Vor einigen Monaten hab ich mir von meinen Eltern das Familienfotoalbum ausgeliehen, um nach und nach unsere Familien- und meine Kinderfotos zu digitalisieren. In der Hektik des Alltags vergesse ich oft, dass ich diese Arbeit eigentlich machen möchte. Aber immer vor Festtagen erinnere ich mich. So auch heute.
Weihnachten. Das Bild links zeigt meine Mutter und mich. Es waren meine zweiten Weihnachten. Die ersten Weihnachten konnte ich wahrscheinlich gerade einmal das Köpfchen heben. Aber 1965 war ich bereit für die große gelbe Ente mit den roten Rollen. Man erzählt, ich hätte mich sehr gefürchtet vor dem gelben Ding, hätte es für ein Ungeheuer gehalten. Sicher ein wenig enttäuschend für meine Mama, die auf große staunende und strahlende Augen gehofft hat, wie alle Mütter, die Christkind spielen. Aber statt Freude hat sie ein weinendes Gesicht, ja vielleicht sogar ein hysterisch plärrendes Kind geerntet. Weil ich war immer schon, und bin bis heute, sehr intensiv in meinen Gefühlsausbrüchen. Man musste mir sicher auch erst umständlich beweisen, dass das gelbe Ungeheuer wirklich nicht beißt. Skeptikerin war nämlich, bis vor ein paar Jahren, mein zweiter Vorname.
Weihnachten. Das war Geheimnistuerei und ein helles Glöckchen, welches das Christkind ankündigte. Ich erinnere mich an die blöde Kindergartenkollegin, die mir Weihnachten (und Ostern gleich mit) nachhaltig versaute, weil sie mir naseweis erklärte, meine Mama wäre das Christkind UND der Osterhase. Hab ich natürlich abgestritten. Vehement und leidenschaftlich! Aber die nächsten Weihnachten kam es, aufgrund meines detektivischen Talentes, dann doch zur Entlarvung des Christkinds. Natürlich ohne meiner Mutter die neue Erkenntnis kundzutun. Wer will das schon! Sollte sie doch weiter ihre Freude haben. Außerdem war ja da schon ein kleiner Bruder dazu gekommen und vor dem sollte die Fassade aufrecht erhalten werden. Bis er, aus meiner Sicht, groß genug für die ganze Wahrheit war.
Weihnachten. Das waren Vanillekekse, Kuchen, Weihnachtskugeln, gefüllte Schokolade in rosa Papier, Windgebäck, Lametta und „Spritzkerzen“, die funkelten wie Sterne, wenn sie angezündet wurden.
Weihnachten. Das war Friede, Freude, Eierkuchen. Bis zum jährlichen Streit zwischen mir und meinem Bruder und, zu späterer Stunde, zwischen meiner Mama und dem Papa. Aber auch das war in allen Familien üblich. Erzählten zumindest meine Schulkolleginnen.
Weihnachten. Das war die Geschichte von Krambambuli, sowie Bergkristall von Adalbert Stifter und dann natürlich, nicht zu vergessen, das Gedicht von Knecht Ruprecht. Mein Vater war verrückt nach Theodor Storm!
Von drauss‘ vom Walde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
sah ich goldene Lichtlein sitzen;
Und droben aus dem Himmelstor
sah mit grossen Augen das Christkind hervor;
Und wie ich so strolcht‘ durch den finstern Tann,
da rief’s mich mit heller Stimme an:
„Knecht Ruprecht“, rief es, „alter Gesell,
hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
das Himmelstor ist aufgetan,
Alt‘ und Junge sollen nun
von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
Und morgen flieg ich hinab zur Erden,
denn es soll wieder Weihnachten werden!“
Ich sprach: „O lieber Herre Christ,
meine Reise fast zu Ende ist;
Ich soll nur noch in diese Stadt,
wo’s eitel gute Kinder hat.“
„Hast denn das Säcklein auch bei dir?“
Ich sprach: „Das Säcklein, das ist hier:
Denn Äpfel, Nuss und Mandelkern
essen fromme Kinder gern.“
„Hast denn die Rute auch bei dir?“
Ich sprach: „Die Rute, die ist hier;
Doch für die Kinder nur, die schlechten,
die trifft sie auf den Teil, den rechten.“
Christkindlein sprach:“ So ist es recht;
So geh mit Gott, mein treuer Knecht!“
Von drauss‘ vom Walde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!
Nun sprecht, wie ich’s hier innen find!
Sind’s gute Kind, sind’s böse Kind?“
Mein Vater konnte den Knecht Ruprecht vorbildlich vortragen. Es war ihm eine große Freude. Jahr für Jahr. Das war seine Portion Weihnachten. Beim letzten Satz schaute er uns immer mit hochgezogener Augenbraue fragend an. Und wir zogen unsere Köpfe ein, weil…..naja, sicher konnte man ja nie sein!
Weihnachten. Das war Schlittenfahren und Eislaufen, Schneeballschlacht und Schneemannbauen bis die Finger klamm waren vor Kälte. Und dann nach Hause kommen, Weihnachtskekse, Tee mit einem kleinen Schuss Rum und der Duft von Weihrauch.
Weihnachten. Das war „Oh Tannenbaum“ und „Ihr Kinderlein kommet“, war Kirchenbesuch, Verwandtenbesuche und der Streit darum, wer die Kerzen auf dem Christbaum ausblasen darf. Einmal entflammte dabei sogar mein Nachthemd. Ich hatte eine Kerze auf Brusthöhe übersehen. Zum Glück nichts passiert!
Und Weihnachten heute? Frühlingstemperaturen, der Flieder versucht Knospen zu setzen. Ergebnis der weltweiten Klimaerwärmung. Im Nahen Osten werden jesidische Mädchen versklavt und vergewaltigt von Terroristen, die sich auf den Islam berufen, melden die Nachrichten via Fernsehen und Internet. Und syrische Kinder frieren in riesigen Flüchtlingslagern in der Türkei.
Weihnachten heute. Das ist verloren gegangener Zauber, untergegangen in einem rituellen Konsumwahnsinn, der die reiche Welt jährlich erfasst. Kaufen, um des Kaufens Willen. Für Menschen, die ohnehin alles oder sogar mehr haben, als sie eigentlich brauchen.
Weihnachten heute. Das ist Zusammensein mit meinen ältergewordenen Eltern, in dem Bewusstsein, dass es irgendwann dieses Miteinander nicht mehr geben wird. Das ist ein bewusstes Miteinander mit meinem Mann, ganz ohne Geschenke. Nur wir zwei und unser kleines Leben. Das ist Ruhe in uns und um uns. Das sind dutzende Kerzen und die Musik von Pablo Casal.
Weihnachten heute. Das ist dieses Jahr das erste Mal mit Loni, der Tochter meiner Schwester Veronika und ihrem Mann Horst. Meiner kleinen Nichte. Die diese Weihnachten gerade einmal ihr Köpfchen heben kann.
Weihnachten heute. Das ist das Miteinander 3er Generationen. Für mich, als kinderlose Frau, ein kleines Wunder.
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