Ich gehöre nicht zu den Frauen, die ihre Weiblichkeit über ihre Geschlechtsorgane wie Gebärmutter oder Eierstöcke definiert. Mit keiner Sekunde hatte ich deshalb Sorge durch die Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken mein Zentrum zu verlieren. Mir war wichtig meine weiblichen Organe gut zu verabschieden, was ich, wie hier nachzulesen, auch intensiv getan habe. Danach war ich aber fit für die OP und zuversichtlich, dass da „nichts nach kommt“. Umso überraschter war ich, welchen Prozess die Aussage einer Zimmernachbarin während des Krankenhausaufenthaltes in mir auslöste.
Die etwas derbe und wenig feinfühlige Frau meinte drei Tage nach der Operation zu mir: „Fühlen Sie sich nicht schrecklich leer innen, jetzt wo man ihnen alles Weibliche rausgeschnitten hat?“
Nein, leer fühlte ich mich in dem Moment ganz und gar nicht. Meine lange Bauchnaht tat weh, mein Bauch war dick, geschwollen und ich hatte eher das Gefühl als hätte man mir einen Zentner Sand in die Gedärme geschüttet. Trotzdem brachte die Aussage der Frau in mir etwas zum Klingen. Würde ich mich in Zukunft innen leer fühlen?
Wie meistens, wenn mich etwas emotional beschäftigt, begann ich zu Malen. Ich hatte das Bedürfnis mein körperliches Innenleben zu zeichnen, einmal vor der Operation, einmal nach der Operation, wollte eine Art Vorher-Nachher-Vergleich für mich schaffen. Eine spannende Reise begann.
Zuerst zeichnete ich mein Innenleben vor der Operation, meine Gedärme, Verdauungsorgane, die Gebärmutter, den gesunden Eierstock, den Eierstock der zum Tumor geworden war. Das Zeichnen ging mir leicht von der Hand, es war fast meditativ mich in Darmschlingen und Farben zu versenken.
Danach begann ich mit dem zweiten Bild, mein Innenleben ohne meine weiblichen Organe. Ich hatte mich vorher erkundigt, was anatomisch nach einer Gebärmutterentfernung passiert. Im Grunde erobert sich einfach der Darm diesen frei gewordenen Raum. Aber sollte ich an Stelle der Gebärmutter, die im ersten Bild ein sonniges Zentrum darstellt, wirklich einfach nur Darmschlingen zeichnen? Ich zeichnete und zeichnete, malte Darmschlingen um Darmschlingen, aber irgendwie schaffte ich es nicht im Bild „nach unten“ zu kommen. Die Frage „Fühle ich mich jetzt innen leer?“ wurde immer drängender und beschäftigte mich intensiv. Irgendwann um 2 Uhr morgens legte ich die Farbstifte zur Seite und träumte danach wirres Zeugs.
Am nächsten Morgen hatte ich einen Termin bei der Physiotherapeutin, es sollte um meinen Beckenboden gehen. Die Therapeutin erklärte mir anhand eines Modells die Anatomie des Beckenbodens, seine Funktion und führte aus, warum es so wichtig wäre ihn zu trainieren. Was so theoretisch begann, wandelte sich plötzlich zu einem emotionalen Setting. Die Physiotherapeutin erklärte mir, dass man den Beckenboden nicht trainieren kann in Sinne von Muskeltraining, weil wir den Beckenbodenmuskel, anders als andere Muskeln, nicht direkt spüren. Sie meinte, den Beckenboden könnte ich nur „über eine Vorstellung“ trainieren und während sie das sagte, nahm sie das Bild einer Lotusblüte in die Hand. „Beim Einatmen öffnet sich die Lotusblume, beim Ausatmen schließt sie sich“ hörte ich noch als Anweisung, mein Herz machte einen freudigen Sprung und während die Therapeutin erklärte und erklärte, war ich gedanklich schon weit weg und malte eine Lotusblume in mein Becken.
Als die Physiotherapeutin meine Abwesenheit realisierte, erzählte ich ihr von der Aussage der Zimmernachbarin, wie mich dieser Satz beschäftigt hatte und was für ein wunderbares Bild sie mir mit der Lotusblume gerade geschenkt hatte. Da saßen wir in dem Therapieraum, mir rannen Tränen der Erleichterung übers Gesicht und auch die Physiotherapeutin hatte Tränen in den Augen.
Zurück im Zimmer zeichnete ich mit Begeisterung und mit südamerikanischer Musik am Ohr eine rosa-violette Lotusblume in mein Becken. Mein neues Zentrum! Nein, ich werde mich nicht leer fühlen! Keine einzige Sekunde lang!
Bess meint
Als ich vor der Hysterektomie stand, lange ist es her, habe ich auch in einem Brief Abschied genommen. Ob es nun an diesem bewussten Würdigen und Abschiedsbrief lag – eine Traurigkeit oder ein Vermissensgefühl oder Heimweh kam nicht zu mir.
Leider kann ich nicht zeichnen, ich mag deine bildlichen Darstellungen und die Stimmungen und Seele, die darin stecken, sehr.
Und diesen unglaublich leuchtenden Krebs! Ist das ein echter? Solch ein wundervolles Tier?!
Sonja meint
Danke Bess, Brief schreiben wäre für mich auch eine Option gewesen zur Verabschiedung!