Viele meiner LeserInnen wissen, dass ich von meiner Grundausbildung her Gesundheits- und Krankenschwester bin. Das ist zwar irgendwie ein halbes Jahrhundert her, seit ich selbst pflegend tätig war, aber spannend finde ich Gesundheitsthemen immer noch. Ganz besonders, wenn ich einen Menschen kennenlerne, der mit körperlichen „Stolpersteinen“ im Leben auf bewundernswerte Weise umgeht. So eine Frau und ihr Werk möchte ich Euch heute vorstellen. Claudia Braunstein und ihr Kochbuch, geschrieben für Menschen mit Dysphagie (Schluckbeschwerden).
Die Autorin: Claudia Braunstein
Claudia Braunstein, 1962 geboren, ist verheiratet und Mutter von vier Kindern, als es sie im Juli 2011 aus ihrem Leben schleudert. Plattenepithelkarzinom am rechten Zungenrand. Ob sie sich je wieder auf normalem Weg ernähren wird können, ist ungewiss. Doch Claudia Braunstein bezeichnet sich nicht ohne Grund als „Stehauffrau“. Sie kämpft sich zurück ins Leben, in einen beinah normalen Alltag und sie setzt sich das Ziel, dass lustvolles und gutes Essen wieder Teil ihres Alltages werden muss.
2012 eröffnet sie einen Food-Blog für Menschen mit Schluckbeschwerden und gibt ihm den poetischen Namen
Geschmeidige Köstlichkeiten. Der Blog wird vielfach prämiert. 2015 erhält Claudia Braunstein den Jurypreis beim Food Blog Award Deutschland, im gleichen Jahr ist sie Finalistin beim österreichischen AMA Food Blog Award und 2016 sogar Finalistin beim German Food Blog Award.
Als Exotin unter den Food-Bloggern macht Claudia Braunstein aber nicht nur bei Prämierungen Furore, auch ihre Leserinnen und Leser adeln sie Monat für Monat, denn ihr Blog wird monatlich von 20.000 Menschen besucht und viele Betroffene bedanken sich bei Claudia Braunstein für Engagement und Rezepte.
2018 jetzt der nächste Schritt. Claudia Braustein stellt ein Kochbuch vor. Kein gängiges Kochbuch, sondern ein Kochbuch für Menschen mit Schluckbeschwerden mit dem Titel “Es schmeckt wieder! Viskose Gaumenfreuden”.
Mein Interview mit Claudia Braunstein
Du betreibst seit Jahren erfolgreich einen Food-Blog für Menschen mit Schluckbeschwerden. Jetzt hast Du für diese Zielgruppe sogar ein Kochbuch herausgegeben. Magst Du meinen LeserInnen die persönliche Geschichte hinter Deinem Kochbuch schildern?
Hinter meinem Kochbuch steht eine sehr persönliche Geschichte. Im Sommer 2011 wurde bei mir ein Plattenepithelkarzinom am Zungenrand diagnostiziert, was den Verlust eines Teiles meiner Zunge zur Folge hatte. Ich trug vorübergehend ein Tracheostoma und hatte eine PEG-Sonde, da ich mich über Wochen nicht oral ernähren konnte. Mit Hilfe intensiver logopädischer Betreuung, großem Willen und viel Training, habe ich wieder eine orale Nahrungsaufnahme erlernt. Bis heute leide ich an Dysphagie und kann viele Nahrungsformen nicht aufnehmen. Dazu gehören stärkehaltige Nahrungsmittel, wie etwa Nudeln, Reis oder Brot, weil ich diese mit meiner verkürzten Zunge nicht abtransportieren kann. Fasriges Fleisch, hartes Gemüse oder Obst, Schnittlauch und noch vieles mehr steht nicht mehr auf meinem Speiseplan. Meine Ernährung würde ich zwischen breiig und bröckelig einstufen, kommt auch auf die Tagesverfassung an. Diese Einschränkungen und auch ein Gespräch mit der Partnerin eines ebenfalls Betroffenen, waren der Grund, meine Rezepte im Internet zu veröffentlichen.
Welche Bedeutung hatte gutes Essen in Deinem Leben vor der Diagnosestellung?
Gutes Essen war in meinem Leben vor der Erkrankung ein sehr großer Faktor. Daran hat sich auch nichts geändert, allein das Angebot ist ein wenig eingeschränkter und anders.
Nach Deiner Operation konntest Du längere Zeit nicht essen, wurdest über eine Sonde ernährt. Erinnerst Du Dich noch an jenen Moment, an dem Du das erste Mal wieder etwas gegessen hast? Was war es? Welche Bedeutung hatte dieser Moment für Dich?
Dieser Moment ist mir auch heute noch sehr präsent. Ich durfte gut eine Woche nach der Operation das erste Mal mit einem Teelöffel essen. Die Erwartung war sehr groß und endete in einer bitteren Enttäuschung, denn es wurde mir ein Schoko-Sahnepudding serviert und ich hatte da schon seit Jahren nichts Süßes gegessen, weil ich es einfach nicht mochte. Ja, ich bin tatsächlich in Tränen ausgebrochen, weil ich mich so ekelte. Das konnte natürlich niemand so richtig nachvollziehen.
Du hast Dich zurück gekämpft ins Leben. Auf vieles bist Du wahrscheinlich von den Professionisten des Gesundheitssystems vorbereitet worden. Auf welche Herausforderungen wurdest Du nicht vorbereitet?
Ich war technisch gut für den Alltag zu Haue gerüstet, zum Beispiel was die Sondennahrung anbelangte. All die sozialen Belange, wie Pensionsantrag, hatte meine Mutter übernommen und deshalb war die Hilfe des Sozialdienstes nicht notwendig. Ich denke, ich war auf meinen neuen Alltag nicht wirklich vorbereitet, was aber nicht am Klinikpersonal lag. Ich hätte mir damals jemanden gewünscht, der selber betroffen ist und einfach Erfahrungen weitergeben kann. Das hat eindeutig gefehlt. Diesen Weg habe ich selbst dann eingeschlagen und eine Selbsthilfegruppe gegründet. Ich bin lange Zeit als Betroffenenbegleiterin in der Klinik unterwegs gewesen. Habe sogar eine Fortbildung zur Psychoonkologin gemacht und hätte diese Tätigkeit gerne beruflich ausgeübt. Leider bin ich aber an der Bürokratie gescheitert. Für eine Betroffene als Expertin, selbst wenn sie eine Ausbildung gemacht hat, ist in unserem Gesundheitssystem kein Platz. So bleibt es halt beim Ehrenamt.
Warum dieses Kochbuch? Welchen Beitrag willst Du damit leisten?
Ein Kochbuch war eigentlich vor sechs Jahren mein Ziel. Die Umsetzung scheiterte daran, dass sich kein Verlag für dieses, nicht so populäre Thema, interessierte. Nach mehreren Absagen war mein Wunsch nach einem Buch erledigt. Mein Blog war ja inzwischen bekannt, ich schreibe mittlerweile seit drei Jahren einen zweiten Blog, einen virtuellen Bauchladen in dem auch mein Leben mit Behinderung eine Rolle spielt. Ich thematisiere dort auch Reisen mit Dysphagie. Voriges Jahr durfte ich dann in einer bekannten TV -Sendung über mein Schicksal berichten, das ja nicht nur wegen meiner Erkrankung in den letzten Jahren vor der Diagnose sehr tragisch war. Nach dieser Fernsehsendung standen plötzlich vier Verlage vor meiner Türe. Nach langem Zureden habe ich mich für die Veröffentlichung durch den Salzburger Traditionsverlag Anton Pustet entschieden.
Ich möchte durch mein Kochbuch natürlich vor allem Menschen mit Dysphagie unterstützen und auch zeigen, dass so eine verdammte Erkrankung mit all ihren Langzeit- und Spätfolgen, die den Alltag auch tatsächlich beeinträchtigen, kein Grund sein muss sich selbst auf das Abstellgleis zu stellen. Es mag sehr abwegig klingen, aber der Krebs hat mir zu einem neuen Leben verholfen, das aber bei weitem nicht zu verachten ist, es ist nur anders.
Jetzt die Frage der Fragen: Verrätst Du meinen LeserInnen Dein Lieblingsrezept?
Diese Frage musste ja jetzt fast kommen. Eigentlich sollte ich natürlich sagen, dass alle 200 Rezepte meine Lieblingsrezepte sind. Ich persönlich esse aber tatsächlich am liebsten Tartar in allen Varianten. Davon gibt es ein paar Rezepte.
Nun sind Foodblog und Kochbuch fertig. Was ist Dein nächstes Projekt?
Die Blogs noch weiter ausbauen, eine größere Reise ist in Planung und ich denke sehr darüber nach, meine persönliche Krankengeschichte nieder zu schreiben, die oft nicht ganz reibungslos war. Damit sollte ich mich eher beeilen, bevor die Erinnerungen immer mehr verschwimmen, was ja auch gut ist.
Mein Fazit zum Kochbuch „Es schmeckt wieder!“
Wer nun glaubt das Kochbuch von Claudia Braunstein wäre nur etwas für Menschen mit Kau- und Schluckproblemen, der irrt übrigens gewaltig. Es finden sich viele Gerichte, von Aufstrichen, Suppen und Gemüsegerichten bis Desserts und Getränke, die auch „Normalessern“ schmecken, wie auch Kindern oder betagten Menschen. Meine Lieblingsrezepte aus dem Buch sind übrigens Schoko-Hummus und Paprika-Kokos-Suppe.
Es schmeckt wieder! Viskose Gaumenfreuden.
Claudia Braunstein
156 Seiten
Verlag Anton Pustet
ISBN 978-3-7025-0883-8
Hinweis: Es handelt sich bei diesem Artikel um keine bezahlte Werbung. Mir wurde als Bloggerin und Trainerin für Altenpflegethemen von der Autorin ein kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Das Buch wird von mir mittlerweile in diversen Seminaren verwendet. Der Artikel hier am Blog war mir ein persönliches Anliegen.
Claudia Braunstein meint
Liebe Sonja, ich danke dir ganz herzlich für das wertschätzende Interview und den Platz, den du dafür am Blog zu Verfügung stellst. Liebe Grüße, bis bald, Claudia
Paula meint
Vielen Dank für den tollen Beitrag. Kochbücher kann man wirklich nie genug haben. So wird es in der Küche auch nicht langweilig.
Mit besten Grüßen,
Paula