, herumgekreist und wusste nicht so recht, ob ich es lesen sollte.
Doch dann habe ich es doch gekauft. Und jetzt merke ich, dass es mir gut tut. Auch wenn ich nur ein kleines Rädchen war als Gemeinderätin und mich nicht mit Frauen vergleichen kann, die Nationalrätinnen waren, Landeshauptfrauen oder EU-Abgeordnete, so gibt es doch viele Gemeinsamkeiten. Nicht nur ich habe in der Politik Kränkung erlebt.
Das Buch: Der Preis der Macht
Die bekannte Journalistin des Österreichischen Rundfunks (ORF, sie moderiert die Spätnachrichten ZIB 2) Lou Lorenz-Dittlbacher portraitiert in diesem wirklich spannenden Buch acht ehemalige österreichische Politikerinnen, die es in hohe Funktionen geschafft haben: Gabi Burgstaller, Brigitte Ederer, Benita Ferrero-Waldner, Waltraud Klasnic, Ulrike Lunacek, Maria Rauch-Kallat, Susanne Riess und Heide Schmidt.
Die Portraits sind entstanden, und das freut mich als Alternswissenschaftlerin, aus biografisch orientierten und sehr persönlichen Interviews. Das Buch kommt gänzlich ohne Fotos aus. Es sind die Erzählungen der Frauen, die unter die Haut gehen. Erst im Anhang, bei den Kurzbiografien, gibt es je ein Foto pro Frau.
Lou Lorenz Dittlbacher spannt in den Portraits der Politikerinnen einen Lebensbogen, von der Geburt/ Kindheit bis ins Heute. Sie geht der Herkunftsfamilie und frühen Prägung nach, fragt, wie es zur Politisierung der Frauen kam und zur Entscheidung politisch aktiv zu werden. Es folgt der Aufstieg der Politikerinnen und ihre Erfahrungen in einer männerdominierten Welt, politische Höhepunkte und Tiefpunkte, Auswirkungen der Karriere auf das Privatleben, der freiwillige oder unfreiwillige Abschied von der Politik. Die Reise endet im Heute, im Rückblick der Frauen, in einem Lebensresümee.
Ich fand es hochinteressant, über die vielen unterschiedlichen Prägungen, Hintergründe, Beweggründe und Wege zur politischen Arbeit zu lesen. Berührend etwa, wenn Waltraud Klasnic, selbst ein aus wirtschaftlichen Gründen zur Adoption frei gegebenes Kind, als ihren größten politischen Erfolg die Einführung der Babyklappe nennt. Oder zu erfahren, dass Maria Rauch-Kallat durch den Kampf um ihre erblindende Tochter politisiert wurde, als sie eine Informationsstelle für Eltern blinder Kinder gründen wollte. Oder die Politisierung der Ulrike Lunacek, sie bereiste Südamerika kurz nachdem Pinochet in Chile die Macht übernommen hatte und erlebte wie gefährlich es werden kann für den Einzelnen, wenn Demokratie verloren geht. Zurück in Österreich engagierte sie sich für die Rechte von Frauen, für die Sichtbarkeit von lesbischen Frauen (Lunacek lebt seit vielen Jahren in einer lesbischen Partnerschaft) und war Mitbegründerin des ersten Frauenhauses Tirols.
Überhaupt scheint es, als wären es vor allem persönliche Gründe, die Frauen bewegen in die Politik zu gehen. Ob das bei Männern auch so ist?
Für mich persönlich überraschend war, dass fast alle Frauen tiefe Kränkungen erfahren haben in der Politik. Ich bin damit also nicht alleine. Benita Ferrero Waldner erlebte eine große Kränkung als sie bei der Kandidatur zur Bundespräsidentin an Heinz Fischer scheiterte und erleben musste, wie sie in ÖVP-dominierten Bundesländern zu wenig Unterstützung aus den eigenen Reihen bekam und dem SPÖ-Kandidaten Fischer der Vorzug gegeben wurde. Ulrike Lunacek erfuhr ihre tiefe Kränkung, die sie heute noch schmerzt, im Oktober 2017. Unter ihrer Spitzenkandidatur flogen die Grünen aus dem Nationalrat. Auf die Frage wie es mit ihr weiterging nach der Wahl meint sie: „Mit viel Weinen. Und viel Nachdenken, was ich jetzt weiter mache. Es war echt schlimm. (..) Diese Mischung aus Trauer und Zorn war schon heftig.“
Immer wieder wird von den Politikerinnen auch die Häme genannt, die sie als kränkend erlebt haben. Gabi Burgstaller etwa schildert in dem Interview eindrücklich ihren politischen Aufstieg zur Landeshauptfrau und den später folgenden Fall aufgrund eines Finanzskandals, den nicht sie alleine verursacht hatte, den sie aber verantworten musste. Als sie sich unter Tränen öffentlich bei den SalzburgerInnen entschuldigte, weil sie sich tatsächlich schämte und weil sie an diesen Tagen heillos überarbeitet war, wurde sie beschimpft und verlacht. Auch bei ihr bleibt eine tiefe Kränkung.
Fast alle Politikerinnen meinen deshalb, dass man in der Politik eine dicke Haut braucht und Emotionen zu zeigen als Schwäche ausgelegt wird.
Trotz allem beurteilen alle interviewten Politikerinnen die politische Arbeit rückblickend als spannend und beschreiben die Zeit der Politik als eine wichtige Phase in ihrem Leben. Alle betonen, dass es großartig war gestalten zu können.
Mein persönliches Resümee zum Buch
Tolle Interviews bemerkenswerter Frauen! Zu Beginn dachte ich, dass mich in diesem Buch einige ehemalige Politikerinnen eher nicht interessieren werden. Susanne Riess etwa oder Waltraud Klasnic. Sie gehören zu einem Meinungsspektrum weit weg von meiner politischen Wertewelt. Doch der persönliche Zugang zu den Frauen, es geht kaum um politische Haltungen, brachte mir auch diese Frauen näher. Sehr lehrreich!
Für mich selbst komme ich zu dem Schluss, dass Kränkungen wohl zum politischen Geschäft dazugehören. Was ich erlebt habe, ist in der Politik Normalität. Nicht nur bei Frauen. Wie man damit gut umgehen kann, bringt Ulrike Lunacek auf den Punkt. Auf die Anmerkung, dass Politik spannend, aber auch kränkend ist, meint sie: „Ich habe auch Situationen erlebt, die sehr kränken waren. Und das macht was mit dir. Aber es ist immer auch die Frage, wie viel du davon wirklich an dich heranlässt. Diese Niederlage am 15. Oktober war sehr, sehr bitter. Aber ich lasse mir davon mein Leben nicht vergällen.“
Und wie die portraitierten Politikerinnen sehe auch ich am Ende Positives. Es war spannend Gemeinderätin zu sein. Sehr spannend. Ich habe viel gelernt in der Zeit. Über mich selbst. Über Menschen. Über unsere Gesellschaft. Über Politik.
Der Preis der Macht. Österreichische Politikerinnen blicken zurück
Lou Lorenz-Dittlbacher
275 Seiten, Residenz Verlag
Prädikat: Sehr lesenswert!
Dieser Artikel ist keine Werbung. Ich habe weder das Buchexemplar vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, noch wurde ich für die Verfassung der Rezension in irgendeiner Weise honoriert. Das Buch habe ich gelesen und rezensiert, weil mich Politik und Frauenthemen interessieren, als Gerontologin außerdem auch Biografien.
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Claudia Braunstein meint
Liebe Sonja, und genau da ist der Grund, weshalb ich keine politischen Ambitionen habe. Obwohl mir in den letzten Jahren, von diversen Seiten Avancen gemacht wurden, wegen meines Engagements rund um die Zahnproblematik bei Kopf bestrahlten Tumorpatienten. Ich erlebe gerade sehr intensiv, die Seite der Bürgerin, die gerne Unterstützung der Politik erfahren würde, um dieses Projekt zu einem positiven Ende zu bekommen. Ignoranz, das ist das was mir entgegen schlägt. Es wundert mich nicht mehr, dass Politiker einen wenig guten Ruf haben, selbst wenn viele, so wir du, aus ehrlichen Gründen in die Politik gegangen sind. Liebe Grüße, Claudia
Sonja meint
mich wundert das auch nicht mehr, claudia. aber es tut mir für jene leid, die tatsächlich versuchen etwas zu bewegen. und davon gibt’s auch viele. sie kommen nur selten ganz nach vorne. danke für deinen kommentar!
serious talking meint
der großvater eines meiner besten schul- bzw jugenfreunde – selbst damals eifrig in der kommunalpolitik tätig – hat oftmals gesagt (und das ist mir bis heute in erinnerung geblieben) „in der politik gibt es grundsätzlich nur zwei unterschiedliche typen: schurken und idioten“
ich möchte dinge nicht übersimplifizieren aber im rückblick (und auch im augenblick) hatte er nicht unrecht. wobei schurken für mich ein politikersynonym für machtmensch (und manche können dann auch wirkliche schurken sein #ibiza) und idioten ein sxnonym für idealisten darstellt.
ich denke sie sind sicherlich kein schurke….
Sonja meint
aber politisch eine vollidiotin :-D sag ich ja! danke für den kommentar :-)