Heute habe ich der wunderbaren Zeitschrift FLOW einen Artikel gelesen mit dem Titel „Eine Tür geht zu, eine Andere geht auf“. In dem Artikel beschäftig sich die Autorin Caroline Buijs mit der Frage, warum manche Menschen scheinbar ohne Probleme Dinge, Menschen, Arbeit hinter sich lassen können und Neues wagen, während andere Menschen schon der bloße Gedanke an Veränderung kalten Schweiß auf die Stirn treibt.
Im Artikel bezieht sich die Autorin auf Fritz Riemanns Standardwerk Grundformen der Angst in dem die Angst als etwas beschrieben wird, was jeder Mensch in unterschiedlicher Form und Ausprägung hat. Riemann beschrieb bereits vor Jahrzehnten Grundtypen der Angst. Da gibt es aus seiner Sicht etwa jene Menschen, die haben Angst vor ihrer persönlichen Weiterentwicklung und Eigenständigkeit, diese verharren gern in Bewährtem, Veränderung ist ihnen ein Gräuel. Dann finden sich Menschen, die haben Angst vor Bindung und zu viel Nähe. Sie halten selten an Dingen oder Menschen fest, ihnen ist zu viel Vertrautheit suspekt, sie lassen mit Leichtigkeit los. So wie auch die dritte Gruppe, jene Menschen die Angst haben vor zu viel Beständigkeit, sie meiden Bindungen und entfliehen der vermeintlichen Routine. Neue Orte, neue Menschen, neues Leben, das ist ihre Welt.
Der Artikel in der aktuellen FLOW hat mich, da ich heute meinen Tag auch noch im Zug verbringe, regelrecht dazu eingeladen, mein Leben ein wenig Revue passieren zu lassen. Wie bin ich eigentlich in meinem Leben umgegangen mit Loslassen und Festhalten? Welcher Typ bin ich?
Da war zu Beginn die ganz junge, sehr unsichere Sonja, die sich vor dem Leben gefürchtet hat. Ich hab mich an Allem und Jedem angehängt, was versprach mir die Steine des Lebens aus dem Weg zu räumen. Ich war froh ankern zu können und stellte mich dann quasi tot. Dabei nahm ich viel in Kauf, Unzufriedenheit etwa, Stillstand, Anpassung. Das ging einige Jahre gut, bis zu dem Moment wo mein Körper sagte: NEIN! Er entwickelte alle möglichen Wehwehchen und irgendwann blieb mir gar nichts anderes übrig, als den Schritt ins Leben zu wagen.
Die ersten Wochen nach meiner Scheidung schrie ich mir nachts, den Polster vor den Mund gedrückt, meine Angst aus dem Leib. Die arme Nachbarin ober mir wusste morgens bei der Begegnung im Stiegenhaus oft nicht, wohin sie blicken sollte. Ich überlebte.
In dieser schwierigen Phase meines Lebens wusste ich: „Wenn ich das überlebe, dann schaffe ich auch den Rest des Lebens.“ Irgendwie, so denke ich heute, muss dieser Satz danach mein neuer Leitspruch geworden sein. Denn in Folge übte ich mich in Loslassen. Sobald mein Leben zur Routine wurde, brach ich aus. Männer kamen, Männer gingen, eine Fernreise jagte die andere, dazwischen eine rasche Karriere in der Pflegebranche und der jähe Abbruch, als es mir zu eng und eintönig wurde. Danach Selbständigkeit, immer neue Projekte, ein Intermezzo in der Politik mit abruptem Abbruch und weiter ging es im Galopp durchs Leben.
„Du hast ja ein Höllentempo“ höre ich oft Bekannte und Freundinnen sagen und kürzlich meinte eine Kollegin „Dir kommt man ja kaum hinterher.“ Aus der Festhalterin in jungen Jahren ist also eine Frau geworden, der zu viel Beständigkeit nicht ganz geheuer ist. Mir wird schnell langweilig, wenn da keine große Herausforderung wartet, wenn da nicht etwas Neues um die Ecke blitzt.
Nur in einem bin ich jetzt doch wieder beständig geworden, da war es genau umgekehrt, da ging mir das Neue irgendwann auf die Nerven. Mein Mann Rochus begleitet mich jetzt schon 14 Jahre durchs Leben und aus meiner Sicht ist kein Ende in Sicht. Ich hoffe mit ihm gemeinsam alt zu werden. Die gemeinsamen Rituale sind mir Ruhepol, die vielen tiefgründigen Gespräche Nahrung und das Gemeinsame ist mir eine Insel, von der aus ich immer wieder Neues erobere.
Loslassen oder Festhalten, das ist aus meiner Sicht ein laufender Lern- und Entwicklungsprozess im Leben. Und wer weiß, vielleicht dient dieses Lernen nur einem Zweck: Am Ende des Lebens loszulassen und einen guten und leichten Abschied zu finden vor der Reise ins Ungewisse.
Simone meint
Spannend, liebe Sonja. Ich selbst kann aus dem Stand gar nicht sagen, zu welcher Gruppe ich gehöre. Dein Beitrag ist ein guter Anlass, mir auch mal Gedanken darüber zu machen. Danke für die Anregung!
Sonja Schiff meint
Hallo Simone, na da bin ich ja gespannt! :-)