Als mich Mohammed das erste Mal über Facebook kontaktiert, wirken in mir alle Vorurteile, die mir so im Laufe der letzten Jahre und Monate ins Hirn gepflanzt wurden via Medien und Parteien. Obwohl ich die FPÖ zutiefst ablehne und mich die christlich soziale Partei dieses Landes mit ihrer Heuchelei ankotzt, musste ich mir eingestehen, dass ihre Worte und Mahnungen auch in mir wirken.
„Der ist nur auf der Suche nach einer Frau!“ war so ein Gedanke der hochkam und „Ist das überhaupt ein richtiger Flüchtling?“. Mühsam musste ich die aufkommenden Zweifel wegschieben und meinen Verstand einschalten, der mir sagte: „Da ist ein Mensch in der Fremde, der sucht Kontakt. Was würdest Du tun an seiner Stelle?“
Quasi sicherheitshalber habe ich Mohammed gefragt wie alt er wäre. Nachdem er sein Alter nannte, 25 Jahre, meinte ich spontan „Ich bin 51, also ungefähr so alt wie Deine Mutter“, worauf er lachend meinte: „Nein, Du bist älter als meine Mutter.“ Danach noch kurz klar gestellt, dass ich verheiratet bin und schon war der Weg frei für ein erstes Treffen.
Doch wohin gehen mit einem jungen Mann aus Afghanistan, den ich noch nie zuvor gesehen habe, der kaum Deutsch spricht und der kein Geld hat? Spazierengehen? Ins Kaffeehaus? Museum? Was tun, wenn es da nichts miteinander zu reden gibt, weil uns Welten trennen? Was, wenn er mir unsympathisch ist? Ich war nervös vor meinem ungewöhnlichen Blind-Date, wie schon lange nicht mehr. Aus taktischen Gründen entschied ich mich für ein Treffen am Bahnhof Salzburg, einen kurzen Spaziergang durch die Stadt und einem Besuch im Haus der Natur. Auf diese Weise, meinte ich, könnte eine erste Annäherung stattfinden ohne große peinliche Schweigezeiten.
14. Februar 2016. Ich treffe einen zuvorkommenden, etwas unsicheren jungen Mann mit dunklen Augen, in denen sich Traurigkeit spiegelt. Er begrüßt mich auf Deutsch, wechselt dann ins Englische und wir marschieren Richtung Salzburger Altstadt. Mohammed erzählt mir, dass er ungern alleine spazieren geht, weil er Angst hat von der Polizei aufgehalten zu werden. Einmal wurde er bereits kontrolliert, auf offener Straße, weil er Flüchtling ist. Ich erfahre wie sehr er sich geschämt hat vor den herumstehenden Österreichern. Der junge Mann erzählt mir, was er alles tut um nur nicht aufzufallen. „Man muss sich anpassen“ meint er und ich erfahre, wie er das Internet durchforstet auf der Suche nach gesellschaftlichen Regeln in Österreich und parallel drei Deutsch-Kurse gleichzeitig besucht. Bereits sieben Monate wartet Mohammed auf das alles entscheidende Interview seines Asylverfahrens. Sieben Monate schon Hoffnung und sieben Monate schon Angst. Ob seine Fluchtgründe anerkannt werden, ob man ihm Glauben schenken wird und er hier in Österreich bleiben darf? Für mich ist es unvorstellbar, wie jemand es aushält so lange Zeit in Unsicherheit zu verbringen. Aber wer gegen die Taliban gekämpft hat und vor Verfolgung flieht, für den ist Warten wahrscheinlich sogar ein Glücksfall. Hauptsache im Moment in Sicherheit.
10.April 2016. Mohammed wartet immer noch auf sein Interview. Die Vorstellung, dass er als Hazara vielleicht nicht anerkannt wird, weil die Bundesregierung bei Afghanen die Daumenschrauben angedreht hat, die Vorstellung, dass er vielleicht abgeschoben wird, macht mich unendlich traurig und hilflos. Sage ich ihm nicht, gemeinsam blicken wir voll Hoffnung in die Zukunft. Der positive Blick in die Zukunft trägt meinen neuen Freund. Der Blick in die Zukunft trägt auch mich und verscheucht dunkle Gedanken.
Kürzlich hat mich Mohammed, als ich ihm auf einer Radltour den Badesee gezeigt habe und von Sommer und Schwimmen geredet habe, mit dunklen Augen angesehen und gemeint, der See würde ihn an seine nächtliche Überfahrt übers Mittelmeer erinnern. Danach schwieg er und schluckte Eindrücke hinunter, die ich nicht einmal wage zu denken. Als wir gestern über seine Flucht reden, darüber wie sehr er seine Familie vermisst, und ich zu weinen beginne, meint er tröstend: „Weine nicht. Es ist mein Leben. Nicht Deines.“
Zum Glück gibt es da auch eine andere, eine heitere Seite. Mohammed hat gerade begonnen Gitarre zu lernen, ein kleiner Traum der sich erfüllt (danke an das Musikum Salzburg für die Vermittlung eines Gitarre-Lehrers, der gratis Unterricht gibt!) und er hat neue Freunde gewonnen mit denen er regelmäßig Frisbee spielt. „Die sprechen nur Deutsch“ hat er mir vor ein paar Tagen stolz erklärt und seine Augen strahlten.
Mohammed fasst Fuß. In Österreich und in meinem Leben.
Werner Matheis meint
Liebe Sonja!
DANKE, DANKE, DANKE für Deinen Bericht!
Aber ist es überhaupt ein Bericht oder doch eine Zustandsbeschreibung von unserem Land?
Egal.
Dein und das stille Engagement vieler Tausender in diesem Land wird schlussendlich das Gebrüll der Hetzer und Heuchler übertönen.
Da bin ich mir sicher.
Deine Geschichte erinnert mich an eine ähnliche von mir:
In der Gartengestaltungsfirma meines Sohnes beschäftigten wir vor Jahren den Flüchtling G. aus Dagestan. Das war und ist nicht legal aber was solls. G. hatte immer ein Wörterbuch Russisch-Deutsch. bei sich. Wenn er bei uns tageweise beschäftigt war, organisierte er sich immer die Zeitung „heute“. In der Mittagspause las er immer kleine Artikel mit Hilfe des Wörterbuches. Natürlich halfen wir Ihm so gut wir konnten.
Heute hat G. humanitären Schutz in Österreich. Er hat seinen Weg gemacht obwohl er auch nicht mehr der jüngste ist. Er hat Freunde gefunden und lebt in einem sicheren Land.
Ein bisschen stolz bin ich schon, das gebe ich gerne zu.
All diese oder ähnlichen Geschichten, z.B. Deine, sind das wärmende Feuer in einem Land das immer kälter wird.
In diesem Sinne: NO PASARAN!
Liebe Grüße
werner
Sonja Schiff meint
Lieber Werner, danke für Deinen Kommentar! Und für Deine Geschichte.
Claudia Braunstein meint
Danke für den schönen Bericht, ich weiß ja von wem du schreibst. Liebe Grüße, Claudia
Sonja Schiff meint
Ja, Du kennst ihn… :-)
Ulli Rausch-Götzinger meint
Liebe Sonja, vielen Dank für deinen Bericht. Auch ich habe einige neue, junge Freunde gefunden im letzten Jahr. Und auch wenn sich viele Leute das nicht vorstellen können: sie haben mein Leben ungemein bereichert!
P.S. ganz anderes: Die Birnen-Holler-Marmelade war ein Hit, DANKE!
Sonja Schiff meint
Hallo Ulli, danke für die nette Rückmeldung zur Marmelade :-) und zum Kommentar. Tut gut zu hören, dass wir doch Einige sind….
Cecilia meint
Wunderbar!
Angelica meint
Liebe Sonja,
diese kleine Geschichte hat mich zutiefst berührt. Ich bin froh, dass es Menschen wie dich gibt, die hinter die Kulisse der Vorurteile blicken und den Menschen dahinter entdecken. Ich finde überhaupt keine richtigen Worte ich verdrück mir grad alle meine Tränen.. Ich hoffe für Mohammed, dass er bei uns in Europa bleiben darf, und nicht in ein Land zurück geschickt wird in dem täglich Bomben hoch gehen. An seinem Beispiel sieht man wirklich, dass die Vorurteile falsch sind, ich meine, jeder würde sich schämen in einem fremden Land leben zu müssen wenn ihm jeden Tag aufs neue klar gemacht wird, dass der Großteil der Bevölkerung dich ablehnt. Die Menschen haben einfach keine Wahl und würden bestimmt auch lieber ein eigenständiges Leben in ihrem eigenen Land führen, aber das geht nicht. Die meisten in Europa können sich in so eine Lage einfach nicht hineinversetzten, es fehlt ihnen an Empathie und das ist verdammt schade. Danke und viele Grüße Angelica