Passend zu einigen letzten Beitragen, etwa den hier und den da, heute ein Gastbeitrag von Dr. Solveig Haring, selbständige Wissenschaftlerin, Videographin und Lehrende.
Der nachfolgende Text war ihr Vortrag bei Queerograd 2014 am 31. Oktober 2014.
“IHR SCHAUTS JA EH NOCH SO JUNG AUS!” – Die Haut als Platzanweiserin.
Ein Altersbild in unserer Gesellschaft ist das „Durchgehen als jung“. Ich nenne das Altersbild „Passing“, vom englischen Konzept „Passing as a woman“ – ein Konzept aus der Forschung über Trasnsexualität.
Die Haut verrät, ob wir noch „durchgehen“ als jung, als attraktiv, als potentielle PartnerInnen, als sexuelles Wesen.
Der Zustand meiner Haut sagt mir selbst, wo mein Platz ist. Die Haut selbst dient als Platzanweiserin. Ist die Haut jung und rosig, ist sie grau und matt, ist sie faltig und trocken, hat die Haut eine Krankheit, wie einen Ausschlag, ist die Haut von Akne belastet, ist die Haut weiß oder dunkel, ist die Haut voll mit Sommersprossen, hat die Haut Make-Up zu verkraften?
Die dicke und die dünne Haut als Platzanweiserin, ein innerer Prozess, ich selber mit einer dünner Haut, ich höre alles, alles verletzt tut weh, das weist mir andere Handlungsmöglichkeiten zu als jemand mit dicker Haut, – schmerzfrei – Blicke von Außen irritieren nicht… vielleicht gibt es solche Menschen, vielleicht auch nicht.
ja – nein, alt – jung, schön – hässlich. Ausschliesslichkeiten, Dichotomien, ein Begriff der immer verwendet wird, zweiteilig, ohne Überlappung.
Dissonanzen und Irritationen entstehen, wenn wir nicht dem Alter entsprechend aussehen, wenn wir uns nicht dem Alter entsprechend kleiden und benehmen.
Ein wilder Spruch, was Alterkonstruktionen bewirken: „Von hinten Lyzeum, von vorne Museum“. Beim schnellen Hinsehen als jung durchgehen, dann aber beim genaueren Schauen als alt gekennzeichnet werden.
Alt ist in unserer Gesellschaft ein extrem schlecht bewerteter Begriff, alle wollen alt werden keine will alt sein, ist ein Sprichwort mit wahrem Kern. Das Passing ist so zu verstehen, dass wir lieber als jung durchgehen wollen, als alt eingeschätzt werden – das ist fast immer zutreffend- außer wenn es um Kompetenzen geht, vor allem jüngere Personen, wollen nicht jung geschätzt werden, da es ihre Kompetenzen schmälert. Passing-young. Als jung durchgehen.
Hier nun eure Beiträge zu meiner kleinen Forschungsarbeit: „ihr schauts ja alle noch so jung aus“
Ich habe für den Vortrag bei Queerograd am 31. Oktober 2014 in Graz eine kleine qualitative Umfrage durchgeführt und Frauen unterschiedlichen kalendarischen Alters um ein Statement zu dieser Frage gebeten, die Beiträge wurden mir zugeschickt:
Frage:
„Wie fühlt sich das an, wenn du hörst: du schaust ja noch so jung aus! Was antwortest du darauf? Was denkst du über diese Aussage? Was auch immer dir einfällt…
ZITATE:
STEFANIE, ü30
„Am letzten Freitag, da haben wir für eine kleine Party Gin gekauft, da hat die Kassierin beim Spar etwas gestutzt, sie war schon sehr müde – sie war kurz davor, mich nach meinem Ausweis zu fragen… Ich war selber überrascht, wie schmeichelhaft ich das fand. Ich hab ganz entzückt nach meinem Ausweis gekramt, mein Freund hat sich fast verlacht… immerhin bin ich schon etwas über 30.“
DANI, 40
“ich denke: pfuuuh, gott sei dank. der/die hat wahrscheinlich gar nicht meine altersflecken im gesicht gesehen, die zwei grossen platschernen die ich schon seit mitte 30 habe, oder gar noch frueher. manchmal sehe ich sogar altersflecken auf meinen haenden schon, arg. Wenn altersbefleckte mutterhaende ein kleines baby halten. Mein kleines baby, da fuehle ich mich juenger, mit meinem baby. Dabei bin ich was allgemein als „alte Mutter“ gilt, eine „Risikoschwangerschaft“.
fuehle : ich fuehl mich dann „geehrt“ als waere es eine auszeichnung. und dankbar. ausserdem sage ich das selbst auch oft zu anderen, ich sage dann „was ist dein geheimnis?“ oder „so moechte ich auch ausschauen wenn ich xy bin.“ dabei gehts ja eigentlich darum wie man sich fuehlt „man ist so alt wie man sich fuehlt“ — demgemaess aendert sich mein alter quasi stuendlich :-)
sage: „aber geh!“ „das stimmt ja nicht“ „ja, aber 25 kg habe ich zuviel!“ und vorgestern hat jemand gesagt auf meiner 40er Feier, „waaas, 40 bist du schon? das sieht man aber nicht!“da habe ich gesagt: „ja weil ich fett bin, da spannt die haut besser“ als „Witz“ ( aber wenn ich das jetzt so lese ist das schon richtig grausam mir gegenueber, und das ist paradox weil ich mir auf der anderen Seite buddhistische Vortraege reinziehe die von kindness und gentleness und compassion mir gegenueber handeln”
GABI, 50
“Es fühlt sich gut an! Ich bin immer jünger geschätzt worden. Würden mich Leute nun so alt schätzen wie ich bin, wäre das beunruhigend.“
„Wenn das jemand zu mir sagt, sag ich drauf: ja ich weiss, ich bin immer für jünger gehalten worden. Die frage ist, wie lange das noch anhält. (…) Ein 30 Jähriger Bekannter war entsetzt, als ich sagte, dass ich 50 werd. Er hat sich nachher bei mir entschuldigt. Und er meinte, was ihn so entsetzt hätte, sei die Tatsache gewesen, dass er mich plötzlich mit anderen Augen sah, als er hörte, wie alt ich bin. Da sei er vor allem ueber sich selbst erschrocken.“
MONIKA, 29
„Wenn man mich nun weit jünger schätzt, als ich bin, empfinde ich es auch so als würde man mir demnach nicht denselben Respekt entgegenbringen wie gleichaltrigen FreundInnen. Meist kontere ich damit, dass ich mich in 10 Jahren darüber freue, wenn ich 10 Jahre jünger aussehe.“
CHRISTINA, 39
“ich bin 39: oh schreck, die 4 ! naht. ich würde lieber hören: ‘du siehst so frisch, lebendig etc aus … von mir aus auch ‘gut’. Weil die aussage ‘du siehst noch so jung aus..’ mich ja genau hinweist auf mein schon sooo hohes alter.“
HERTA, 71
“Mei, du schaust viel jünger aus!“ Wenn es so dahingesagt ist, nehme ich das kaum zur Kenntnis, aber bei ernsthafteren Kontakten könne ich antworten bzw. antworte ich: ‘Die Beurteilung von anderen nach dem Aussehen war mir nie wichtig und jetzt, im Alter, ist das nicht einmal ein Kompliment. Ich würde lieber hören, dass ich fröhlich und frisch wirke, und antworten: „Ja, weil ich optimistisch vor mich hin altere und mich frei und gesund fühle.“
„Wenn frau im Alter voller Pläne, Aktivitäten und Hoffnungen ist, hat sie eine positive Ausstrahlung, die klischeehaft mit JUNG bzw. JÜNGER gleich gesetzt wird.“
EVA
„Seit ich viele weiße Haare habe, sagt keiner mehr was.“
BIRGIT, 68
“Die Ansage ‘Du schaust ja noch so jung aus’ kenne ich gut. Schmeichelhaft ist sie nicht. Weil ich vermute, dass die meisten dieser SagerInnen Altaussehen eher igitt finden. Das finde ich gelinde gesagt doof. Aussehen hat sehr oft mit sozialem Status zu tun…”
EDITH, 66
„Ich hab spiegel zu hause. Mit meinen 66 jahren, die ich sooft es geht im sonnenschein verbringe- sagt das niemand zu mir. „du bist aber braun“ hör ich schön öfters, dann sag ich: „ich wasch mich nie“. Ich würde die aussage: „du schaust aber jung aus“ als zeichen sehen, in meiner persönlichkeit nicht gereift zu sein. Als sogenannte „alttusse“ der die hülle wichtiger ist als der inhalt. Mir ist es wichtiger, als typ zu wachsen, wie ein knorriger baum, wo man die verschiedenen witterungseinflüsse auch von aussen sieht. Ich steh zu diesen „auswüchsen“ in form von zuviel haut. Auch über die verschiebung der körperhaltung (wenn ich meine brust mit den händen hebe, hab ich weniger bauchfalten) kann ich mich amüsieren. Einmal leg ich die kamera auf den boden, schalte auf selbstauslöser und beuge mich dann zum objektiv. Das zuvielgesichtshautfoto geb ich dann auf mein fb profil“
ELISABETH, 56
„Es bedeutet noch durch zugehen – als jung, als attraktiv, nicht zuletzt als sexuell attraktiv, noch auf der richtigen Seite zu stehen“
RESUMMEE
Wenn der gesellschaftliche Druck da ist, jung auszusehen, wird es immer jene geben, die versuchen werden, ihr ganzes Leben damit zu verbringen, als jung durchzugehen. Es gibt aber auch einige, die sich nicht darum scheren werden. Die einzige Befreiungsmöglichkeit für die Frauen kann sein, die Haut altern zu lassen und dann nach dem „nicht mehr durchgehen“ befreit sich selbt zu verwirklichen, jenseits von der Platzanweisung.
Passing ist auch eine Mitläuferinnen-Haltung, dazuzugehören zur Norm, bzw. zur akzeptierten Norm, wer sich daraus erhebt, gilt als widerständig. Nicht als eine akzeptierte Person durchzugehen, sondern eigenwillig sein/ihr Selbst jeden Tag neu zu erzeugen, das ist die Widerständigkeit.
Queer Aging, auch für mich ein Ding, seit so vielen Jahren hab ich weisse Haare, ja echt? und nein, ihr habts die noch nicht in voller Pracht gesehen… Babyschritte! Der Nachwuchs ist sichtbar ;)
Ich bedanke mich für eure Beiträge!
suzie meint
ich finde es komisch, dass „jung aussehen“ ein kompliment ist. ist das nicht schon der jugendwahn? was ist dran gut, JÜNGER auszusehen, als man/frau ist? da ist mir lieber jemand sagt was spezielles, wenn er7sie mir ein kompliment machen will, also, schöne augen, hübsche stirne, angenehme stimme, schöne hände, warmes herz …
Veronika Konrad meint
Vor 4 Jahren hat mir mal ein alter Mann auf einem Geburtstagsfest den Hof gemacht. Er hatte weißes Haar und trug eine rote kubanische Mütze, dazu ein rotes Gilet. Sein Gesicht war voller lebendiger Falten, braungebrannt, seine Augen lachten und funkelten. Wir tranken Wein, unterhielten uns, flirteten, tanzten. Er war an diesem Abend mit Abstand der interessanteste Mann von allen. Es war ein magischer Abend, denn das Alter war an diesem Abend kein Thema. Ich vergaß es einfach. Es war die Begegnung mit diesem Mann, mit diesem Menschen, welche mich verzauberte. Erst die Reaktionen und Kommentare der anderen Gäste ließen mich daran erinnern, dass ich mich an diesem Abend in einen 85 jährigen Mann verliebte.
Ich weiß, mein Beitrag passt vielleicht nicht ganz zum Thema, aber vielleicht sollten wir das Schätzen von Alter einfach sein lassen.
Sonja Schiff meint
schön eure beiträge! danke schön. bin ganz bei euch!
rochus gratzfeld meint
In unserer stetig alternden Gesellschaft wird sich – vielleicht – das Bild vom Alter auch ändern. Werden ältere und alte Menschen – hoffentlich – mit mehr Wertschätzung umworben werden. Geachtet werden. Wird sich – im besten aller Fälle – das Selbstbild verändern. Dies ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Wir werden mit immer mehr Hochbetagten konfrontiert werden. Mit immer mehr Demenzkranken. Mit immer mehr „Altersleid“. Dies wird – im schlimmsten Fall – das Bild vom Alter weiter verschlechtern. Auch das Selbstbild.
Windsprite meint
Ich bin fünfzehn und meine Mutter ist ü30, trotzdem werden wir oft von meiner Großmutter miteinander verwechselt. Für sie mag das ja schmeichelhaft sein…
Sonja Schiff meint
LOL! Ich hab eine Schwester, die ist um 10 Jahre jünger. Als ich so an die 30 war, gingen wir viel miteinander fort, tanzen etwa. Einmal lernten wir einen netten Mann kennen, der war so etwa 25. Als ich tanzen ging, stand er mit meiner Schwester an der Bar und meinte: „Geile Frau deine Mama!“ Meine Schwester fand das sooooo cool. Aber nur sie! LOL!