Manche Leser*innen erinnern sich vielleicht noch? An meine chaotische Liebe zu einem jüngeren Mann im letzten Jahr? An mein Durcheinander, meine Irrungen und Verwirrungen, mein Wahnsinn im Jahr 2020? Ich weiß, manche von Euch waren verwundert über mich, vielleicht sogar schockiert. Über dieses Liebeschaos einer verheirateten Frau, aber noch mehr darüber, dass ich darüber auch noch öffentlich gebloggt habe. „Hätte ich nicht über Facebook erfahren müssen“, meinte etwa auch eine Bekannte und eine andere sagte „Da bist du schon über Grenzen gegangen und das hat mich schockiert, aber auch berührt.“
2020. Wandel stand an.
Vor einige Tagen wurde ich erinnert an dieses vergangene Jahr. Eine liebe Bekannte kam auf Besuch. Fast 50, sportlich, durchtrainiert und wie sie meinte „stolz auf ihr Aussehen“. Nach 20 Jahren Ehe frisch geschieden, an ihrer Seite ein 10 Jahre jüngerer Mann. Sie meinte, man müsste neue Wege gehen, Neues lernen, dürfte sich nicht gegen den Wandel wehren, denn man hätte nur dieses eine Leben. Ihr Besuch hat intensiv nachgewirkt bei mir und war mir Anlass, noch einmal mein letzte Jahr Revue passieren zu lassen. Was ist da eigentlich passiert? Welchen Prozess bin ich durchlaufen? Habe ich mich gegen den Wandel gewehrt? Oder habe ich MICH gelebt?
Rückblickend bin ich überzeugt, dass es bei mir letztes Jahr um das Thema Altern ging. Ja, Du liest richtig, ALTERN. Ich schreibe bewusst nicht „älter werden“. Es ging um mein Altern, darum zu akzeptieren, dass ich 56 bin, am Weg auf die 60 und damit längst eingetreten in meine letzte große Lebensphase.
Ich war mit dieser Liebe letztes Jahr gebeutelt im Leben wie selten zuvor und diese Liebe war schön, aber auch schmerzhaft, wie wenige davor. Über diesen Schmerz habe ich mich damals sehr gewundert. Warum gebe ich in meinem Alter jemanden die Möglichkeit, mich dermaßen emotional zu erschüttern? Was tut da eigentlich so wahnsinnig weh, habe ich mich ständig gefragt und dabei in mir genau gespürt, es ist nicht diese Liebe, die schmerzt. Es ist das „Dahinter“. Aber was ist dieses „Dahinter“ genau? Ich hatte keine Ahnung…..
Rückblickend, ein Jahr später, weiß ich, es war mein Abschied von Jugend, von einem Leben, das nicht mehr zurückkommt und es war auch der Abschied von einer bestimmten Seite meines Frauseins. Mein Leben war immer voller Erotik und Sinnlichkeit. Obwohl ich dem Schönheitsideal unserer Zeit mit meiner Fraulichkeit nie entsprochen habe, war es für mich stets ein Leichtes, Männer zu betören und mich betören zu lassen. Flirten, verführen und verführt werden. Darin war ich richtig gut. Und es hat auch so richtig Spaß gemacht. Dieses Betören und Fliegen, Träumen und Flattern, Brennen und sich ineinander Verlieren im letzten Jahr noch einmal zu erleben, war erfrischend und tiefgreifend. Ehe sich alles in einen Sturm und ins Chaos wandelte.
Habe ich mich gegen den Wandel gewehrt, wie meine Bekannte bei ihrem Besuch meinte? Nein, ich denke nicht. Ich glaube, es wäre kein Wandel gewesen, hätte ich meinen Mann verlassen und wäre ich einer neuen Liebe gefolgt. Es wäre eine Wiederholung gewesen von etwas, was ich bereits kenne. Neu angefangen habe ich nämlich schon einige Male im Leben. Wobei neu anzufangen durchaus Sinn machen kann, etwa wenn eine Beziehung zum Stillstand gekommen ist und keine Weiterentwicklung mehr möglich ist. Aber das ist bei mir und meinem Mann nicht der Fall. Wir entwickeln uns weiter, gemeinsam und jeder für sich. Wir lernen voneinander und jeder kann auch seine eigenen Wege gehen, da gibt es sehr viel Freiheit und Freiraum bei uns.
Nein, zu gehen und wieder neu anzufangen, wäre in meinem Leben kein Wandel gewesen. Mein Wandel, genauer gesagt meine Wandlung, fand an anderer Stelle statt und war wie eine Häutung. Sie vollzog sich mit dem Übertritt in meine nächste Lebensphase. Bezeichnenderweise habe ich mir am Ende dieser Liebe auch mein dunkelbraun gefärbtes Haar geschoren und bin ins Grau gewechselt.
Der Schritt ins Älterwerden.
Auch wenn ich mich beruflich mit dem Thema Älterwerden/ Altern beschäftige, heißt das nicht, dass bei mir selbst immer alles rund läuft und ich über mein Altern immer juble. Nein, auch ich spüre Widerstände, auch mir vergeht die Zeit irgendwie viel zu schnell und auch ich frage mich oft, ob ich noch alles erleben kann, was ich erleben möchte. Auch mir erscheint das Leben zunehmend zu kurz und auch ich würde gerne attraktiv bleiben, mit einer Haut, die keine Spannkraft verliert und einem Bindegewebe, das nicht plötzlich überall herumwabbelt.
Ja, es war auch für mich hart mein Altern zu akzeptieren. Deshalb auch monatelang dieser tiefe Schmerz, das Weinen und Trauern. Es war hart. So richtig.
Aber da gibt’s auch Vieles, was ich spannend finde an der neuen Lebensphase und am Älterwerden. Eine Frage, die mich beschäftigt: Was wird alles möglich in meinem Inneren, wenn mein Äußeres seine Wichtigkeit verliert? Ich meine damit jetzt nicht, dass ich vorhabe mich gehen zu lassen. Keine Sorge. Ich werde mich weiterhin pflegen und hegen, werde meinen roten Lippenstift tragen und meiner Buntheit frönen, mich weiterhin spielen mit meinem körperlichen Ausdruck. Aber es hat sich etwas verändert. Ich habe das „ich muss jugendlich bleiben“ und das „ich will/ muss weiterhin gefallen“ losgelassen.
Ich bin jetzt dabei, mich mit meinen Falten zu versöhnen, auch mit jenen, die ich gar nicht mag. Ich akzeptiere immer mehr meinen, sich seit der OP und dem Verlust der Hormone sehr verändernden Körper und kann den Vergleich mit anderen Frauen endlich beenden. Mein Körper ist der Körper einer 56 jährigen Frau. Basta! Warum sollte er weiter aussehen müssen wie der Körper einer 30 oder 40 Jährigen?? Wozu sollte ich in diesen aussichtslosen Kampf (weil ich MUSS und werde altern, niemand kann das Altern bezwingen!) meine Lebensenergie stecken?
Das Positive überwiegt für mich. Ich bin jetzt so sehr bei mir, wie noch nie in meinem Leben und ich bin so gut zu mir, wie noch nie zuvor. Ich verzeihe mir selbst meine kleinen und größeren Fehler, kann den Perfektionismus zunehmend sausen lassen und habe generell einen liebevolleren Blick auf mich selbst. Ich sage Jobs ab, die ich nicht mehr mag und beende Beziehungen, die mir schon lange nicht mehr guttun. Außerdem habe ich begonnen meiner Kreativität wieder richtig viel Raum zu geben, ohne Ziel und Plan, einfach nur für mich, und ich fühle mich deshalb innerlich so satt, wie selten zuvor. Ergebnis: Ich bin dabei, immer mehr bei und in mir selbst anzukommen. Das macht mich frei. Wunderbar frei!
Nein, ich habe mich letztes Jahr nicht gegen den Wandel gewehrt. Ich habe mich vielmehr meinem Wandel hingegeben und ihn vollzogen. Ich bin stolz darauf, mein Älterwerden bewusst angenommen zu haben. Es war ein Kraftakt.
Und jetzt ist es mir eine Freude, dieses Älterwerden in seiner Buntheit und Tiefe zu erleben! Mit meinem Mann an meiner Seite. Einem Mann, der sich seinem Altern genauso stellt, wie ich das tue (und ja, auch ihm fällt es nicht immer leicht!).
PS: Für meine gute Bekannte freue ich mich übrigens von Herzen. Älterwerden ist so komplex und spannend, wie jeder einzelne Mensch. Darum gibt es nicht nur einen Weg. Sondern viele. Sie geht ihren.
Steffi meint
Hallo liebe Sonja…
Du hast das Thema Älterwerden für mich wieder einmal völlig auf den Punkt gebracht. Genau so ging es mir auch. Nach 2 gescheiterten Ehen habe ich eigentlich vor 10 Jahren den passenden Mann für mich gefunden. Trotzdem gab es irgendwann beiderseits Probleme was Frau und Mannsein ausmacht. Das Älterwerden. Mir wurde bewusst, daß ich mein Bild von mir immer über * wie muss FRAU in Mainstream aussehen und sich verhalten * ausgerichtet habe. Nö jetzt aber nicht mehr. Ich bin etwas schwerer, mein Schatz auch. Bei den Männern kommt dann noch die abnehmende körperliche Leistungsfähigkeit dazu. Das Kreuz zwackt da in der Psyche auch schwer mit. Dann kommt wirklich eins zum anderen und man meint auch extern gefallen zu müssen. Beide sind wir noch vom Typ her altersmässig etwas untypisch. Klamotten und Haare passen da nicht so zum Alter. Heute war eine Mitarbeiterin von meinem Lebensgefährten total überrascht dass ich schon 57 Jahre alt bin. Ich denke das macht auch das Outfit und die schwarz roten Haare. Respekt vor Deinem Schritt zu Grau! Aber mir hast Du mit Farbe besser gefallen. Frauen wie wir werden eher BUNT alt.. Grau kann jeder ..
❤❤❤❤
Sonja Schiff meint
Hi Steffi, danke für deine Gedanken :-) Und zu meinen Haaren: ich finde bunt ist man oder nicht. Eine Haarfarbe alleine macht niemanden bunt!
Martin Krause meint
Ach Sonja. Du bist so ganzheitlich eine wunderbare Frau. Und ein besonderer Mensch. Ja: Genau darum geht es. Um Freiheit. Um Freiheit in Ganzheitlichkeit. Ich bin 68 und Mann und wurde auch so sozialisiert. Deine Kämpfe mit Dir habe ich so oder ähnlich auch gekämpft oder kämpfe sie noch immer.. Ja. Manchmal bin ich eine Zumutung für meine Menschen. Nicht einfach. Aber ist es meine Aufgabe einfach zu sein? Nööö. Ich brauche heute keine Szrategie mehr, keine Taktik. Ich laufe so durch die Gegend, dass ich selbst das Gefühl habe ehrlich zu mir und zu meinen Menschen zu sein. Ja, ich tue auch manchmal weh. Aber dieses Verletzen von Menschen entspricht keinem Machtgelüste mehr, sondern ist Ausdruck meiner inneren Freiheit. Ich will morgens in den Spiegel schauen können ohne das mir schlecht wird. Ich will keine Werte und Normen mehr erfüllen, die nicht meine Überzeugung sind. Und wenn ich meine faltigen Hände betrachte, dann finde ich sie nicht nur schön, sondern ich lächele, wenn ich daran denke, was ich mit diesen Dingern so alles geleistet und angestellt habe. Danke für Deinen wertvollen Beitrag. Ich drücke Dich und auch Deinen Rochus, der Dich so verbraucht,, wie Du nun mal bist.
Sonja Schiff meint
:-) Danke für deinen Kommentar!