Vor ein paar Tagen habe ich hier den Artikel Der letzte Umzug- Hans muss ins Heim veröffentlicht. Es ging um Hans, der nach dem Tod seiner Frau alleine ein Haus bewohnt. Er hat einen Schlaganfall erlitten und beschließt ins Seniorenheim zu ziehen. In dem Artikel habe ich versucht die Gefühle von Hans einzufangen, wie er den Abschied von zu Hause erlebt, wie er seine Dinge sortiert in „wegwerfen oder weggeben“ und „mitnehmen ins Seniorenheim“.
Auf diesen Artikel hat Michaela Moser reagiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin an der FH St. Pölten. Hier Ihre Nachricht an mich:
Danke für die Geschichte. Sie wirft viele Fragen, auch nach Alternativen zum Seniorenheim auf. Ich beschäftige mich grad intensiv damit. Da geht’s vor allem um intergenerationelle Wohnhäuser. Beim Lesen der Geschichte ist mir dann ganz spontan der Gedanke gekommen, wie diese aussehen/ausgehen könnte, wenn Hans sich zB entscheiden würde in seinem Haus eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen. (Die Mutter eines Freundes hat genau das gemacht). Wär spannend die Geschichte mit verschiedenen „Fortsetzungen“ weiter zu schreiben.
Nachdem jetzt dieser Gedanke einige Tage in meinem Kopf herumgekreist ist, hier der Versuch einer „Variation“ der Geschichte.
Hans – doch nicht ins Seniorenheim!
Vor Jahrzehnten hat Hans für sich, seine Frau und seine Kinder ein Traumhaus gebaut. Nein, es ist keine Villa geworden. Es wurde ein kleines Häuschen mit Küche, Wohnzimmer, Bad mit Toilette, einem Schlafzimmer und zwei Kinderzimmer. Außerdem hat das Häuschen eine kleine Terrasse und einen Garten, den seine Frau Anna bewirtschaftete als sie noch lebte.
Fast fünf Jahre hat der Hausbau gedauert, Tag für Tag nach der Arbeit schuftete Hans am Bau, Wochenende für Wochenende halfen auch Anna und die beiden Kinder. Freizeit gab es keine. Dafür feierten sie ein kleines Fest, als sie die winzige Wohnung endlich verlassen konnten und in ihr Haus einziehen. Wie sich die Kinder darüber freuten ein eigenes Zimmer zu haben! Und Anna strahlte wegen der neuen Küche und des kleinen Gartens.
60 Jahre sind seitdem vergangen. Die Kinder leben mittlerweile in Berlin und London, sie haben es zu etwas gebracht und auch eigene Familien gegründet. Er ist stolz auf sie. Vor einem halben Jahr ist Anna gestorben. Plötzlich. Hirnblutung. Es war als würde die Welt untergehen. Anna, seine Anna, plötzlich aus seinem Leben gerissen. Von einem Tag auf den anderen alleine.
Die Kinder wollten ihn zu sich holen. Aber ganz ehrlich, was soll er in Berlin oder London? Nein, er ist hier zu Hause, hier wo man seine Sprache versteht. Hier wo Anna mit ihm lebte.
Vor ein paar Wochen hat Hans entschieden ins Seniorenheim zu ziehen. Die Einsamkeit der letzten Monate hat Spuren hinterlassen. Morgens fällt es ihm immer schwerer aufzustehen. Kürzlich hatte er außerdem einen kleinen Schlaganfall und nun fallen einige Dinge des täglichen Lebens schwer. Er will auf Nummer sicher gehen, dass da Hilfe ist, wenn er sie braucht.
Alles hatte er bereits durchdacht. Der Umzug ins Heim war schon geplant. Er hatte im Geiste schon überlegt, wie er sich von den vielen Erinnerungen verabschieden würde. Sogar sein Hab und Gut hatte er schon auf einer Liste sortiert in wichtig und unwichtig? Immerhin sollte er sich ja bald von 120 Quadratmeter auf 25 Quadratmeter reduzieren.
Stundenlang saß er in seiner Küche und sortierte seinen Besitz, durchsuchte Kisten und alte Koffer, ja sogar den Dachboden. Den neuen Laubsauger sollte der junge Nachbar bekommen. Den alten Biedermeierschrank wollte er an einen Antiquitätenladen verkaufen. Bei den alten Eislaufschuhen, die sicher niemanden mehr interessieren, bekam Hans ein mulmiges Gefühl. Immerhin hatte er beim Eislaufen Anna kennengelernt, die Liebe seines Lebens. Wie hübsch sie war!
Als ihm dann auch noch ein alter Koffer seiner verstorbenen Frau entgegenfiel am Dachboden und er beim Öffnen auf das alte Spielzeug der Kinder stieß, auf die Lieblingspuppe des Mädchens und das Holzpuzzle des Jungen, da fragte sich Hans erstmals, ob es zum Seniorenheim nicht eine Alternative gäbe.
Nachdenklich ging er in seine Küche, braute sich einen Kaffee und holte das vergilbte Hochzeitsalbum aus dem Kasten. Jetzt wo Anna nicht mehr da war, sah er sich oft dieses Hochzeitsalbum an, vor allem dieses eine Foto, wo er so fesch und Anna so unglaublich stark. Neuerdings saß er oft am Küchentisch und redete auf diese Weise mit Anna.
„Was meinst Du? fragte er. „Soll ich wirklich ins Seniorenheim gehen? Oder kennst Du eine Alternative?“ Da saß Hans, blickte mit liebendem Blick auf das Foto des Hochzeitsalbums, nahm von Zeit zu Zeit einen Schluck Kaffee und sinnierte.
„Das ist eine gute Idee!“ rief er plötzlich. „Dass ich darauf nicht von selbst gekommen bin!“ fügte er noch an, stand voll Kraft und Elan auf, marschierte ins Wohnzimmer und schnappte sich dort das dicke Telefonbuch. Er blätterte und rasch hatte er gefunden was er suchte. Zurück in der Küche wählte er eine Nummer. Nach einigen Sekunden schien am anderen Ende jemand abzuheben, denn Hans sagte laut und ein wenig aufgeregt: „Hallo, hier Hans Huber, sagen Sie mal, Sie suchen doch Wohnmöglichkeit für Flüchtlingsfamilien.“ Nach einigen Erläuterungen auf der Gegenseite, während dieser Hans genau zuhörte, meinte er freudig: „Ich biete Haus mit Garten gegen Betreuung von wirklich nettem Opa“. Glauben Sie da findet sich jemand?“
Kurze Zeit später fand ein Nachbar, der Hans besuchen und nach ihm sehen wollte, den alten Herrn im Keller des Hauses. Er zog gerade eine alte Schaukel hervor. Als er den Nachbarn erblickte rief er: „Glaubst Du ein syrisches Kind freut sich über die Schaukel?“
Christa meint
Ich finde diese Alternative richtig gut und nachahmenswert. Vor allem, wenn das jemand schon tatsächlich umgesetzt hat. Bravo! Ich hoffe natürlich auch, dass das bei mir noch ganz, ganz lange dauert bis ich Unterstützung brauche. Im Altersheim sehe ich mich aber nicht, also braucht es andere Möglichkeiten. Die und die mit der WG im Alter sprechen mich da schon mehr an. Danke für deine sprudelnden Ideen.