Kürzlich habe ich in meiner neuen Lieblingszeitschrift FLOW einen Artikel gelesen über Selbstmitgefühl. Selbstmitleid, Selbstliebe, Achtsamkeit für sich, das alles sind Begriffe, die mir bekannt sind. Aber SELBSTMITGEFÜHL ist mir als Begriff neu.
In dem Artikel geht es um Dr. Kristin Neff, einer amerikanischen Psychologin, die zum Thema Selbstmitgefühl forscht. Sie erzählt in dem Bericht über ihr Leben, über ihre Beziehungen und darüber, wie sie lernte mit ihrem autistischen Kind umzugehen, indem sie alle Vorstellungen einfach fallen ließ.
Wie habe ich es in meinem Leben gehalten mit dem Mitgefühl für mich selbst? Diese Frage stelle ich mir, seitdem ich den Artikel gelesen habe. Ging ich gut um mit mir? Bin ich nachsichtig gewesen mit mir? Habe ich mir Trauer, Verzweiflung und Schmerz erlaubt zu leben oder meinte ich die Starke sein zu müssen? Wie bin ich mit meinen Unzulänglichkeiten umgegangen und mit meinen kleinen Fehlern? Wie habe ich Krisen gemeistert?
Auf Ihrer Homepage schreibt Kristin Neff, dass man Selbstmitgefühl bewusst leben kann und erzählt, was sie mit dem Begriff „Selbstmitgefühl“ meint:
„With self-compassion we mindfully accept that the moment is painful, and embrace ourselves with kindness and care in response, remembering that imperfection is part of the shared human experience. This allows us to hold ourselves in love and connection, giving ourselves the support and comfort needed to bear the pain, while providing the optimal conditions for growth and transformation.“
Als ich diesen kurzen Text las, erinnerte ich mich sofort an meine Scheidung im Alter von 29 Jahren. Meine große Liebe war zerbrochen. Aber nicht nur das. Der Mann an meiner Seite, der in Anbetracht unserer ungewollten Kinderlosigkeit meine Traurigkeit mit den aufmunternden Worten „Es geht auch ohne Kinder“ vom Tisch wischte, hatte eine andere Frau geschwängert und freute sich auf seine zukünftige Vaterrolle. Ich dagegen war in meiner eigenen Hölle gelandet und schrammte knapp an einer Depression vorbei.
Wenn ich so zurückdenke, dann erkenne ich, dass ich damals sehr viel Selbstmitgefühl für mich hatte. Ich hab mich monatelang meiner Trauer hingegeben und mich gleichzeitig gut um mich selbst gekümmert. Habe gut für mich gekocht, mir Massagen geleistet und Psychotherapie, habe viel gemalt, mit Ton gearbeitet und Tausende Gedichte geschrieben, um meinen Schmerz zu verarbeiten. Außerdem habe ich mich meinem Umfeld zugemutet. Ich hab mich nicht verbarrikadiert, nicht isoliert, sondern bin mitten im Leben geblieben und hab den Menschen von meinem Verlust erzählt. Wieder und immer wieder. Danke an dieser Stelle an alle Menschen, die mir damals zur Seite gestanden sind.
Manche aus meinem Umfeld haben meine Gefühlsausbrüche nur schwer ertragen und meinten: „Du musst Dich besser schützen“, womit sie sagen wollten, dass ich Mauern um mich bauen soll in Zukunft. Aber tief in mir drin war mir klar, das wäre dann nicht ich. Ich bin keine Frau, die meterdicke Mauern vor sich her trägt. Nur, wie dieses Leben überleben mit seinen dunklen Tiefen?
Im Moment gibt es in meinem Umfeld einige Frauen, die ihre Männer verloren haben an den Krebs. Deren Schicksalsschlag beschäftigt mich. Ich frag mich, wie ich den Verlust meines Partners verwinden würde. Wie ich mein Leben weiterleben könnte.
Wesentlichen Input bezüglich Selbstmitgefühl bekam ich damals mit 29 Jahren von dem deutschen Lyriker Jörn Pfennig mit seinem Gedicht „An ein gebranntes Kind“. Das Gedicht begleitet mich bis heute durch mein Leben. Immer wenn ich meine, mich zumauern zu müssen, weil das Leben grad wehtut, dann denke ich an dieses Gedicht. Ich finde, dass es auf wunderbare Weise das Thema Selbstmitgefühl beschreibt.
An ein gebranntes Kind
Ich bitte dich
mach dich nicht hart
um Verletzungen zu widerstehn.
Sicher, die kleinen Brocken
werden an dir abprallen
doch die großen
könnten dich
zum Einsturz bringen.
Ich bitte dich
mach dich weich
Verletzungen zu widerstehn.
Sicher, die kleinen Brocken
werden in dich eindringen
und die großen um so tiefer.
Doch sie werden aus dir zurückfedern
nachdem sie dich bereichert haben.
Ich bitte dich
mach dich verletzbar
und du wirst es
irgendwann
nicht mehr sein.
Und Ihr? Wie haltet Ihr es in Eurem Leben mit dem Selbstmitgefühl?
W.m. meint
Ich bin gerade in einer (für mich) schwierigen Phase und schwanke zwischen Selbstmitgefühl und der Frage wie ich meine negativen Gefühle los werden kann. Gespräche helfen enorm, aber man will sich nach einer gewissen Zeit den andren nicht mehr „zumuten“.
Ich habe gottseidank ein paar Anlaufstellen. Aber ich finde es dennoch schwer immer wieder mit den selben Themen nach außen zu gehen…
Sonja Schiff meint
Kann Dich gut verstehen……und wünsch Dir, dass da Menschen um Dich sind, die Dir immer und immer wieder zuhören. Und wenn nicht, kann ich nur empfehlen: Leiste Dir ein paar Stunden bei einem Psychotherapeuten! Die hören beruflich zu und aus eigener Erfahrung kann ich Dir sagen, das wirkt Wunder! Alles Gute!
Peter Dresner meint
Ich habe im Leben viele schwierige Situationen überlebt. Selbstmitgefühl ist ruinierend, es schleppt den Menschen zurück. Ja, es ist schwer es loszuwerden.. Gott sei dank waren bei mir immer gute Freunde, die nicht nur zuhören konnten, sondern mich von schweren Gedanken ablenkten. Also nicht zu Hause sitzen und grübeln! Nach draussen gehen, Konzerte besuchen,wandern-das hilft wirklich!
Gunda von Hauptsache warme Füße! meint
Hallo!
Bin zufällig hier bei Dir und dann gleich bei einem älteren Artikel gelandet. ;)
Schwieriges Thema, schwieriger Begriff für meinen Geschmack. Selbstmitgefühl kann für mich nah bei Selbstmitleid liegen – wer zieht bei so unterschiedlichen Denkweisen, die die Menschen nun mal haben, da die Grenze?
… beim Gedicht flossen gleich mal Tränen …
Viele Grüße
Gunda