Meine Mutter nannte sie „ordinär“ und schimpfte oft über diese schamlose Person. Ich fand sie wohl auch deshalb immer schrecklich, ihren seltsamen Sprechgesang ebenso wie ihre Stimme und ihr Gehabe.
Doch jetzt, mit 52 Jahren, habe ich sie für mich entdeckt: Hildegard Knef.
Vor ein paar Wochen stöberte ich mich im Musikladen durch die Second-Hand-Vinyls und dabei fiel mir Hildegard Knef in die Hände. 5 Euro kostete das gute Stück und eigentlich nahm ich die Vinyl nur aus nostalgischen Gründen mit. Ich dachte mir, könnte ich vielleicht mal auf einer Party zum Gaudium der Gäste ein paar Nummern davon spielen. Aber hey, wie habe ich mich da geirrt! Jetzt läuft die Vinyl rauf und runter! Und nicht nur das, ich durchforste mittlerweile mit Begeisterung Youtube auf der Suche nach Hildegard Knef Videos.
Bitte was war das für eine rebellische, schöne und coole Frau! Ich kann mich kaum satthören und sehen. Ella Fitzgerald bezeichnete laut Wikipedia Hildegard Knef übrigens als die „beste Sängerin ohne Stimme“. Und auch ich, die ich als Jugendliche diese Stimme schrecklich fand, bin heute begeistert! Was für eine Stimme, was für ein eigenständiger und unverwechselbarer Gesang, so wunderbar verrucht und gleichzeitig warm.
Hildegard Knef war der erste große Star der Nachkriegszeit, haben meine näheren Rechnerchen ergeben. Sie machte Musik und war als Schauspielerin tätig. Ihre Karriere führte sie bis Hollywood (sie wurde sogar US -Staatbürgerin) und wieder zurück. 1950 spielte sie in dem Willi-Forst-Film Die Sünderin und löste einen der größten Skandale des Nachkriegskinos aus. Der Grund war vor allem eine Nacktszene, die erste Nacktszene des deutschsprachigen Kinos, sowie die Thematisierung des Tabus Prostitution. Der Skandal führte zu Demonstrationszügen, verbarrikadierten Kinos und zu Aufführungsverboten. Jetzt weiss ich, warum meine Mutter sie als „ordinär“ bezeichnete. Auch irgendwie witzig im Nachhinein zu sehen, wie ein Bild zu einer Künstlerin entsteht und weitergegeben wird.
Und auch im Alter war die Frau echt noch eine coole Socke! Bitte schön, Hildegard Knef in der Harald Schmidt-Show 1996.
Zum Schluss sei aber auch ein dunkler Punkt aus Hildegard Knefs Leben genannt. Wie meine Recherchen ergeben haben, hatte Hildegard Knef in sehr jungen Jahren ein Naheverhältnis zu einem glühenden Nationalsozialisten. Es wird ihr ein kurzes und heftiges Liebesverhältnis mit Ewald von Demandowsky nachgesagt, 20 Jahre älter als sie, ein Freund Goebbels und wesentlich beteiligt an der NS-Propagandamaschine. Ein guter Artikel dazu auf Welt.de/ 07 2013.
Zum Abschluss noch ein Klassiker mit Hildegard Knef, allerdings neu interpretiert mit der Gruppe „Extrabreit“ aus dem Jahr 1993. Da war Hildegard Knef 68 Jahre alt. Sie starb 2002 mit 77 Jahren.
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