Mutter-Töchter-Beziehungen sind oft schwierig. Sagt man. Die Beziehung zwischen meiner Mutter und mir allerdings schlug viele Jahre lang die Kategorie „schwierig“ um Längen. Sie war grottenschlecht. Schlicht gesagt. Warum, wieso, weshalb, will ich hier nicht breit treten, ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Eine Frau mit dramatisch schlechter Kindheit bekam ein Kind, nämlich mich. Mehr will ich hier nicht sagen.
Jahre meines Lebens hat mich ein an mich selbst gerichtetes Versprechen geprägt und geformt. Das Versprechen lautete: Nur nicht so werden wie Mama. Nicht so ängstlich, nicht so angepasst, nicht so bieder, nicht so mutlos, nicht so ……
Und ich habe es geschafft. Ich bin das Gegenteil meiner Mutter. Manchmal, wenn ich bei einem Treffen aus meinem Leben erzähle, schaut sie mich an mit staunenden Augen . Da habe ich das Gefühl als würde sie denken: „Wie konnte das passieren? Wie konnte dieses Kind so anders werden.“
In den letzten Jahren hat sich unsere Beziehung verbessert. Ich habe wohl begonnen zu verzeihen. Heute kann ich verstehen, dass sie damals ihr Bestes gab und eben nur geben konnte, was ihr nach dieser schrecklichen Kindheit möglich war. Ich muss sie nicht mehr bekämpfen. Ich kann sie zunehmend lassen, sie in ihrem Leben und mit ihren Entscheidungen einfach lassen, auch wenn ich innerlich den Kopf schüttle oder ihre Entscheidung bedaure. Für sie.
Seit einigen Wochen akzeptiere ich sogar, dass es da auch Ähnlichkeiten gibt zwischen ihr und mir. Jeden Morgen betrachte ich im Spiegel meine beiden, sich von jedem Mundwinkel hinunter ziehenden Marionettenfalten, rechts stärker als links, und erinnere mich an eine Begegnung vor rund 20 Jahren. Ich stand in einem kleinen Laden, war kurz rausgesprungen aus dem Auto, um mir eine Wurstsemmel zu kaufen. Vor mir eine alte Frau. Ich hörte ihre Stimme und mein Herz begann zu klopfen. Dann drehte sie sich um, schaute mich an und ich erblickte in diesem Moment das Gesicht meiner Mutter, allerdings in alt. Ich sah die beiden Marionettenfalten, rechts stärker als links, und ich wusste in diesem Augenblick, dass ich meiner Großmutter gegenüber stand, der Mutter meiner Mutter, einer Frau, die ich zuvor nie kennengelernt hatte. Als die Verkäuferin auch noch ihren Namen nannte, war ich bestätigt.
Nein, ich sprach sie nicht an. Meine Großmutter erfuhr nie von unserer kurzen Begegnung. Dazu war unsere Familiengeschichte zu kompliziert und zu schmerzhaft. Aber wenn ich heute in den Spiegel schaue, dann sehe ich diese unbekannte Großmutter, dann sehe ich meine Mutter und ich sehe auch meine Schwester. Alle Frauen der weiblichen Linie meiner Familie haben ein und dieselbe Mundpartie und bekommen im Alter diese beidseitige Marionettenfalte, rechts stärker als links.
Es sind diese Marionettenfalten, die mich neuerdings fragen lassen, ob es da auch noch andere Ähnlichkeiten gibt. Es ist der tägliche Blick in den Spiegel, der mich ahnen lässt, in mir steckt auch ein Stück meiner Mutter.
Maria meint
Ach liebe Sonja…. Lass es mich mal so sagen: Das Verzeihen-Wollen ehrt dich. Das Sich-Annähern-Wollen ist liebevoll, spiegelt dein eignes Verständnis von Würde und Respekt wider. Das steht dir verdammt gut. Weil ich denke: Genau so bist du. Dass wir alle immer irgendwie auf Spurensuche sind, stelle ich mir oft als eine Art prähistorischen Instinkt vor… dem wir uns nicht entziehen können. Der uns durchaus was zu sagen hat. Aber am Ende des Tages bist und bleibst du: DU! Da mögen die Speigel dieser Welt noch so präsent sein….
Sei umarmt, du!
Maria
Sonja Schiff meint
Liebe Maria, mit dem prähistorischen Instinkt könntest Du richtig liegen :-) Musste sehr darüber lachen. Sei umarmt! Ganz fest und liebevoll…..
Karin Austmeyer meint
Ja Sonja, das eine ist das äusserliche, Ich habe auch einiges von meiner Mutter. Das innerliche ist das andere Ding. Meine Beziehung zu ihr war auch eine sehr schwierige. Vielleicht wäre es mir heute möglich (mit meiner zunehmenden Altersmilde) ihr zu verzeihen, wenn sie noch leben würde. So gelingt es mir leider nicht.
Ich bewundere dich aber auch ein wenig, dass du sie heute sein läßt, wie sie ist.
Sonja Schiff meint
Liebe Karin, das mit dem Bleibenlassen ist nach wie vor Schwerarbeit :-) Aber es wird….
Teresa meint
Liebe Sonja,
ich bin schon länger hier stille aber begeisterte Leserin. Bei diesem Post muß ich aber schreiben. Meine Tochter prägte, als sie noch klein war und meine Mutter noch lebte, für diese Mundpartie „Nußknackerkinn“. Meine Mutter hatte ein Nußknackerkinn und nun habe ich es auch schon und meine Tochter lebt in der sicheren Annahme es auch zu bekommen.
Ich habe ebenfalls ein sehr schwieriges Verhältnis zu meiner Mutter gehabt. Ich habe mich lange mit meiner Familengeschichte auseinander gesetzt auch mit professioneller Hilfe. Ich glaube immer noch, dass die Generation unserer Eltern viel an dem Erlebten in den Kriegsjahren zu tragen hatten und das unglücklicherweise unreflektiert an „uns, die Spätgeborenen“ weitergeben haben. Dazu gibt es auch ausgezeichnete Bücher.
Liebe Grüße und vielen Dank für die interessanten Posts!
Teresa
Sonja Schiff meint
Hallo Teresa, das finde ich aber schön, wenn sich stille Leserinnen zu Wort melden :-) Danke dafür! Nußknackerkinn gefällt mir auch :-D Mit der unreflektierten Weitergabe von Erlebtem hast Du sicher Recht. Reflexion hat ja auch etwas mit „Zeit haben“ zu tun und auch ein Stück mit Bildung. Da waren meine Großmutter und meine Mutter klar im Nachteil. Professionelle Hilfe habe ich auch in Anspruch genommen. Freu mich, dass Du mir geschrieben hast! Danke und viel Freude noch beim Lesen. Liebe Grüße Sonja
rochus gratzfeld meint
MEINE MUTTER.
Thema für viele Geschichten.
Wäre gespannt, wer hier dazu etwas beitragen möchte.
Ich bin noch nicht soweit.