Mit diesem Artikel, den ich vor 2 Tagen geschrieben habe, habe ich eine kleine Lawine ausgelöst. Die Reaktionen waren vielfältig und spannend! Sie zeigen, dass es viele Wahrheiten gibt und das Thema auch tabuisiert ist.
Wie zu erwarten (und für mich auch durchaus verständlich) gab es wütende Reaktionen von Seiten des näheren Umfeldes des jungen Mannes. Die Vorwürfe reichen von „Lügnerin“ über „Du hast das Persönlichkeitsrecht verletzt“ zu „eine richtige Mama hätte das nie getan“, „Das ist Bloßstellung! und „Es ist wirklich besser, dass du nie Mutter geworden bist“.
Es ist für mich nicht lustig das Arschloch zu sein, aber ich nehme die Wut entgegen, in dem Wissen, dass ich mich in meinem Artikel sehr darum bemüht habe, niemanden zum Schuldigen zu erklären. Dabei bleibe ich auch. Wer den Artikel in seiner Gesamtheit liest, sieht, dass ich vor allem über mich und meine Kinderlosigkeit geschrieben habe und der junge Mann immer noch mein Wohlwollen hat. Mehr sogar, meine Liebe.
Für mich sehr überraschend, weil gar nicht damit gerechnet, sind die vielen Nachrichten, ausschließlich über Mail oder Private Message, von anderen „Mamas/ ehemaligen „Mamas“/ anderen Frauen, die ein Näheverhältnis zu einem Asylsuchenden haben oder hatten. Hier bedanken sich viele für meine Offenheit und erzählen mir, dass sie ähnliches erlebt haben, ebenfalls emotional durchgebeutelt werden/ wurden und sich oft alleine fühlen damit. Es geht hier um das Gefühl, immer eine schlechte „Mama“ zu sein, es geht um überhöhte Erwartungen, über Verletzungen und Hilflosigkeit, aber auch um das Schöne dieser Beziehungen.
Dieses Thema, das ich hier aufgezeigt habe, ist nur scheinbar privat und persönlich. Es ist vor allem politisch. So meine Erkenntnis. Dazu später mehr.
Einzelne Reaktionen gab es aus der Flüchtlingsszene. Da wird mir vorgeworfen, die Vorurteile der Flüchtlingsgegner zu bestätigen (vor allem, dass ich schrieb, dass vermutlich die Schlepper den Asylwerbern empfehlen, sich eine Mama zu suchen. Ja und? Was ist daran schlecht?) und den HelferInnen damit das Leben noch schwerer zu machen.
Und dann gab es viele, sehr viele Rückmeldungen zu meiner Bitte, mir zu sagen, wie der Artikel erlebt und bewertet wird. Hier meine Bitte um Rückmeldung auf Facebook einen Tag nach dem Posten des ersten Beitrages:
Die Reaktionen darauf, via Kommentar oder Private Message, waren sachlich, respektvoll und ebenfalls sehr vielfältig. Sie reichten von „Super, dass Du darüber so offen schreibst“ und „Ich finde Du hast ein Recht darauf über Dich und Deine Gefühle zu schreiben“ oder „Ich finde wichtig auch Geschichten des Scheiterns lesen zu können“ bis zu „Ja, hier wurde das Persönlichkeitsrecht verletzt“ und „Was Du da gemacht hast, geht gar nicht“.
Was nehme ich mit aus der Zeit, dem Chaos, der Reflexion des Blogbeitrags?
Grundsätzlich: Ich bereue nichts. NIE! Menschen, die ich liebe/ geliebt habe, bleiben in meinem Herzen. Erfahrungen, und seien sie noch so bitter, bringen mich weiter, lassen mich wachsen. Für Fehler schäme ich nicht. Jeder macht Fehler. In unserer Gesellschaft muss man sich aber dafür schämen und sie verstecken. Das halte ich gesellschaftlich für schwierig, weil dieses Verhalten und diese Haltung gegenüber Fehlern uns am Wachsen hindert. Und ich will wachsen. Jeden Tag!
Erkenntnis 1) Ich würde mich, mit meiner hohen Vulnerabilität aufgrund des Kinderlosigkeitsschmerzes, nicht mehr auf das „Mama“ einlassen. Im Prinzip habe ich das damals auch gewusst. Als der junge Mann mich fragte, ob er Mama sagen darf zu mir, hat mein Inneres als erste Reaktion aufgeschrien und NEIN gerufen. Trotzdem hab mich dann überreden lassen. Aber die ersten Konflikte (du hast mich zu wenig lieb/ Du bist eine schlechte Mama) sind bereits nach 2 Wochen entstanden! Ich hätte damals auf meine innere Stimme hören sollen, das „Mama“ ablehnen/ zurücknehmen müssen und wäre sicher auch als Freundin ausreichend Unterstützung gewesen.
Erkenntnis 2) Ich hätte mir monatlich oder wenigstens vierteljährlich eine Supervision/ ein Coaching leisten sollen, um all die Emotionen/ Projektionen aufzudröseln und in mir Klarheit zu schaffen. Ich verstehe gar nicht, dass ich nicht auf diese Idee gekommen bin. Beruflich ist für mich Supervision eine Selbstverständlichkeit. Aber in dieser Mama-Rolle bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, sondern haben mich die Emotionen einfach überrollt. Mir hat die professionelle Distanz gefehlt.
Erkenntnis 3) Würde ich den Blogbeitrag erneut schreiben. Ja. Eindeutig. Es ist mir klar, dass ich in meinen Blogbeiträgen auch über andere Menschen schreibe, weil ich ja immer aus meinem eigenen Leben berichte. Da gehören andere Menschen dazu. Das ist sicher eine Gratwanderung und damit werde ich mich beschäftigen. Gestern habe ich 2 Stunden lang versucht den Text zu verändern und dabei ist für mich klar geworden, ohne Benennung von Beispielen/ Situationen und der Person ist es unmöglich, das Thema griffig und nachvollziehbar darzustellen. Ich hätte es lassen können darüber zu schreiben. Stimmt. Aber ich bin eine Schreibende, das ist fixer Teil meines Lebens. Außerdem bin ich eine Bloggerin der alten Schule. Blogs waren bei ihrem Start vor rund 30 Jahren Internet-Tagebücher. Ich blogge genau seit dieser Zeit und ich führe meinen Blog immer noch in diesem ursprünglichen Sinn. Auch im Fall „Mama Sonja“ habe ich immer schon gebloggt, von der ersten Begegnung an, und damals auch mit dem Einverständnis des „Sohnes“. Wer uns persönlich kannte, wusste immer schon, um wen es ging. Mein Schreiben war damals auch immer in Ordnung für ihn, es gab dadurch Unterstützung und Power aus meiner Community. Ich glaube, es ist einfach ungewöhnlich in unserer Gesellschaft (und in seinem Kulturkreis noch viel mehr) öffentlich über das Scheitern zu berichten. Deshalb wird mein Blogbeitrag jetzt als Übergriff und Bloßstellung gewertet. Das große Thema ist STOLZ, Gesicht wahren. Aber für mich verliert niemand sein Gesicht oder seine Würde/ seinen Stolz, nur weil er scheitert.
Aber wie gesagt, damit werde ich mich noch beschäftigen. Das ist tatsächlich ein Thema. Da werde ich mir auch Rechtsberatung holen von der Interessenvereinigung der Autorinnen und Autoren. Spielt ja bei jedem autobiografischen Text eine Rolle. Da bleibe ich also dran!
Erkenntnis 4) Abschließend die politische Seite: In vielen Bereichen wo Menschen ehrenamtlich oder freiwillig Leistungen/ Hilfestellungen erbringen, gibt’s Schulungen und Supervisionen. Im Bereich Flüchtlingshilfe hat man all die HelferInnen- und es sind eben viele mittelalte Frauen, die hier als „Mama“ tätig sind– allein gelassen. Diese Frauen, von denen eine ich war, haben einen wesentlichen Beitrag geleistet zur Bewältigung der Flüchtlingskrise 2015 und der Staat hat sich abgeputzt. Mehr noch, er hat uns das Leben zusätzlich schwer gemacht, indem er die Asylverfahren (vor allem in der ersten Instanz) zielgerichtet so geführt hat, dass der erste Bescheid negativ war. Damit hat sich für die betroffenen AsylwerberInnen die Zeit der Hilfslosigkeit und Machtlosigkeit verlängert und mussten diese Frauen viel zusätzlichen Schmerz und Leid abholen, was auch die Dynamiken in den Beziehungen verschärft hat. Wie gesagt: Ich bekomme im Moment viele Nachrichten von anderen „Mamas“, die mir ihre Geschichten erzählen und ich staune nur so, denn ich dachte immer, ich wäre mit meinem „Problem“ alleine und eben „eine schlechte Mama“.
Schulungen und Supervisionen wäre das Mindeste gewesen, was der Staat anbieten hätte müssen. Stattdessen hat man uns verhöhnt als „Gutmenschen“ und lächerliche Frauen.
Und eine Nachricht an die Flüchtlingsszene: So zu tun, als wäre alles immer Sonnenschein, hilft niemandem weiter. Ihr hättet schon lange Schulungen und Supervisionen einfordern können. Auch mich jetzt in meiner Integrationsarbeit abzuwerten, meine Leistung geringzuschätzen oder mich eine narzisstische Egoistin zu nennen, hilft den Frauen, die sich alleine fühlen mit ihrer Aufgabe, gar nichts.
Danke an ALLE für das Mitgehen und Interesse, sowie die hohe Beteiligung an der Diskussion. Ich danke für jede Kritik, für jede Anmerkung, für jede Stütze. Ihr habt mir bei der Reflexion riesig geholfen und meine Perspektiven enorm erweitert. DANKE!
Jetzt werde ich meinen Frieden machen, mir selbst verzeihen, Kekse backen und an das Gute der letzten 5 Jahre denken.
Was die Zukunft bringt?
Wir werden sehen.
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