Mit 50 haben sich die meisten Menschen beruflich das Leben gerichtet. Sie sind in gehobenen Positionen und ernten quasi die Mühen der Vergangenheit oder sie haben schon einen Gang runter geschaltet, arbeiten Teilzeit, lassen den Jungen jetzt den Vortritt. Doch es kann auch ganz anders kommen. Nach viele Jahren gleicher Job noch einmal Lust darauf, etwas Neues zu wagen. Oder plötzlich krank, plötzlich arbeitslos und auf der Suche nach einem Neustart.
Heute darf ich in der Artikelserie Neustart50plus so eine Frau vorstellen, die rund um ihren 50. Geburtstag noch einmal gewaltig in Bewegung gekommen ist.
Michaela Ziegler – 50 Jahre, Neo-Bloggerin und auf der Suche nach Herausforderungen
Im Jahr 2012 war Michaela Ziegler 46 Jahre alt und bereits das neunzehnte Jahr für ein großes, international agierendes Familienunternehmen tätig. Sie arbeite in all den Jahren für die Exportabteilung, war „Area Sales Managerin“ und besuchte im Rahmen ihrer Arbeit Länder wie Iran, Kuwait, Libanon, Skandinavien und Nordafrika.
Überhaupt lief das Leben von Michaela Ziegler lange Zeit in geordneten Bahnen: Volksschule, Gymnasium, Matura 1985, Wirtschafts- und Fremdsprachen Akademie, erste Arbeit in einem neu gegründeten Unternehmen, dort konnte sie viel lernen und selbstständig arbeiten. Nach dessen Konkurs nahtloser Übergang in das große Familienunternehmen, die Möglichkeit ferne Länder zu sehen. Ein geradliniges Leben eben. Wer rechnet da noch mit Überraschungen?
Als es 2012 in der Firma zu Umstrukturierungen und zu Zusammenlegungen kam, weil der arabische Frühling die Umsätze in jenen Ländern, für die Michaela zuständig war, zum Einsturz brachte, nahm sie die einvernehmliche Trennung nicht nur negativ auf. Irgendwie gab es da ohnehin schon einige Zeit die Frage „War es das schon?“, schlummerte in ihr ein Stück Aufmüpfigkeit und Sehnsucht nach Freiheit.
„Ich bin am 12.12.1966 geboren im chinesischen Zeichen des Feuerpferdes. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass in China die Frauen im Feuerpferd Zeichen umgebracht wurden, da sie zu aufmüpfig und freiheitsliebend wären – Wesenszüge, die ich schon stark auch in mir erkenne.“
Womit Michaela Ziegler jedoch nicht rechnete, war ein schwerer Radunfall, kurz nach dem Verlust der Arbeit. Ein Jahr lang Krankenhaus, Rehabilitation und damit eine große Lücke im beruflichen Lebenslauf. Bewerbungsschreiben um Bewerbungsschreiben folgten. Ohne Erfolg. Ende 2014 fand sie dann endlich Arbeit, doch die Firma wurde nach nur wenigen Monaten aus Kostengründen verlagert nach China. Also erneut arbeitslos und wieder Bewerbungsschreiben um Bewerbungsschreiben. Dabei immer präsent das Bewusstsein, älter und älter zu werden, ein großer Nachteil in unserer Arbeitswelt.
„Die Zeit der Arbeitslosigkeit war schon eine Herausforderung auf der ganzen Ebene. Es ist so „ein Leben im Standby“, auf Abruf. Nichts ist wirklich planbar, weil ich ja nicht weiß, ob ich morgen oder nächstes Jahr oder nie mehr eine Arbeit habe. Das war so zermürbend! Immer wieder „hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“. Wie oft sollte ich meine Krone denn noch richten, ohne zu verzweifeln? „
Doch Michaela Ziegler ließ sich nicht entmutigen. Von Beginn an besuchte sie Weiterbildungen, Lehrgänge und Seminare, mit dem Ziel die Zeit zu nützen und sich weiter zu entwickeln. Darunter ein Lehrgang zur Online Redakteurin, die Oberösterreichische Journalistenakademie und ein Lehrgang zur Erwachsenenbildnerin für Seniorenarbeit.
Im Oktober 2016 findet Michaela Ziegler dann endlich wieder eine Arbeit, derzeit ist sie also in einem Arbeitsverhältnis. Allerdings kann sie dort ihre Talente, ihre Stärken und vor allem die vielen neu erworbenen Kompetenzen nur bedingt zur Geltung bringen. Trotz Teilzeit-Arbeitsplatz träumt sie daher von zusätzlichen Projekten. So wurde sie etwa gerne Glossen schreiben oder in einer Online-Redaktion mitarbeiten, auch das Thema „Leichte Sprache“ wäre ihr ein Anliegen (da hat sie ebenfalls eine Fortbildung besucht).
Kürzlich hat Michaela Ziegler deshalb auch ihren eigenen Blog gestartet. Er trägt den interessanten Titel Platz-nehmen und Michaela will sich mit diesem Schritt als Schreibende sichtbar machen.
Wie kam es zur Idee, mit dem Blog „Platz-nehmen“ den Schritt in die Öffentlichkeit zu machen?
Ich mag Sprache, ich spüre auch Sprache/Worte, ich fühle sie. Während meiner Zeit der Arbeitslosigkeit habe ich deshalb dann die Zeit genützt dieses Talent weiterzuentwickeln und Lehrgänge zum Thema Online-Redaktion, Texten, „Leichte Sprache“ und die Basisausbildung der Oberösterreichischen Journalistenakademie absolviert. Dabei habe ich innerlich immer auf den Zeitpunkt gewartet, endlich perfekt im Ausdruck zu sein, so perfekt, dass ich an die Öffentlichkeit gehen kann. Auch habe ich mich immer mit anderen verglichen. Die besten Voraussetzungen, um am St. Nimmerleinstag mit einem Blog zu starten. Gott sei Dank hat mir die gute Fee aber dann zwei Menschen geschickt, die mich unterstützt und mir den entscheidenden Stupser gegeben haben, die ersten Schritte in Richtung Blog zu machen. Danke nochmals herzlich an Gerhard und Karo!
Wie würdest Du Deinen Blog anpreisen? Was findet man als LeserIn auf Deinem Blog?
Anpreisen gefällt mir jetzt nicht so gut. Aber eine spannende Frage. Grundsätzlich weiß ich ja nicht, was der/die LeserIn für sich sucht und ob man das auf meinem Blog finden kann. Vielleicht, dass das Leben mit 50 noch nicht vorbei ist, es noch immer viele Interessantes zu erleben gibt. Möglicherweise Inspiration, dass man auch mit knapp 50 noch nicht zu alt ist, etwas Neues zu beginnen? Bestärkung, weil da auch noch eine Frau ist, die vielleicht ähnliche Gedanken hat? Das Aufzeigen, dass es zu den aktuellsten Themen nicht nur einfache Antworten gibt, wie es gerne in diversen Medien dargestellt wird.
Welches Anliegen oder Ziel verfolgst Du mit Deinem Blog?
Ich mache gerade eine Ausbildung zur Erwachsenbildnerin mit dem Schwerpunkt Bürgerbeteiligung und Teilhabe an der Gesellschaft. Mit meinem Blog möchte ich im Rahmen meiner Möglichkeiten wirken, inspirieren, Mut machen, zum Denken anregen, sichtbar machen.
Begonnen hat die Idee mit den Lokal-Sitz-Tipps für Dicke. Das war sozusagen der Start fürs Brainstorming. Und dann waren da halt auch die Themen Platz-nehmen in der Gesellschaft, in der Arbeitswelt, Platz finden und bekommen. Das Platz-nehmen wurde fast allgegenwärtig. Wieviel Platz gibt es für Menschen, die nicht der aktuellen Norm unserer Gesellschaft entsprechen? Es wird immer enger und das nicht nur, weil wir immer dicker werden. ;-)
Da ist etwa das Thema Arbeitslosigkeit. Sie ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen, trifft mittlerweile auch gut ausgebildete Menschen und man muss sich dafür nicht schämen, Ich habe hier viel Erfahrung, weiß wie sich Arbeitslosigkeit anfühlt, was arbeitslose Menschen erleben. Letztes Jahr habe ich mich als Arbeitslose schon sichtbar gemacht, ein großer Schritt, der viel Überwindung gekostet hat. Ich habe bei einem Projekt mitgemacht, war Gast in einer Radiosendung, wurde von einer Zeitung interviewt, habe auf der Salzburger Armutskonferenz und weiteren Veranstaltung zum Thema soziale Sicherung der Zukunft geredet.
Ein weiteres Thema ist mein (Über)gewicht. Ich bin dick und das Dicksein beeinflusst meinen Alltag. Darüber werde ich immer wieder auch schreiben, weil es mir ein Anliegen ist. Dick ist nicht doof!
Mein Blog ist ein „learning-by-doing“, ich will mich im Schreiben üben und den Mut haben, mit Themen nach außen zu gehen, die doch eher tabuisiert sind, mich persönlich aber beschäftigen.
Wie sind die ersten Erfahrungen mit Deinem Blog?
Eine davon ist, dass Schreiben für die Öffentlichkeit mich noch ziemlich fordert und es ein Prozess ist, diesbezüglich Platz zu nehmen. Ich bin in meinem Umfeld für die Knackigkeit vieler meiner Aussagen bekannt. Das traue ich mich noch nicht so, hier bin ich noch nachdenklicher, ruhiger und zurückhaltender. Wobei – in mir ist auch beides vorhanden. Es bedarf des Hineinwachsens in das Knackige. Die Themen über die ich etwas zu sagen habe/hätte, sind ja auch ziemlich heiß in der gesellschaftlichen Diskussion. Ich möchte/muss für mich austarieren, wo meine Schmerzgrenze liegt. Ich bekomme sehr nettes Feedback und ich habe schon gehört, dass ich ruhig etwas grantiger schreiben könnte und stimmgewaltiger. Es überwiegt das positive Feedback und die Bestärkung weiter zu machen.
Man sagt ja, Krisen bringen den Menschen weiter, lassen ihn reifen. Dich hat das Leben in den letzten Jahren ordentlich durchgeschüttelt. Konntest Du aus dieser schwierigen Zeit auch etwas mitnehmen für Dich?
Ja, das konnte und kann ich auf jeden Fall – manchmal fällt es mir leichter, manchmal schwerer. Ich konnte mir Freunde mitnehmen, die die Zeit des Unfalles und der diversen Operationen und die Arbeitslosigkeit mit mir überstanden haben. Meine Welt wurde bunter, größer und auch interessanter – dabei war sie vorher schon nicht wirklich klein. Ich habe ganz andere Lebenswelten kennengelernt, habe bei diversen Projekten mitgemacht und mich eingebracht. Ich weiß jetzt, dass ich meine Resilienz gestärkt habe und krisentauglich bin. Und wer weiß, ob sonst mein Blog auf die Welt gekommen wäre, oder? Ich bin in dieser Zeit mir selbst noch ein Stück näher gekommen, meine lange vergrabenen Talente durften wieder an die Oberfläche kommen. Weil es dazu eben auch Zeit braucht, Zeit sich immer wieder selbst auch zu positionieren zwischen all den Anforderungen, die das Leben oft stellt. Und ich konnte so viele Ausbildungen machen, die mich auch interessierten und die ich freiwillig besuchte. (Ich habe sie durchwegs selbst bezahlt, falls wer glaubt, das kam vom Arbeitsmarktservice!).
Was ich mir auch mitnehmen konnte ist, dass mein Humor krisentauglich ist, auch wenn er manchmal schon ziemlich gelitten hat.
Stell Dir vor, es würde eine Fee kommen und Dir sagen, Du dürftest Dir Deinen Lebensjob wünschen: Wie würde dieser Job aussehen?
Lebensjob ist mir gerade in dieser Umbruchs- und Veränderungsphase zu hoch gegriffen. Ich bin jetzt gerade in meiner neuen Arbeit am Ankommen. Diese Arbeit ist mir vertraut, ich kann sie, weil ich so viele Jahre in der Wirtschaft gearbeitet habe und sie nährt das Erd-Element in mir, Erde steht für Struktur, Ordnung und Organisation.
Und da ist noch der Anteil in mir, der die wiederentdeckten Talente, neuerworbene Fähigkeiten und Kompetenzen ins Berufsleben bringen möchte. Ich möchte gerne schreiben – eine Glosse in einer Zeitung/Zeitschrift, das wäre ein Wunsch von mir. Was auch so ein Wunsch wäre, meine Expertise in Projekten zum Thema Arbeitslosigkeit einzubringen, was ich ja zum Teil schon mache, aber es wäre super, wenn ich dabei auch was zu meinem Lebensunterhalt beitragen könnte.
2017 halte ich zwei Veranstaltungen zum Thema „Der gesunde Strampler“ in der SALK Elternschule ab. Es dürfen gern mehr werden zu den Themen, die mir am Herzen liegen – Arbeitslosigkeit, Sprache, das Thema „Leichte Sprache“, Nachhaltigkeit, Katzen, Haustiere und Seniorinnen, darüber schreibe ich gerade meine Diplom-Arbeit. Ich bin da auch gerade im Prozess, in der Selbstfindung. Daher liebe Fee, hab´ bitte noch etwas Geduld mit mir oder schick mir Türen, die sich öffnen :-)
Hier geht’s zu Michaela Zieglers Blog Platz-nehmen
Liebe Michaela, vielen Dank für das offene Gespräch. Ich wünsche Dir viel Erfolg mit Deinem Blog und bei deiner Suche nach neuen Herausforderungen.
In der Serie Neustart50plus stelle ich, in unregelmäßigen Abständen, Persönlichkeiten jenseits der 50 vor, die gerade beruflich neu durchstarten oder auf der Suche nach neuen Aufgaben sind. Die Beiträge sind kostenfreie Werbung und meine Motivation sie zu schreiben ist Neugierde und Solidarität.
[…] Ihr Blog heisst ganz einfach „Platz nehmen„, mehr über sich erzählt sie übrigens im Interview mit Sonja Schiff hier. […]