Ich bin kinderlos. Lange Jahre hat mir das viel Schmerz bereitet. Doch irgendwann habe ich gelernt, ohne Kinder zu sein ist nicht nur ein Mangel, sondern auch die Chance auf andere Art und Weise im Leben zu wirken. Also habe ich meinen Schwerpunkt auf meine Arbeit gelegt und mich selbständig gemacht. Seit 15 Jahren begeistere ich Menschen in Seminaren für Altenpflege und sensibilisiere sie für alte Menschen.
Mit über 50 beschäftigt mich trotzdem immer wieder die Frage, was von mir einmal bleiben wird. Welche Spuren werde ich hinterlassen, wenn ich einmal sterbe? Wo habe auch ich an jüngere Menschen etwas weitergegeben? Wo habe ich etwas beigetragen für die nächste Generation. Über Fragen dieser Art denke ich seit rund 4 Jahren viel nach. Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung, vor allem auf der kognitiven Ebene, war meine Masterthesis und mein EBook „Vom Älterwerden und generativen Verhalten kinderloser Frauen“.
Ich dachte das Thema Kinderlosigkeit gut abgeschlossen zu haben, war der Meinung, dass alle Fragen für mich geklärt sind, zumal mich ja die Tochter meines Mannes kürzlich zur „Stiefoma“ gemacht hat. Ein ganz wunderbares Erlebnis!
Doch dann traf ich Mohammed, 26 Jahre und aus Afghanistan. Wir kannten uns etwa zwei Monate als ich ihn zum Gitarrenunterricht begleitete, um sprachlich Hilfestellung zu geben. Der Gitarrenlehrer fragte mich, in welcher Beziehung wir zueinander stünden und ich bemerkte auf deutsch „Ich bin ein bisschen in einer Mutterrolle“. Einen Tag später schrieb mir Mohammed eine Facebooknachricht. Sie begann mit „Hallo Mama.“
Mein Herz machte einen Sprung. Es war eine Mischung zwischen Schmerz und Freude, die mir da in Mark und Bein fuhr. Vor Schreck schrieb ich „Sag bitte weiter Sonja zu mir. Ich bin nicht Deine Mutter, die ist in Afghanistan“. Danach saß ich heulend am PC. Ich schämte mich über das kurze Glücksgefühl, es kam mir vor als würde ich einer mir unbekannten Mutter in Afghanistan gerade ihr Kind wegnehmen.
Das Leben ist manchmal echt ein Mysterium. Da trifft dieser junge Mann, der in der Fremde gelandet ist und sich nach seiner Mutter, seinem Vater und seinen Geschwister sehnt, auf mich, eine Frau über 50, die es, trotz aller gelungenen Auseinandersetzung, immer noch vermisst keine Kinder bekommen zu haben. Sein Leben trifft auf mein Leben. Einfach so. Unvermittelt. Dieser junge Mann stolpert in mein Leben und wächst mir mehr und mehr ans Herz.
Heute hat er mich, nach einem gemeinsamen Nachmittag, gefragt, wie er mich nennen soll. Und wieder meinte ich: „Sonja“, worauf mir mein junger Freund erklärte, das wäre aus seiner Sicht nicht respektvoll und würde doch auch unsere Beziehung nicht erklären. Also fragte ich ihn, wie er mich nennen möchte und er antwortete: „Mama. Mama Sonja.“
Also bin ich seit heute „Mama Sonja“ und dabei denke ich die ganze Zeit an die eine Aussage im Buch Der Kleine Prinz, wo der Fuchs dem kleinen Prinz erklärt „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“
Horst Konrad meint
„Die andere Maria“, in meiner Jugend habe ich diesen Roman gelesen. Dieser beschäftigt sich mit dem Thema: Zwei Freundinnen jeweils mit Namen Maria leben nebeneinander ihr Leben; die eine mit Kind, die andere ohne eigenes Kind.
In deren folgenden Lebensabschnitten heilte die andere Maria zufällig eine in der Gegend bekannte,tödlich ausgehende Vitaminmangelkrankheit, einfach indem sie den Patienten ihres kleinen Spitals, das sie als Tochter eines Apothekers führte, reichlich Marmelade zu den Mahlzeiten verabreichte.
Der Ehemann der Maria mit Kind, der die Krankheit als Vitaminmangelerkrankung erkannte und diesen Therapieansatz wirtschaftlich ausnützte, meinte später, die andere Maria habe diese Heilung der Menschen tätigen können, weil sie ohne den Gottessohn auf dem Arm, beide Hände frei hatte und so diese zum Wohl ihrer Mitmenschen gebrauchen konnte.
Nach dem Autor oder Autorin bitte nicht fragen; deren Namen habe ich nämlich vergessen.
Sonja Schiff meint
:-)
Marianne meint
Liebe Sonja, ich finde es wunderbar dass Du von diesem jungen Mann adoptiert wurdest. Ich denke auch dass seine Mutter in Afghanistan sehr froh sein wird dass ihr Kind von einer 2. Mama unterstützt wird. Du nimmst ihr nichts weg,, Würde sie Dich sehen können, eine Frau mit Herz, würrde sie selbst bitten Dich um ihr Kind zu kûmmern. Jede Mutter, die ihr Kind liebt, möchte dass es nicht allein ist in der Fremde.
Sonja Schiff meint
danke marianne für deine worte!!
CHRISTINE JURASEK meint
Sonja, du wirst einmal sehr sehr viele Spuren hinterlassen haben, nicht nur für Mohammed. Andere halt.
Alles Liebe für deine „neue“ Rolle!
Sonja Schiff meint
:-) danke dir christine!
Angela meint
Hallo Sonja,
Dein Artikel ist wundervoll, ehrlich.
Wenn mein Sohn aus einer Not heraus in einem fremden Land wäre, würde mir so mancher Stein vom Herzen fallen, wenn sich jemand so rührend um ihn kümmern würde. Das er Dich mit „Mama Sonja“ anredet, zeigt wirklich seinen Respekt vor Dir.
Herzliche Grüße
Angela
Sonja Schiff meint
danke dir vielmals Angela!
Cecilia meint
Für Dich eine Umarmung von mir!
Cecilia
Sonja Schiff meint
:-) danke cecilia!
Daniella meint
ich sitze hier und muss weinen.
Liebe Sonja – dass ist so schön !!!
Ich bin mir ganz ganz sicher, dass du schon vielen anderen jungen Leuten etwas mit auf den Weg gegeben hast und ein bisschen Mama für sie bist. Nutze deine Gaben und deine Zeit und genau wie für diesen jungen Mann, Mama zu sein !!!
Du hast wahrschienlich mehr Kinder als so manche Frau die Kinder bekommen kann, da bin ich mir sicher !
<3
Gruß
Dani
Sonja Schiff meint
Hallo Dani, danke für Deine Worte :-) Freuen mich sehr! Grüße Sonja