Zuerst sah ich die Zeichnung am Buchcover und las, dass der Autor Bewohner eines Seniorenheims ist und mit seinen Tagebucheinträgen auf der niederländischen Website “ Torpedo Magazines“ enorme Erfolge gefeiert hat. Mein Interesse als Altenpflegeexpertin war geweckt. Dann nahm ich das Buch in die Hand und siehe da, ich war auf einen Weltbestseller gestoßen, erschienen in 29 Ländern dieser Welt. Das Tagebuch eines Seniorenheimbewohners als Weltbestseller?? Spannend….
So wurde das Buch Eierlikörtage: Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 83 1/4 Jahre für mich als Altenpflegeexpertin und Alternswissenschaftlerin zur Pflichtlektüre. Mein Resümee in wenigen Worten: Stellenweise sehr witzig. Skurril. Traurig. Aufwühlend. Für Altenpflegepersonen auf alle Fälle lehrreich, daher auch dringend als Lektüre zu empfehlen.
Der erste Absatz des Buches lautet:
Dienstag, 1. Jänner 2013
Auch im neuen Jahr habe ich für Senioren nichts übrig. Dieses Geschlurfe hinter Rollatoren, diese völlig deplatzierte Ungeduld, dieses ewige Gejammer, diese Kekse zum Tee, dieses Geseufze und Gestöhne. Ich bin 83 1/4 Jahre alt.
Zum Inhalt:
Der Holländer Hendrik Groen ist 83 1/4 Jahre alt, lebt in einem holländischen Seniorenheim und beschließt nicht mehr immer nur Ja und Amen zu sagen. Ein Jahr lang schreibt er Tagebuch, genau genommen vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 2013. Er will auf diesem Weg endlich mal alles raus lassen, denn Hendrik ist zwar nach außen ein angepasster und freundlicher alter Mann, aber im Inneren ist er ein richtiger Rebell.
Hendrik Groen ist nicht mehr der Fitteste, er ist wackelig auf den Beinen und sieht das Ende des Lebens schon nahen, aber sein Geist ist hellwach und seine Lust auf das Leben ungebrochen. Folgt man seinen Tagebucheinträgen einige Zeit, wird klar: Da wird jemand sträflich unterschätzt, in seinen Kompetenzen und seinen Wünschen an das Leben.
Punktgenau, mit viel Sarkasmus, aber auch mit liebevollem Blick, analysiert Hendrik Groen das Geschehen im Seniorenheim. Er berichtet von sinnlosen und starren Regeln im Heim, er lästert über andere HeimbewohnerInnen, er lacht sich krumm über unvorhergesehene Ereignisse, welche Aufregung ins Seniorenheim bringen und über Streiche, die die Direktorin des Altenheims zur Weißglut treiben. Außerdem freut er sich über die Anschaffung eines Elektromobils, welches ihm ganz neue Freiheiten gewährt, sowie über die Gründung des Vereins „Alanito – alt-aber-nicht-tot“. Die Vereinsmitglieder von Alanito, eine Gruppe von HeimbewohnerInnen, organisieren regelmäßig außergewöhnliche Ausflüge und entfliehen damit regelmäßig dem langweiligen Alltagstrott im Heim.
Hendrik Groen lässt uns ein Jahr lang, Tag für Tag, in sein Leben blicken. Manchmal tiefgründig und ehrlich, dann wieder mit trockenem Humor und ausweichend. Wir lernen seine Freunde kennen: Den an Diabetes erkrankten Evert, der trotz fortschreitender Beinamputationen das Trinken nicht lassen kann. Die an Demenz erkrankte Grietje, die erstaunlich offen und mutig in die Zeit des Vergessens geht. Und Eefje, eine feine Dame, die zu Hendriks später Liebe wird. Wir erfahren von frühen Schicksalsschlägen in Hendrik Groens Leben, von den entstehenden Freundschaften im Verein Alanito und von seinem fast heroischen Ankämpfen gegen die dummen und inhumanen Regeln im Seniorenheim. Wir werden aber auch konfrontiert mit seinen zunehmenden körperlichen Einschränkungen, seinem Wunsch dem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen zu können und seiner beginnenden Inkontinenz.
„Gestern habe ich noch über den Tod geredet, und heute war er zu Besuch bei „Bewegung für Senioren“ ist ein typischer Satz in Hendrik Groens geheimen Tagebuch oder auch dieses Statement, in dem er erklärt, warum er sich so vehement den Heimregeln entgegen stemmt: „“Das Ziel dieses Tagebuchs war es auch, nach meinem Tod ein kleiner, aber berühmter Wistleblower zu werden“.
Rührendkomisch seine Aufregung vor dem ersten Date mit Eefje, eine neue Bewohnerin: „Mein altes Prinzesschen hat die Einladung gerne angenommen. Sie hat sich schön gemacht, mit ein bisschen Lippenstift und Rouge. Ich muss gestehen, dass ich vor dem Losgehen extra noch einmal geduscht und eine frische Vorlage genommen habe.“
Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen endet am 31. Dezember 2013, kurz nachdem ihn ein weiterer Schicksalschlag einholte, mit den Sätzen „Solange man Pläne macht, lebt man. Heute Nachmittag werde ich mir einen neuen Terminkalender kaufen. Und ein neues Notizbuch“.
Damit ist eine Fortsetzung des Bestsellers gesichert und, das kann an dieser Stelle ja verraten werden, auch bereits erschienen.
Zum Autor:
Hendrik Groen ist ein Pseudonym, hinter dem sich ein Amsterdamer Bibliothekar verbirgt, der immerhin auch schon über 60 Jahre alt ist.
Meine Gedanken zum Buch:
Am Klappentext stand das Buch wäre zum Lachen und voller Herz. Das mit dem Herz kann ich bestätigen. Der Humor allerdings blieb mir oft im Hals stecken. Ich hatte, angekommen etwa bei der Hälfte, auch das dringende Bedürfnis dieses Buch für einige Zeit wegzulegen. Denn ehrlich gesagt, wenn man das Buch ernst nimmt und auch zwischen den sarkastischen Zeilen liest, dann ist dieses Buch schon harter Tabak. Da wird Alter schonungslos gezeigt, da wird nichts schön geredet, nichts gestrichen, nichts romantisiert. Dieses Buch zeigt das hohe Alter, unverfälscht und schonungslos. Wer das nicht kennenlernen will, der sollte dieses Buch auch nicht zur Hand nehmen.
Spannend fand ich dieses Buch aber aus der Perspektive der Altenpflegeexpertin zu lesen. Wann erfahren Altenpflegepersonen denn wirklich, wie alte Menschen das Seniorenheim erleben? Wann haben sie denn wirklich mal die Gelegenheit, die in Seniorenheimen vorhandenen „Regeln“ und Vorgaben mitten aus dem Leben begutachtet zu bekommen? Für diesen Einblick können wir uns bei Hendrik Groen nur bedanken, denn er entlarvt fehlende Sensibilität und so manche menschliche Härte, ausgelöst durch vorgeschobene Regeln und Hausordnungen. Sehr lehrreich.
Eierlikörtage: Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 83 1/4 Jahre
Hendrik Groen, 2016, 414 Seiten.
Gabi meint
Grüß´Dich. Hört sich interessant an, das Buch. Ich denke, es gibt viele alte Menschen, die irgendwo leben und nicht „für voll genommen werden“. Das ist so respektlos. Man soll mal darüber nachdenken, wie es einem selber dabei gehen würde. Aber das mag sich ja niemand vorstellen, so alt zu sein und wie man da lebt. Lg. Gabi
Gregor herbst meint
Ich hätte sehr gerne gewusst, wer sich hinter dem Pseudonym Hendrik Gröne verbirgt, wo er zuhause ist, ob er überhaupt noch lebt … Gibt es keine publizierte Biographie? Wenn doch, wo finde ich diese?