Meine Operation am 16. Jänner hat, mittlerweile kenne ich das Ablaufprotokoll, 8 Stunden und 15 Minuten gedauert. Mir wurden der tumöröse und der gesunde Eierstock entfernt, die Gebärmutter, das Bauchnetz, die Lymphknoten und der Blinddarm. Gleichzeitig wurde der gesamte Bauchinhalt abgesucht nach vermeintlichen Metastasen. Bei Metastasenbefall im Bereich Darm, wäre die Operation ausgeweitet worden. Meine Bauchnaht reicht von 3 Zentimeter oberhalb des Nabels bis zum Schambein.
Eine Operation diesen Ausmaßes heil zu überstehen, ist für mich keine Selbstverständlichkeit. Mögliche Komplikationen lauern überall! Auch wenn ich durch die Operation noch nicht zur Gänze geheilt bin, eine Chemotherapie wird höchstwahrscheinlich folgen, ist es mir sehr wichtig, dankbar zu sein für die positive Bewältigung dieser ersten Etappe. Als ich das erste Mal die Station verlassen durfte, habe ich 4 Rituale gemacht, die dieses DANKE zum Ausbruch gebracht haben. Diese 4 Rituale waren nicht geplant. Ich bin einfach raus in den Klinikpark, habe mich treiben gelassen und dann sind sie mir begegnet. Sie standen quasi für mich bereit. Das fünfte Ritual folgte am Entlassungstag-
#1: Der erste bewusste Schritt hinaus in die Natur
Es hat mich wirklich innerlich bewegt, als die Krankenschwester meinen Venenzugang, der mich zehn Tage lang intensiv mit Schmerzmittel und Antibiotika versorgt hat, entfernte und meinte: „Jetzt sind Sie wieder frei!“ Tagelang konnte ich nur vom Bett aus beim Fenster hinaussehen, habe Stürme erlebt, Regen, einen wunderbaren Wintereinbruch und vor zwei Tagen plötzlich Sonnenschein. Ich lag im Bett, kämpfte mit Schmerzen, Mobilität und banalen Ausscheidungsbedürfnissen, später hing ich an Infusionen oder wartete auf anstehende Untersuchungen. Sobald ich so halbwegs laufen konnte, watschelte ich mit Musik am Ohr entenartig und meinen geschwollenen Bauch vor mich herschiebend den Krankenhausgang entlang – hinauf, hinunter, hinauf, hinunter. Es war mir verboten die Station zu verlassen und ehrlich gesagt, bis vor zwei Tagen wäre mir das auch gar nicht möglich gewesen. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so schwach gefühlt.
Dann war es plötzlich soweit. „Jetzt sind Sie wieder frei!“ tönten die Worte der Krankenschwester es in meinem Ohr. Schon lief ich ins Zimmer, holte Mantel und Schal, lief die Treppen hinunter und dann stand ich vor jener Tür, die in den Park des Krankenhauses führt.
Ich habe diesen ersten Schritt hinaus in die Natur ganz bewusst gemacht. Habe die Türe geöffnet, den Schritt gemacht, bin vor der Türe kurz stehen geblieben und habe tief durchgeatmet. Dann bin ich los zu meinem allerersten Spaziergang nach der Operation. Ich war ein wenig wackelig, schnell außer Atem, in meinem operierten Bauch tönte es dumpf, aber ich habe die Kühle der Luft genossen, mich an der Sonne erfreut und mich frei gefühlt! DANKE Schicksal, dass ich das wieder erleben darf.
#2: Das Begehen des Labyrinths
Bei meinem gemächlichen Spaziergang durch den Park der Klinik, stieß ich auf ein gepflastertes Labyrinth. „Wie passend!“ jubelte es in mir. Mit dem Begehen eines Labyrinths assoziiere ich grundsätzlich den Satz „Der Weg ist das Ziel“, den Aufbruch ins Unbekannte, aber auch die Wandlung und Läuterung durch die Bewältigung von Krisen. Was für eine schöne Idee, ein Labyrinth in einen Klinikgarten zu pflastern.
Ich habe mir beim Gehen des Labyrinths viel Zeit gelassen. Beim Hineingehen habe ich mir noch einmal all die Monate mit den heftigen Autoimmunreaktionen vor Augen geführt, die letztlich dazu führten, dass mein Ovarialkrebs überhaupt entdeckt wurde. Ich habe mich bedankt bei meinem Körper für die Warnung, aber auch für den Zuruf „Wir schaffen das! Schau mal, wie sehr ich für Dich kämpfen kann!“ (Danke an dieser Stelle an Yvonne für diese wunderbare Deutung meiner schmerzhaften Autoimmunreaktionen!). Ich hab mich erinnert an die Menschen, die mich auf diesem langen Weg begleitet haben. Je mehr ich mich der Mitte des Labyrinths näherte, umso mehr ging es um den Augenblick der Diagnosestellung, um den Schockzustand, um meine Prozesse der Bewältigung, ich erinnerte mich noch einmal daran wie ich den Tumor gemalt habe und mich von meinen Organen verabschiedet habe (darüber gibt’s bald einen Blogbeitrag!).
Dann stand ich in der Mitte des Labyrinths, atmete durch, dachte an die Operation, die letzten zehn Tage, an meine Angst vor der OP, an die Beschwerlichkeiten danach, daran wie es Tag für Tag ein Stück leichter wurde (über die Freude darüber, wieder schmerzfrei und gut kacken zu können, könnte ich einen eigenen Artikel schreiben ;-) ) bis zu dem Moment als die Krankenschwester meinte „Jetzt sind Sie wieder frei“. Ich atmete mehrmals tief durch und trat den Rückweg durchs Labyrinth an.
Beim Hinausgehen aus dem Labyrinth beschäftigte mich der Gedanke, welche Bedeutung diese Erkrankung für mein Leben jetzt bereits hat und noch haben wird. Mir fiel eine Bekannte ein, die mir eine halbe Stunde vorher eine Mail geschrieben hatte und sich darin die Frage nach dem Warum stellte. Warum passiert Dir das, die du doch so reflektiert bist und lebst? Sie war sich sicher, dass auch mich diese Frage treiben würde. Warum ich? Warum mir? Beim Hinausgehen aus dem Labyrinth stellte ich fest, dass ich mir diese Frage noch gar nicht gestellt hatte. Vielleicht, weil ich darauf sofort eine Antwort hätte. Sie würde lauten: Warum nicht mir?
Danke Leben, dass Du mir schon so viele Strategien beigebracht hast, um in einer Lebenskrise wie dieser, den Boden unter Füßen nicht mehr gänzlich zu verlieren. DANKE!
#3: An einen alten Baum lehnen
Weil das Begehen des Labyrinths Zeit brauchte und das Gehen langsam anstrengend wurde, überlegte ich mich irgendwo hinzusetzen und zu rasten. Aber im Winter ist eine Parkbank für eine kleine Pause wohl nicht wirklich ratsam. Da sah ich ihn, den alten Baum, ganz in der Nähe des Labyrinths.
Mein drittes Ritual ist ganz einfach, ich praktiziere es schon seit vielen Jahren, in vielen Situationen. Lehne Dich an einen alten, kräftigen Baum und spüre seine Kraft.
Immer wenn ich mich an einen alten Baum lehne, geht mir die Aussage einer lieben Bekannten durch den Kopf, den diese gerne bei scheinbar großen Problemen tätigt. Er lautet „Galaktisch betrachtet unerheblich“ oder auch einfach nur „Sternenstaub“. Am alten Baum lehnend bin ich also dem Gedanken nachgehängt, dass mein Leben und mein individuelles Drama, galaktisch betrachtet unerheblich ist. Ich finde es wichtig, die Dinge immer wieder ins rechte Licht zu rücken.
Außerdem habe ich mir bewusst gemacht, dass ich das Glück habe, die beste medizinische Betreuung zu bekommen, während viele Menschen in gleicher Situation auf diese Zuwendung verzichten müssen und damit gar keine Chance bekommen, den Kampf gegen den Krebs (oder anderen Erkrankungen) aufzunehmen. Daher: DANKE!
#4: Der Besuch der Klinikkirche
Vom Labyrinth aus sah ich sie schon, die Kirche der Klinik. Ich gehöre keiner Glaubensgemeinschaft an, noch bin ich in irgendeiner traditionellen Weise gläubig, im Sinne von „wenn ich bete, dann ändere ich mein Schicksal“. Ich glaube an große Zusammenhänge. Daran, dass unsere Welt in Wirklichkeit ganz anders aussieht, als wir sie mit unseren Spatzenhirnen wahrnehmen. Ich glaube an eine höhere Macht, an einen größeren Plan. Aber ich bin mir sicher, dass wir Menschen in diesem Plan „galaktisch betrachtet irrelevant“ sind. Die Welt kann auch ohne uns. Wir nehmen uns als Menschheit, aber auch als einzelner Mensch, viel zu wichtig.
Trotzdem hat mich die offene Kirchentüre magisch angezogen. Also beschloss ich diesem inneren Drang nachzugeben und der Kirche einen Besuch abzustatten. Je näher ich kam, desto heftiger wurden meine Emotionen und plötzlich rannen die Tränen, ich schluchzte und sniefte aus tiefstem Herzen. Traurigkeit, Verzweiflung, Erleichterung, Dankbarkeit – alles ist da auf einmal aus mir hinausgeflossen. Gut so! Danach Verweilen in der Stille. Zur Ruhe kommen. Unendlich DANKbar.
#5: Mich persönlich bedanken bei den Menschen, die mich umsorgt haben
Das fünfte und letzte Ritual ist mein persönlicher Dank an all die Menschen, die mich die letzten Tage umsorgt haben, von der Dame, die das Essen brachte über das Pflegepersonal bis zu dem operierenden Arzt. Ich werde mich am Entlassungstag persönlich bedanken, ihnen ganz individuell mitteilen, was sie für mich getan und wie sie mir geholfen haben. Ich werde damit nicht alle Menschen erreichen, weil am Tag meiner Entlassung nicht alle Dienst haben. Manche Menschen werden meinen Dank vielleicht auch nicht annehmen können, werden antworten „Das ist doch meine Arbeit“, aber vielleicht kommt bei dem einen oder der anderen mein Dank doch an. Es ist aus meiner Sicht nicht selbstverständlich, dass Menschen dieses kleinen Stück mehr machen als ihren Job. Umso mehr schätze ich sie und umso mehr möchte ich sie bestärken in ihrer Art von Professionalität. Den Oberarzt etwa, der, neben seiner medizinischen Kompetenz und seiner Gesprächs- und Beratungskompetenz mir mit seiner Ruhe, und seinem warmen Lächeln das Gefühl gegeben hat als Mensch wahrgenommen zu werden und keine Sekunde Zweifel daran ließ, dass ich diesen Krebs bewältigen werde. Die Krankenschwester, die meine Schmerzen beim Gehen gesehen hat, mir eine Bauchbinde (abseits des vorgeschriebenen Standards) gab und damit meine Lebensqualität maßgeblich verbesserte. Die andere Krankenschwester, die realisierte wie ich über das Malen von Bildern meine psychischen Prozesse verarbeite und die sich täglich nach eben diesen meinen Bildern erkundigte. Die Physiotherapeutin, die mir einen Schatz geschenkt hat, von dem ich noch berichten werde. DANKE!
Die erste Etappe in der Bewältigung des Ovarialkarzinoms ist geschafft! Die große Bauchnaht verheilt gut, kommende Woche kommen die Klammern raus. Ich fühle mich innerlich kraftvoll, zuversichtlich und ich kann mir sogar schon wieder selbst meine Socken anziehen ;-)
Alles wird gut.
Bald.
Anmerkungen zu den Fotos des Beitrages: Gerne hätte ich authentisch den Baum, das Labyrinth, die Kirche selbst fotografiert. Leider hat aber im Krankenhaus mein Smartphone seinen Geist aufgegeben. Alle Bilder des Beitrages sind daher Symbolfotos und stammen von www.pixabay.com
Claudia Braunstein meint
Liebe Sonja, jetzt wollte ich schon fast schreiben, willkommen im Club der aufgeschlitzten Bäuche. Ah, das kann ich dir gut nachfühlen, denn diese Bauchöffnung vor nicht einmal zwei Jahren hat mich monatelang herumwatscheln lassen und ich hatte nur einen Verschluss. Übrigens, die frage nach dem warum, die ich mir selber nie gestellt habe, die höre ich heute bald sieben Jahre nach meiner Diagnose immer noch. Wenn es dich interessiert, dann kannst du hier gerne nachlesen. https://www.claudiaontour.com/lifestyle/gesundheit/warum-genau-ich/.
Und jetzt freue ich mich mit dir, dass du wieder zuhause bist und vor allem auf so einem guten Weg, liebste Grüße, Claudia
Sonja meint
danke Claudia!
Andersreisender meint
Bewegende Zeilen! Ich wünsche Dir viel Kraft für die weiteren Schritte bergauf! Ich bin aus der Ferne im Gedanken bei Dir. Ganz liebe Grüße & alles Gute gerade aus China. :-)
Sonja meint
Danke Gerhard!