Er naht wieder, der jährliche Festtag mit seinen Lobeshymnen an die Mutter. Es gab eine Zeit, da habe ich alle Mütter dieser Welt unendlich darum beneidet, dass sie an diesem einen Sonntag im Jahr geweckt werden mit einem holprig vorgetragenen Gedichtchen, mit einen selbstgepflückten Blumenstrauß, mit einem selbstgemalten Bildern und feuchten Kinderküssen. Der Muttertag war viele Jahre einer meiner Angsttage. An Muttertag war ich konfrontiert damit, dass andere etwas geschafft haben, was mein Körper leider verweigerte: Ein Kind zu bekommen. Mutter zu werden. An Muttertag habe ich mich in meine Höhle verkrochen, meine Wunden geleckt und gewartet bis er vorübergeht.
Das ist mittlerweile 20 Jahre her. Heute lebe ich ein zufriedenes kinderloses Leben, habe meine Energie in den Beruf gesteckt, meine Schwerpunkte im Leben auf andere Themen gerichtet. Heute beschäftige ich mich beruflich mit dem Thema kinderlose Frauen, erst vor einem Jahr habe ich etwa meine Masterthesis mit dem Titel „Vom Älterwerden und generativen Verhalten kinderloser Frauen“ geschrieben. Kann man als e-book kaufen, einfach googeln :-)
Doch es war ein langer und weiter Weg auch ohne Kinder zufrieden zu leben. Ich musste meine eigenen Gefühle verarbeiten, meine unbeschreibliche Trauer und mein Gefühl des Mangels überwinden und lernen die Chancen eines kinderlosen Lebens zu erkennen. Ich hatte mich zu wehren gegen negative Zuschreibungen wie „Kinderlose Frauen sind Egoistinnen“ oder „Kinderlose tragen nichts zur Gesellschaft bei“. Ich musste meinen Schmerz aushalten, wenn Kinder von Freundinnen mich mit großem Blick fragten: Magst du denn keine Kinder?“ Ich lernte Frauen zu ertragen, die sich laufend darüber beschwerten, dass ihre Kinder so viel Arbeit machen und solche, die meinten: „Hast Du es schön. So viel Freiheit.“ Und ich musste den mitleidigen Blicken von Müttern trotzen, die mir gerne den Satz: „Da kannst du nicht mitreden, hast ja keine Kinder“ unter die Nasen rieben oder mir gar absprachen eine „richtige“ Frau zu sein.
Viele Jahre meines Lebens dachte ich, in diesem Leben nie glücklich zu werden. Heute im Rückblick weiß ich, die Mutterschaft wird in unserer Gesellschaft glorifiziert. Wir tragen alle dieses tradierte Bild in unseren Köpfen, dass ein Frauenleben erst dann erfüllt ist, wenn es zur Mutterschaft kommt und ein kinderloses Leben ein unerfülltes Leben ist. Deshalb lassen sich viele ungewollt kinderlose Frauen jahrelang verzweifelt reproduktionsmedizinisch behandeln, leben zwischen Hoffnung und Enttäuschung, reduzieren sich und ihr Leben auf Hormonspiegel und Eireife, warten Monat für Monat auf den Eisprung und übersehen, wie die Jahre an ihnen vorbeilaufen. Am Ende sind es nur 47% der behandelten Paare, die tatsächlich Eltern werden. Die restlichen 53 % trauern und leiden jahrelang, wenn nicht sogar ihr gesamtes Leben.
Ich möchte den nahenden Muttertag daher dazu nützen, allen verzweifelten kinderlosen Frauen zu sagen: Hey, ein erfülltes Leben ohne Kinder ist möglich. Ein kinderloses Leben kann sogar reich und bunt sein. Ihr seid als Frauen mehr als „ein funktionierender Körper“, ihr seid mehr als Euer „Muttertrieb“, das Leben hat auch andere Aufgaben bereit für Euch!
Eine kinderlose ältere Frau hat in einem Gespräch mit mir einmal gemeint: „Wir Frauen sind alle Mütter, ob wir nun ein Kind geboren haben oder nicht. Wir haben alle diese wunderbare mütterliche Energie, diese nährende Energie in uns. Und es gibt viele Situationen, wo diese mütterliche Energie gebraucht wird auf dieser Welt.“
Christa meint
Liebe Freundin,
ich kann den letzten Satz (…“es gibt viele Situationen, wo diese mütterliche Energie gebraucht wird auf dieser Welt.“ ) deines Artikels nur unterstreichen. Wie gut hat mir doch deine mütterliche Fürsorge bei meinem holprigen Start ins heurige Jahr getan. Danke von Herzen von „Einer“, der das Kinder kriegen immer so „passiert“ ist.
LG Christa
Sonja Schiff meint
:-) Umarmung, liebe Christa!!!
rochus gratzfeld meint
https://www.fischundfleisch.com/blogs/kinder-familie/arschlochmuetter.html
Goslin meint
Muttertag 2023
Ich muss hier den zutiefst emanzipatorischen Satz hinterlsassen,
dass Frauen GEWOLLT ohne Kinder und auch ohne mütterliche Energie
gleichermaßen Lebensrecht und Weltwirkung haben, wie Männer mit und ohne Fortpflanzung.
Sonja Schiff meint
unbedingt!!!!!! danke für die anmerkung!