Kennt Ihr auch diese Momente, die Euch inne halten lassen und Euer Leben betrachten? Wo Ihr euch fragt, ob Ihr Euer Leben nützt? Es auch wirklich lebt?
Ich erlebe gerade wieder einmal so einen Moment. Zwei Ereignisse fallen zusammen: Erstens: Eine Freundin hat mir erzählt, dass der Krebs zurück gekommen ist. Sie hat erneut Operationen vor sich und die Ungewissheit, ob sie den „Scheiß überlebt“ (O-Ton).
Zweitens: Es ist bald Sylvester. Ein weiteres Jahr geht zur Neige. Wieder einmal stehe ich da und denke mir, unglaublich wie die Zeit rennt! Sie verfliegt! Jahr um Jahr! Es geht mir fast zu schnell!!
Leben! Was ist „das Leben“? Wann kann man am Ende seines Lebens zu sich selbst sagen, dass man gelebt hat? Wieviele Lebensjahre braucht ein erfülltes Leben?
Wenn ich mich so umblicke, das Leben Anderer in meinem weiteren Umfeld betrachte, dann denk ich mir manchmal, mein Leben ist echt langweilig. Keine Weltreisen, keine tägliche Gipfelerstürmung, kein wöchentlich überwundener Klettersteig, keine täglichen Joggingrunden, keine Fallschirmsprünge oder atemberaubende Tauchgänge. Ja, nicht einmal Zumba-Stunden, Yoga oder wenigstens wöchentlich Partieeeeeeee!
Bin ich eine fade Nudel? Führe ich ein langweiliges Leben? Nütze ich mein Leben zu wenig?
Was macht MEIN Leben aus? Was bedeutet es für mich zu leben?
Ich switche derzeit zwischen zwei Welten hin und her, zwischen Salzburg und Sarród in Ungarn. Und ich liebe das!
Salzburg: Viele alte FreundInnen, berufliche Vernetzung, Vielfalt, hunderte Kulturangebote, viele Eindrücke und tausende Möglichkeiten, Geschwindigkeit und Bewegung, Konsum, Reichtum, Urbanität.
Sarrod/ Ungarn: Kontrast, wie zurück gebeamt in die 70er Jahre, Freundlichkeit, Offenheit, Bedächtigkeit, erste zarte Kontakte, eine noch unbekannte Sprache, ein großer Garten, Platz für unsere Hunde, Obstbäume, Gemüsebeete und Natur, Natur, Natur, Natur. Wohin man auch blickt.
Als ich gestern so über das Leben und den Begriff der Lebendigkeit sinnierte, kamen mir diese beiden nachfolgenden Videos unter. Sie zeigen eine Frau, ich glaube sie ist Russin, die sich „ihre Seele aus dem Leib“ singt. Man sieht eine ältere Frau in Küchenschürze, in ganz einfachen Verhältnisse. Eine Küche, gemeinsames Essen und Trinken, ein Mann mit einer Ziehharmonika und diese Frau mit ihrem Gesang! Schaut sie Euch an!
Ist das das Leben? Was macht LEBEN aus?
Mich haben diese Videos erinnert an das Sommerfest heuer in unserem ungarischen Dorf. Da sah ich die Frauen singen, die Männer tanzen und stampfen, es wurde gelacht und miteinander gegessen. Ich sah Lebenslust und pure Freude am Miteinander. Weit weg von Bierzeltgaudi oder Konsum. Den könnten sich die meisten Dorfbewohner hier nämlich gar nicht leisten. Die Gemeinde hatte zum gemeinsamen Essen, Trinken und Feiern geladen. Und ich durfte dabei sein als neue Sarròderin.
Es ist dieses im Moment leben, was mich so begeistert. Mit ganzem Herzen und ganzer Seele JETZT dabei zu sein, sich dem aktuellen Tun absolut zuzuwenden. Das bedeutet für mich, stelle ich immer mehr fest, zu leben.
Je älter ich werde, umso mehr bedauere ich Menschen, die Montag morgens auf dem Weg zur Arbeit schon durch einen durchschauen, mit dem Kopf noch im Gestern oder schon beim Arbeitsende am Freitag. Immer öfters kann ich das äußerliche Hetzen von einem Abenteuer, von einem großen Erlebnis zum nächsten, nicht mehr nachvollziehen. Und immer öfter gehen mir Menschen im permanenten Kauf- und Konsumrausch einfach nur schrecklich auf die Nerven.
Dafür habe ich immer mehr ein Faible für Menschen, die die kleinen Dinge im Leben wahrnehmen. Das lachende Kind, ein Gänseblümchen am Straßenrand, den Sonnenschein, eine Wolkenformation, eine singende Frau, eben diese kostbaren Augenblicke im Leben, die man nicht kaufen kann und auch nicht festhalten.
Ich denke dabei aber auch an Cristina und Bernhard, zwei Menschen, zwei Freundinnen, die immer wach sind und Ausgrenzung wahrnehmen, die aufstehen, ja aufschreien, wenn Menschen diskriminiert werden oder verfolgt. Auch sie sind mit ganzer Seele dabei.
Ich begeistere mich zunehmend für Menschen, die mit ihrem kleinen, einfachen Leben sichtbar zufrieden sind. Menschen, die Arbeit (nicht nur die berufliche Arbeit) als Freude erleben, als wesentlichen Teil ihres Lebens.
Da fallen mir viele Menschen in Ungarn ein, die mit Freude und Stolz ihre Gärten bewirtschaften. Da fällt mir der Nachbar ein, der mir voll Begeisterung seinen heurigen Wein vorstellt und seinen Schnaps. Aber ich denke auch sofort an den Besitzer des türkischen Ladens bei mir um die Ecke in Salzburg. Samstags um 10 sitzt mitten im Laden die gesamte Familie zusammen und frühstückt gemeinsam. Mitten im Laden! Und wenn man gern gesehener Kunde ist, wird man prompt dazu eingeladen. Einfach wunderbar!
Was bedeutet es, wirklich sein Leben zu leben?
Es heißt, mit zunehmendem Alter lernt man Wesentliches von Unwesentlichem zu unterschieden. Es heißt aber auch, „alles hat seine Zeit“.
Ich hab mir auf alle Fälle vorgenommen noch mehr das JETZT zu leben. Die Augenblicke im Leben noch mehr wahrnehmen. Noch mehr zu singen, wenn mir nach singen ist. Noch mehr zu tanzen, wenn mir nach tanzen ist.
Evelyn meint
Die fotos von dir find ich genial!
Sonja Schiff meint
Danke Evelyn!